Der Drang des Entdeckens
Mit Detlef Günther zieht ein Chemiker in die Schulleitung. Der ETH-Rat hat den 50-jährigen Professor für analytische Chemie zum neuen Vizepräsidenten Forschung und Wirtschaftsbeziehungen gewählt. Günther übernimmt das Amt von Roland Siegwart, der auf Anfang 2015 wieder in seine Professur zurückkehrt.
Viele Mineralien, die den Arbeitstisch von Detlef Günthers Büro zieren, haben ihre eigene Geschichte. Den Bergkristall hat er oberhalb von Vättis im Taminatal gefunden, der Kassiderit stammt aus Bolivien und die Tourmaline aus Brasilien sind Souvenirs an eine ganz besondere Reise, die ihn auch nach Mexiko führte. 2009 war er mit Doktoranden und Postdocs in der Naica-Mine, und was er dort im Untergrund zu sehen bekam, verschlug ihm die Sprache. Baumstammgrosse Gipskristalle von atemberaubender Schönheit türmten sich vor ihm auf. Allerdings halte man es nicht lange in der Höhle aus, erzählt Günther, denn es herrschen Temperaturen um 60 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von nahezu 100 Prozent. Der Mann ist viel gereist und hat viel zu erzählen.
Günther spricht von einem Tempel, den die ETH für ihn als Chemiestudenten im Osten Deutschlands Mitte der 80er Jahre darstellte. Unerreichbar, eine Hochschule mit Tradition und grossem Renomee in der Chemie. Und doch sollte Günther schneller nach Zürich kommen, als er es sich hätte jemals vorstellen können, wenn auch mit einem Umweg über Neufundland. 1994 verbrachte er als Postdoc ein Jahr an der Memorial University in St. Johns, einem «wunderschönen, kalten und sehr abgelegen Ort». Ideal, um sich in die Arbeit reinzuknien. In Neufundland lernte er den Erdwissenschaftler und ETH-Professor Christoph Heinrich kennen. Heinrich, der an den Bildungsprozessen mineralischer Rohstoffe im Erdinnern interessiert war, machte Günther ein Angebot, nach Zürich zu kommen, um dort eine laserbasierte Methode für die Mikroanalytik aufzubauen.
Aus zwei mach eins
In der Gruppe von Christoph Heinrich suchte Detlef Günther nach neuen Möglichkeiten, um die Analyse von Flüssigkeitseinschlüssen in Quarzen zu verbessern. Er hatte dann auch eine Idee, wie man diesem Ziel näherkommen könnte, wenn auch eine unkonventionelle. «Ich schlug meinem Chef vor, eine Laser-Mikroskop-Kopplung zu entwickeln, für die wir zwei Mikroskope zersägen mussten und zu einem neuen zusammenbauten. So einen Vorschlag kann man wohl nur an der ETH machen», sagt er. Mit dieser Maschine Marke Eigenbau gelang es ihm, mit einem Laserstrahl feinste Löcher in Quarze zu boren und damit erstmals die chemischen Elemente von Mikroeinschlüssen zu quantifizieren. Das Laser Ablation System wird heute weltweit zur Festkörperanalyse eingesetzt.
Eine Aufbruchsstimmung habe geherrscht, erinnert sich Günther an diese Zeit Mitte der 90er Jahre, in der Postdocs, Doktoranden und Mechaniker im Departement Erdwissenschaften tage- und nächtelang an der Instrument- und Methodenentwicklung gefeilt hätten. Überhaupt haben es ihm die Mechaniker der ETH angetan, die Professoren der Werkstatt, wie er sie nennt. Es fasziniere ihn immer wieder, wenn er in die Werkstatt gehe und so ein neues Teil in der Hand halte, das hier an der ETH gebaut worden sei, sagt er. Am Anfang stehe oft eine einfache Skizze des Forschers, und die Spezialisten in der Werkstatt schafften es immer wieder, einen Prototypen daraus zu entwickeln, der die Forschung wieder ein Stück weiter bringe.
Zurück zur Chemie
Nach drei Jahren im Departement Erdwissenschaften zog es den analytischen Chemiker dann wieder in die Chemie, um eigene Instrumente und Methoden für die Spurenanalytik zu entwickeln und die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet weiter voranzutreiben. Als das damalige Departement Chemie 1998 eine Assistenzprofessur ausschrieb, bewarb sich Günther für die Stelle und bekam sie. Die Kollegen hätten ihn sehr gut aufgenommen, und von Beginn an unterstützt. Günther wusste, dass seine Professorenstelle – weil ohne Tenure Track – nach sechs Jahren auslaufen würde. So machte er sich gegen Ende der Laufzeit daran, über seine weitere Zukunft ausserhalb der ETH nachzudenken. Um ein Haar hätte er 2003 eine Stelle an der Humboldt Universität Berlin angetreten, wenn ihm die ETH, mit grosser Unterstützung aus dem Departement Chemie, nicht ein Angebot für eine ausserordentliche Professur in Zürich gemacht hätte.
Drei Jahre später übernimmt er die Aufgabe des Institutsvorstehers im Laboratorium für anorganische Chemie, und offensichtlich machte Detlef seine Sache so gut, dass man 2009 wieder bei ihm anklopfte, als es um die Besetzung des neuen Departementsvorstehers ging. «Bei uns gilt die Regel, die im Vorfeld solcher Wahlen immer mal wiederholt wird, dass ein solches Angebot nicht wirklich abgelehnt werden kann», vermerkt Günther mit einem Lächeln auf den Stockzähnen. Er stand 2010 bis 2012 dem neuen Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften mit seinen 40 Professuren vor. Auch hier ist er des Lobes voll für die Mitarbeiter in seiner Forschungsgruppe und die administrativen Mitarbeitenden im Departement, die alle mit profundem Wissen, Witz und voller Engagement ihre Aufgaben erfüllt hätten, und die es ihm dadurch erst ermöglicht hätten, diese Zusatzaufgabe gut zu bewältigen.
Vom Hönggerberg ins Zentrum
Wie externe Seite heute mitgeteilt, hat der ETH-Rat Detlef Günther auf Antrag von ETH-Präsident Ralph Eichler zum neuen Vizepräsidenten Forschung und Wirtschaftsbeziehungen gewählt. In den kommenden drei Monaten stehen verschiedene Anlässe an, die Günther daran erinnern werden, dass für ihn eine Etappe in seiner ETH-Karriere zu Ende geht und bald eine neue beginnt. Vor allem freut er sich auf die vier anstehenden Dissertationsverteidigungen seiner derzeitigen Doktoranden und Doktorandinnen. Solche Anlässe seien auch eine Art Ehemaligentreffen, denn viele der insgesamt 25 Doktoranden, die er in all den Jahren als Chemieprofessor begleitet hat – und auf die er ganz besonders stolz ist –, kommen bei diesen Gelegenheiten zurück nach Zürich.
Ende Jahr wird Detlef Günther einen Teil seiner Mineraliensammlung aus seinem Büro in Schachteln verpacken müssen. Eine weitere Reise, kurz an Distanz aber gross an Bedeutung, steht an: Er zügelt vom Hönggerberg ins Zentrum, wo er ab Januar 2015 als Mitglied einer erneuerten Schulleitung für alle Belange der Forschung und des Wissens- und Technologietransfers der ETH Zürich verantwortlich sein wird. Mitten im Tempel.