«Ich probiere Geschichten an wie Kleider!»

Max Frisch veröffentlichte 1964 seinen Roman «Mein Name sei Gantenbein». Zum 50-Jahr-Jubiläum zeigt das Max Frisch-Archiv an der ETH-Bibliothek bis zum 30. Januar 2015 eine Ausstellung dazu.

Vergrösserte Ansicht: Gantenbein
Max Frisch in Rom, 1964 (Foto: Pia Zanetti, Zürich)

Leicht ist ihm das Schreiben nicht gefallen. Während der vierjährigen Schaffensphase bekennt Max Frisch wiederholt gegenüber Freunden und Vertrauten, dass es mit dem Roman nur langsam vorangehe, weil dieser einem Sandhaufen ähnle, der kein Turm zu werden vermag. Dennoch lasse ihn die «irre Spielerei» nicht los. Bereits Ende 1959 verfügt er über eine erste handschriftliche Ideensammlung, die er mit «Der Blindgänger» betitelt.

Ein Jahr später veröffentlicht er in der «Weltwoche» den Text «Unsere Gier nach Geschichten», der zu einem programmatischen Entwurf für den neuen Roman wird. Nicht die Biografie eines Helden steht im Zentrum des Textes, sondern die Vielfalt an Entwürfen zu einem Ich.

Mögliches erkundet, auf Erfundenes verzichtet

Der Ich-Erzähler hat die Möglichkeit, Geschichten wie Kleider anzuprobieren und zu einer Spielfigur, zu Variationen von Existenzmöglichkeiten zu werden. Gleichzeitig macht Gantenbein die Erfahrung der eigenen Vergänglichkeit. Diese Erkenntnis weckt in ihm das Bedürfnis, sich Rechenschaft abzulegen sowie Versäumtes und noch Mögliches zu erkunden.

Eine erste Fassung des Romans, die Frisch im Mai 1963 beendet, trägt den Namen «Lila oder Ich bin blind». Ingeborg Bachmann, mit der Frisch von 1958 bis 1962 zusammenlebt, liest das Manuskript. Auf Grund ihrer Eindrücke überarbeitet Frisch das Manuskript noch mehrere Male. Seinem Schriftstellerkollegen Martin Walser gegenüber bekennt er die Sorge, «dass Lila-Gantenbein gleichgesetzt werde mit Bachmann-Frisch. Das wäre schrecklich. Ich musste auf vieles, Erfundenes, deswegen verzichten.» Als er im März 1964 die vorerst letzte Fassung an seinen Verleger schickt, entscheidet er sich für den Titel «Mein Name sei Gantenbein».

Lustig getarnte Trostlosigkeit

Mit Bangen sieht Frisch ersten Reaktionen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis entgegen. Er befürchtet, dass das Buch wegen «der lustig getarnten Trostlosigkeit» ein Misserfolg werden könnte. Entgegen dieser Erwartung löst der Roman nach seinem Erscheinen eine grosse Resonanz bei den Lesern aus. So steht er von Oktober 1964 bis Februar 1965 auf Platz 1 der Bestseller-Liste der Zeitung «Die Zeit». Bereits wenige Monate nach der Erstausgabe wird die Auflage von 100'000 überschritten. In der zeitgenössischen Literaturkritik hingegen findet das Buch vielfach skeptische bis ablehnende Aufnahme.

Neben Frischs erster Ideensammlung zu «Gantenbein» zeigt das Max Frisch-Archiv in seiner Ausstellung Originalbriefe von Martin Walser, Joachim Kaiser und Kurt Hirschfeld, bei denen Max Frisch während seines Schreibprozesses kollegiale Ermunterung fand. Und neben Dokumenten zur Rezeptionsgeschichte dürfen natürlich auch Blindenbrille und Pfeife nicht fehlen.

Ausstellung: «Ich probiere Geschichten an wie Kleider!»

50 Jahre «Gantenbein» von Max Frisch
22. September 2014 – 30. Januar 2015
Montag - Freitag, 10:00 – 17:00
Eintritt frei

Max Frisch-Archiv an der ETH-Bibliothek
Rämistrasse 101
8092 Zürich

Ähnliche Themen

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert