Allergisch gegen Monokulturen

Hans Herren vollbrachte in den 80er-Jahren in Afrika ein agrarökologisches Wunder, das rund 20 Millionen Menschen das Leben rettete. Heute kämpft er nicht mehr gegen Schmierläuse, sondern gegen den Einfluss der Agrarindustrie und kurzsichtiges Denken.

Cover Globe 2/Juni 2014

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Hans Herren wirkt ungeduldig und angespannt. Angespannt wie einer, dem die Zeit davonrennt. Und die braucht er dringend, um seine Überzeugung durchzusetzen, der er sich vor über 30 Jahren verschrieben hat: der biologischen Landwirtschaft als Mittel gegen Hunger und Elend. Den Dauerreisenden für ein Gespräch zu treffen, ist schwierig. Herren pendelt zwischen den Kontinenten und wechselt ständig seinen Hut: In Rom hält er Meetings mit der «Food and Agriculture Organisation» (FAO) ab, für die er während fünf Jahren den bisher umfassendsten Weltagrarbericht koordiniert hat.

Vergrösserte Ansicht: Hans Rudolf Herren, Stiftungsratspräsident Biovision
Dr. Hans Rudolf Herren, Stiftungsratspräsident Biovision, Träger des Welternährungspreises. Bild: Tom Kawara

Dort arbeitet auch seine Frau Barbara, Amerikanerin, Ökologin und Projektkoordinatorin bei der FAO. In Zürich besucht er seine Mitarbeiter von «Biovision». Herren gründete diese Stiftung vor 16 Jahren zur Förderung ökologischer Landwirtschaft in Ostafrika. Und in seinem Büro beim «Millennium Institute» in Washington, D.C. bereitet er Workshops vor, die er kurz darauf mit Regierungsvertretern in Afrika abhalten wird. «Ich muss auf Trab bleiben und die Spannung halten», gesteht Herren. «Sonst holt mich die Müdigkeit ein.»

Amerikajahre beim Ökoaktivisten

Herren ist überall und nirgends zuhause. Ein Weltbürger, dessen Walliserdeutsch mittlerweile amerikanisch klingt und für den das Flugzeug eher Bezugspunkt ist als eine bestimmte Nation. Zürich wurde ihm nie wirklich ein Zuhause. Trotz acht Jahren an der ETH – vier als Student der Agraringenieurwissenschaften, vier als Doktorand auf der Suche nach einer biologischen Regulierung des Lärchenwicklerschädlings. Am ehesten noch ist Kalifornien ein Daheim. Dort hat er vor 20 Jahren ein Haus mit Land gekauft. Seine freien Tage verbringt er seither im Capay Valley. Dann tauscht er Krawatte und Anzug gegen Gummistiefel und Schürze und frönt im eigenen Rebberg seiner Leidenschaft als Hobbywinzer.

«Wir konnten die Erträge mit denselben Sorten, aber angepassten Methoden vervielfachen.»Hans Herren

Zum ersten Mal nach Kalifornien kam Herren 1977 für ein Postdoc in Berkeley. Dort forschte er in der Gruppe von Robert van den Bosch im Bereich der Insektenkunde und integrierter biologischer Schädlingsbekämpfung. Van den Bosch war ein Pionier auf dem Gebiet und zugleich ein hartnäckiger Ökoaktivist und Widersacher von Norman Borlaug, dem Vater der «Grünen Revolution». Durch massiven Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden und Herbiziden sollte der Welthunger getilgt werden, so dessen populäre Meinung. Bei van den Bosch lernte Herren nicht nur viel über biologisches Schädlingsmanagement, sondern auch über Politik und die Lobbyarbeit der amerikanischen Konzerne.

«Es war an der Zeit, meinen Kampf in der Politik fortzusetzen.»Hans Herren

Der anschliessende Aufbruch nach Afrika hatte praktische Gründe: «Mein Nationalfonds-Stipendium war abgelaufen, in den USA konnte ich nicht bleiben und ich wusste, dass in der Schweiz kein Interesse mehr an biologischer Schädlingsbekämpfung bestand», erklärt Herren. In einem Jobangebot des Instituts für Tropische Landwirtschaft in Ibadan, Nigeria, erkannte er die Chance, sein Wissen in der Praxis unter Beweis zu stellen. Eine Schmierlaus, die Anfang 70er-Jahre aus Südamerika eingeschleppt worden war, bedrohte die Maniokernte weiter Teile Afrikas. «Obschon ich damals lange Haare und einen Ho-Chi-Minh- Bart trug, konnte ich den ‹International Fund for Agricultural Development› in Rom von meiner Idee überzeugen.» Mit 250 000 Dollar richtete Herren in einem Minibus ein mobiles Labor ein und begann in Mexiko mit der Suche nach dem Nützling, der die Maniok-Schmierlaus in Süd-amerika in Schach hält. Zwei Jahre später entdeckte er in Paraguay die Schlupfwespe Anagyrus lopezi, die daraufhin in London unter Quarantäne untersucht wurde. In Cotonou, Benin, baute Herren eine Forschungsstation auf. Sein Team züchtete in Gewächshäusern Millionen von Schlupfwespen und entwickelte ein System zum «Versprühen» des Insekts per Flugzeug. Während zehn Jahren setzte Herrens Truppe in 30 Ländern rund 1,6 Millionen Schlupfwespen aus. 1992 war die Schlacht gewonnen: Der Maniok hatte sich erholt und die Hungersnot war abgewendet. Die letzten Studien von 2003 zeigen, dass der Effekt nachhaltig ist; der Nützling hält den Schädling bis heute in Schach.

