Die Ökonomie der «Bitcoins»
Die massive Verbreitung der digitalen Währung «Bitcoin» eröffnet Forschenden neue Wege, um soziales Handeln in Märkten zu studieren. Dabei zeigen sich interessante Rückkopplungen zwischen den Wechselkursen und den Nennungen in den Social Media.
Wer in Berlin Kreuzberg flaniert, der kommt nicht mehr um sie rum: Die kleinen Schilder an Eingangstüren von Boutiquen und Kaffees, auf denen steht «Bitcoins accepted». Anstatt mit Banknoten oder Kreditkarten bezahlen dort Käufer ihr Shirt oder ihren Cappuccino mit dem Smartphone. Die digitale Währung «Bitcoin» macht‘s möglich. «Das Image von Bitcoin hat sich fundamental verändert», erklärt David Garcia, Postdoc an der Professur für Systemgestaltung von Professor Frank Schweitzer. «Früher waren Bitcoins etwas für Hacker und Computer-Nerds. Heute bezahlen Hipsters ihre Drinks damit und sie werden in Onlineshops von Grossunternehmen akzeptiert.» Soeben hat Garcia zusammen mit seinen Kollegen Claudio Tessone, Pavlin Mavrodiev und Nicolas Perony im «Journal of the Royal Society: Interface» eine Studie zur sozialen Dynamik der Bitcoin-Ökonomie veröffentlicht.
Internet-Aktivität bestimmt Wechselkurse
Für die Forschung ist der Erfolg der digitalen Währung (siehe Kasten) ein Glücksfall, denn sämtliche Daten zu jemals mit Bitcoin getätigten Transaktionen sind in anonymisierter Form auf dem Internet verfügbar. Dadurch können Garcia und seine Kollegen die Bitcoin-Ökonomie mit entsprechenden Algorithmen untersuchen. Die Idee dazu kam auf, als sie bemerkten, dass die 50'000-fache Marktwertsteigerung der digitalen Währung in nur dreieinhalb Jahren mit einem 10'000-prozentigen Anstieg der Google-Suchanfragen nach «Bitcoin» einher ging. Die Hypothese der Forscher lautete demnach: Die Wertsteigerung von Bitcoins wird stark von Aktivitäten im Internet beschleunigt; vor allem von der Suche nach Informationen und der Interaktion in den Social Media.
Um ihre Hypothese zu testen, haben die Forscher vier unterschiedliche sozio-ökonomische Parameter untersucht: Die Entwicklung der Bitcoin-Nutzerbasis, die Preisentwicklung der Währung über die Zeit, die Informationssuche zu Bitcoin über Google und Wikipedia (über ´sechs Millionen Anfragen) sowie der Informationsaustausch zu Bitcoin über Twitter (fast sieben Millionen Tweets). Tatsächlich fanden die Forscher über die vergangenen drei Jahre starke Korrelationen zwischen Preisentwicklung, Anzahl neuer Bitcoin-Nutzer, auf dem Internet eingegangener Suchanfragen und abgesetzter Tweets.
Gleichzeitig entdeckten sie zwei positive Rückkopplungs-Schlaufen, welche die Gesetze aus der Standart-Ökonomie weitgehend reproduzieren: Die wachsende Popularität von Bitcoins im Internet führt zu einer wachsenden Nachfrage, was wiederum die Aktivität in den Social Media anregt. All das schlägt sich in einem höheren Preis für Bitcoins nieder. Die zweite Rückkopplung betrifft die Nutzerbasis: Je mehr Nutzer Teil des Transaktions-Netzwerks von Bitcoin werden, desto höher wird der Preis, weil Bitcoins nicht entsprechend der Nachfrage herausgegeben werden, sondern automatisiert, in regelmässigen Intervallen. Damit ist die verfügbare Menge jederzeit berechenbar. Überraschender ist jedoch eine negative Rückkopplung: Vor einem bedeutenden Preiszerfall der Währung stieg die Aktivität im Internet in Bezug auf Bitcoin jeweils sprunghaft an. «Grosse Veränderungen in den Internet- und Social Media-Aktivitäten führen zu grossen Preisschwankungen», kommentiert Nicolas Perony, Mitautor des Artikels.
Märkte und Sozialdynamiken verstehen
Perony ist überzeugt, dass die quantitative Analyse von sozialen Phänomenen im Internet grosses Potential hat: «Mit digitalen Währungen können wir Aspekte der Ökonomie beobachten, die wir mit Bargeld nicht in den Blick bekamen. Dadurch verstehen wir besser, wie Märkte tatsächlich funktionieren.» Die im Paper beschriebene Methodik könnte laut den Autoren aber auch auf andere Bereiche der Gesellschaft übertragen werden. Das Bitcoin-Mining-Netzwerk, das für die Herausgabe der Währung zuständig ist, umfasst schon heute eine Rechenleistung, die 300-mal so gross ist wie diejenige der 500 leistungsstärksten Supercomputer zusammen. «Die grosse Frage ist, wie man ein solch leistungsstarkes System für kollaborative Tätigkeiten nutzen könnte, die über die Geldproduktion hinausgehen», so Perony. Möglich wäre zum Beispiel kollaborative Forschung in einem globalen Netzwerk oder die dezentralisierte, von einem globalen Netzwerk verwaltete Eigentümerschaft bestimmter Güter. Bitcoins gehören nämlich niemanden. Käufer erwerben lediglich das Recht, eine bestimmte Summe davon zu benutzen. Mit der vorliegenden Studie werden schon heute die Werkzeuge beschrieben, um die sozialen Dynamiken solcher kollaborativen Systeme in Zukunft exakt zu quantifizieren und zu analysieren.
Der raketenhafte Aufstieg von «Bitcoin»
Die Erfolgsgeschichte von «Bitcoin» begann 2008 mit einem unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto publizierten Artikel zu einer alternativen, digitalen Währung. Im Juli 2010 wurden Bitcoins erstmals über die Internet-Wechselbörse Mt. Gox zu einem Kurs von 0,06 Dollar pro Bitcoin gehandelt. Der Gesamtwert aller Bitcoins betrug 277'000 Dollar. Bis Ende 2013 stieg der Marktwert aller herausgegebenen Bitcoins auf über 14 Milliarden Dollar, wobei zu Spitzenzeiten über 1000 Dollar pro Bitcoin bezahlt wurden. Heute nutzen über vier Millionen Menschen die digitale Währung. Bitcoins werden in Euro, Dollar und chinesischen Renminbi gehandelt. Anders als bei herkömmlichen Währungen gibt es bei Bitcoin keine Zentralbank, die das Monopol für die Geldproduktion hat. Neue Bitcoins werden durch ein sogenanntes Mining über ein globales Computer-Netzwerk generiert – derzeit mit einer Rate von 25 Bitcoins alle zehn Minuten. Transaktionen werden ebenfalls über dieses Netzwerk verifiziert und abgewickelt. Selbst der Bankrott von wichtigen Bitcoin-Handelsbörsen und negative Schlagzeilen in Hinblick auf Geldwäsche und Drogenkäufe im Internet konnten das Vertrauen in die Währung nicht aushöhlen. Vor wenigen Tagen verlautete der PC-Gigant Dell, dass er fortan Bitcoins für die Bezahlung seiner Produkte im Online-Shop akzeptiert.
Literaturhinweis
Garcia D, Tessone CJ, Mavrodiev P, Perony N. The digital traces of bubbles: feedback cycles between socio-economic signals in the Bitcoin economy. J. R. Soc. Interface. 2014 11 20140623; doi:externe Seite 10.1098/rsif.2014.0623 (published 6 August 2014)