Wie ein Forschungsaufenthalt im Ausland eine Dissertation bereichert

Tamaki Ohmura ist Doktorandin an der Assistenzprofessur für Global Governance. Mit einem Mobilitätsstipendium des Schweizerischen Nationalfonds war sie in den USA. Seine Förderung stellt der Nationalfonds am 26. November 2014 am Tag der Forschung («Research Day») vor.

Vergrösserte Ansicht: Deutscher Bundestag. (Bild: Deutscher Bundestag/Thomas Trutschel, photothek.net)
Deutschland wählt seine Bundestagsabgeordneten nach zwei verschiedenen Verfahren. Solche Mischwahlsysteme sind noch vergleichsweise wenig erforscht. (Bild: Deutscher Bundestag/Thomas Trutschel, photothek.net)

Der Forschungsgegenstand von Tamaki Ohmura sind Parlamente. In ihrem Büro am Haldeneggsteig untersucht sie, wie sich Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Abstimmungen verhalten. Welche Wirkung hat zum Beispiel das Wahlsystem auf die Entscheidungsfindung einzelner Parlamentsmitglieder? Verhalten sich die Politikerinnen und Politiker anders, je nachdem, wie und von wem sie gewählt wurden? Fühlen sie sich eher einer lokalen oder eher einer nationalen Wählerschaft verpflichtet oder folgen sie strikt ihrer Partei?

Diese Fragen erforscht Tamaki Ohmura mittels Abstimmungsdaten aus dem Deutschen Bundestag. Sie ist Doktorandin in der Gruppe von Stefanie Bailer, Assistenzprofessorin für Global Governance an der ETH Zürich.

Deutsches Mischwahlsystem

Deutschland wählt seine Bundestagsabgeordneten nach zwei verschiedenen Verfahren: die eine Hälfte wird lokal in aktuell 299 Wahlkreisen durch Mehrheitswahl gewählt, die andere Hälfte durch Verhältniswahl (Proporz) aufgrund der Wahllisten der Parteien in den Bundesländern. Auch Schweizerinnen und Schweizer wählen mit zwei Verfahren, wenden diese jedoch je nach Kammer getrennt an: im Ständerat erfolgt die Sitzverteilung entsprechend der Mehrheit der Stimmen pro Kandidat, im Nationalrat gemäss dem Wähleranteil der Parteien in den Kantonen.

«Das Mischwahlsystem ist historisch noch vergleichsweise jung. 1949  entstand es zuerst in Deutschland. Daher haben wir dort die längsten Erfahrungswerte. Mittlerweile kennen jedoch auch andere Länder unterschiedliche Formen von Mischwahlsystemen. Mich interessiert, wie sich das individuelle Entscheidungsverhalten einzelner Parlamentsmitglieder in Mischwahlsystemen von jenem in reinen Systemen unterscheidet», legt Tamaki Ohmura dar. Ihre Doktorarbeit wird sie voraussichtlich nächstes Jahr abschliessen.

Abstimmungsverhalten bei Gewissensentscheiden

In ihrer Analyse der Abstimmungsdaten schenkt sie den sogenannten Gewissensabstimmungen besondere Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich um Gesetze, die einen Inhalt moralischer Natur aufweisen, wie etwa die Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen, Euthanasie oder Stammzellenforschung. In der Regel wird die Fraktionsdisziplin bei solchen Abstimmungen aufgehoben, weshalb die üblichen Erklärungen zum individuellen Abstimmungsverhalten nicht zum Tragen kommen. Obwohl diese Themen eine hohe Gesellschaftsrelevanz aufweisen, sind Untersuchungen zu deren Entscheidungsfindung weitgehend ausgeblieben.

Bis zum Abschluss ihrer Dissertation hat sie noch einige Arbeit vor sich: Sie hat in Kooperation mit Forschenden aus einem von der Thyssen Stiftung finanzierten Projekt alle namentlichen Abstimmungsdaten seit 1949 erhoben. Bei der Erhebung, Auswertung und Interpretation der Daten aus dem Bundestag und der institutionellen Informationen zum Wahlsystem ist sie auf den internationalen Austausch mit Politikwissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern der Universitäten Bamberg und Konstanz angewiesen.

Vergrösserte Ansicht: Tamaki Ohmura. (Bild: ETH Zürich/Florian Meyer)
Tamaki Ohmura untersucht am Beispiel des Deutschen Bundestag, wie sich Parlamentarierinnen und Parlamentarier in «Gewissensabstimmungen» verhalten. (Bild: ETH Zürich / Florian Meyer)

Mit Doc.Mobility nach San Diego

Ab dem zweiten Jahr ihres Doktorats können sich Doktorierende von Schweizer Hochschulen beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) für das Mobilitätsstipendium «Doc.Mobility» bewerben, wenn sie einen Forschungsaufenthalt im Ausland ins Auge fassen. Für Tamaki Ohmura stand fest, dass sie sich bei einem Spezialisten für Methoden der vergleichenden Parlamentsforschung  weiterbilden wollte.

Von verschiedenen Forschenden wusste sie, dass Kaare Strøm, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Kalifornien in San Diego, nicht nur zu den innovativsten Forschern seines Fachs gehört, sondern zugleich der Betreuung seiner Gastdoktorierenden viel Wert beimisst.

«Ich wollte zu Kaare Strøm, weil er einer der führenden Parlamentsforscher ist und dadurch Doktoranden mit demselben Forschungsinteresse an seine Institution zieht», sagt Tamaki Ohmura, «der Austausch und die intensiven Diskussionen der verschiedenen Forschungsarbeiten in seinem Doktorandenseminar haben mich enorm vorangebracht.»  Sechs Monate blieb sie in San Diego (im Rahmen von Doc.Mobility sind Auslandaufenthalte zwischen sechs und 18 Monaten möglich).

Früh vorbereitet

Am Anfang musste Tamaki Ohmura sich etwas umstellen, weil das Doktorat in San Diego anders organisiert ist als in Zürich und sich auch die Alltagskultur unterscheidet. Im Rückblick empfindet sie die Zeit in den USA als sehr bereichernd. Geholfen hat ihr, dass sie sich vor ihrem Aufenthalt früh mit Kaare Strøm abstimmte und so die Kurse belegen konnten, die ihr für ihre Forschung am meisten nützten.

Überhaupt, resümiert Tamaki Ohmura, habe es ihr sehr geholfen, dass sie schon frühzeitig an einer Konferenz mit Kaare Strøm über ihre Forschung reden und ihren Besuch in San Diego mit ihm besprechen konnte. Als sie sich dann für Doc.Mobility bewarb, erhielt sie rasch Strøms Zusage und hatte so genug Zeit, um den Antrag und den Kurzbeschrieb ihres Projekts für den SNF zu schreiben. Das Bewerbungsverfahren selbst, sagt sie, sei gut dokumentiert und unkompliziert, aber auch zeitaufwändig.

Ausgehend von ihren Erfahrungen, rät Tamaki Ohmura:  «Sich frühzeitig über Aufenthaltsmöglichkeiten erkundigen. Einen Professor auswählen, der einen gut betreut. Regelmässig den Kontakt zu ihm und zu anderen Topforschenden pflegen und vor allem Kurse besuchen, die an der ETH nicht angeboten werden.»

Tag der Forschung an der ETH

Doc.Mobility ist eines der Mobilitätsstipendien, mit denen der Schweizerische Nationalfonds (SNF) und ETH Zürich die Karriere von Doktorierenden und Postdoktorierenden unterstützen. Um jungen Forschenden einen Überblick über diese Stipendien und andere Fördermittel zu verschaffen, organisieren sie am 26. November gemeinsam den «Tag der Forschung» («Research Day»).

Im ETH-Hauptgebäude werden Fachleute und Forschende die Förderungsinstrumente mit Infoständen und Vorträgen vorstellen und Fragen der Teilnehmenden beantworten. ETH-Vizepräsident Roland Siegwart und SNF-Forschungsratspräsident Martin Vetterli werden zudem die Herausforderungen für die Forschung und ihre Förderung im europäischen Kontext ansprechen.

«Der Tag der Forschung bietet eine grossartige Gelegenheit, Informationen aus erster Hand von Forschenden und Programmmanagern zu erhalten», sagt Wendy Altherr vom Stab Wissenschaftskoordination, die den Anlass mit dem SNF vorbereitet, «die Möglichkeit dazu bietet sich am Infomarkt, an einem offerierten Lunch, in der Kaffeepause nach den Referaten und in den Vorträgen zu den einzelnen Förderinstrumenten am Nachmittag.»

Weitere Informationen zum «Tag der Forschung» bei der ETH Zürich unter: www.ethz.ch/researchday oder beim externe SeiteSchweizerischen Nationalfonds.

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