Fünfmal höhere Ernten dank Biolandbau

Herren hatte zum ersten Mal bewiesen: Ökologische Schädlingsbekämpfung funktioniert. Ökonomen schätzten den Nutzen für die afrikanische Landwirtschaft später auf 14 Milliarden Dollar. Als Direktor des «International Centre of Insect Physiology and Ecology» in Nairobi entwickelte Herren mit seinem Team von 1994 bis 2005 eine Reihe von Methoden für Kleinbauern. Zum Beispiel das «push & pull»-System. Dabei wird der Stängelbohrer, der in Afrika Mais- und Sorghumfelder dahinrafft, durch den Duft von Desmodium, einer bodendeckenden Bohnenpflanze, vertrieben (push). Gleichzeitig pflanzen die Bauern um die Felder Napiergras, dessen Duft die Stängelbohrer anzieht (pull) und in dessen klebrigen Halmen sie sich verfangen. Desmodium bindet zudem Stickstoff, verbessert so die Bodenqualität und verdrängt das Unkraut Striga. «Die Vorteile sind gut dokumentiert. Wir konnten die Erträge mit denselben Sorten, aber angepassten Methoden vervielfachen.» 40 000 Bauern in Kenia, Äthiopien und Uganda produzieren heute erfolgreich biologisch, erzählt Herren. In einem Kontinent mit über einer Milliarde Menschen ist das bescheiden. Man fragt sich: Weshalb finden ökologische Methoden nicht mehr Verbreitung? «Weil die Agroindustrie mit ökologischer Landwirtschaft kein Geld verdienen kann», antwortet Herren empört.

Überzeugungsarbeit mit dynamischen Modellen

Herren ist überzeugt: «Zu viele gute Initiativen werden von Industrie und Politik blockiert.» Deshalb tauschte er 2005 seinen Arbeitsplatz in Kenia mit einem Büro in Washington, D.C. Dort verknüpft er Wissenschaft und Politik als Direktor des «Millennium Institute», einer Plattform für systemdynamische Modellierungen. «Es war an der Zeit, meinen Kampf zuoberst, in der Politik fortzusetzen.» Wie dies funktioniert, erklärt Herren anhand des aktuellen Projekts «Kurswechsel Landwirtschaft»: Gemeinsam mit der DEZA und seiner Stiftung «Biovision» bringt das «Millennium Institute» in Senegal, Kenia und Äthiopien Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Industrie an einen Tisch. Mit Modellen simulieren Herren und seine Experten Szenarien, wie die Zielvorgaben der Staaten erreicht werden können. Herren hofft, die Entscheidungsträger anhand der Simulationen für seine Vision zu gewinnen.

Wäre es für einen «Ökofreak» mit langen Haaren und Bart heute, 35 Jahre nach Beginn seines Feldzugs gegen die Maniok-Schmierlaus, einfacher oder schwieriger, seine Laufbahn zu wiederholen? «Schwieriger!», ist Herren überzeugt. «Landwirtschaftliche Forschung wird vermehrt in den Privatsektor verlagert. Und dort interessiert sich niemand mehr für ökologische Schädlingsbekämpfung.» Die Biotechnologie und Molekularbiologie hätten alle anderen Bereiche verdrängt – in der Forschung genauso wie in der Lehre. Gegen Monokulturen ist Herren bis heute allergisch; ganz egal ob sie geistiger oder biologischer Natur sind.

Zur Person

Hans Rudolf Herren wuchs im Unterwallis auf einem Bauernhof auf. Nach der Landwirtschaftsschule holte er die Matur nach und begann 1969 an der ETH Zürich den Diplomlehrgang Agraringenieur mit Hauptfach Pflanzenschutz. Nach einem Postdoc an der University of California in Berkeley, leitete Herren zwei Forschungsinstitutionen in Afrika. Für sein erfolgreiches Projekt gegen die Maniok-Schmierlaus wurde ihm 1995 der Welternährungspreis der FAO und 2013 der «Right Livelihood Award» verliehen. Seit 2005 ist Herren Präsident des «Millennium Institute» in Washington, D.C.

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