Wie die Nachhaltigkeit in der Lehre verankern?

Unsere Gesellschaft auf die Bahn einer nachhaltigen Entwicklung zu lenken, liegt in der Hand der jungen Generation, also auch der ETH-Absolventinnen und -Absolventen. Aber vielen Studierenden fehlt der Bezug zu Nachhaltigkeitsthemen. Neue Ansätze in der Lehre könnten Abhilfe schaffen.

Vergrösserte Ansicht: Studierende im Vorlesungssaal
Vorlesung an der ETH - eine Plattform, um alle Studierende mit dem Thema «Nachhaltige Entwicklung» vertraut zu machen? (Foto: ETH Zürich / Alessandro Della Bella)

Ich stiess kürzlich auf die sehr interessante Arbeit externe Seite «Problematik der Nachhaltigen Entwicklung in der Lehre an der Universität und der ETH Zürich» von Annuscha Wassmann. Da ich selbst in verschiedene Lehrveranstaltungen an der ETH involviert bin, habe ich daraus einige Anregungen für mich mitgenommen. Denn ich persönlich bin überzeugt, dass es eine wichtige Aufgabe der ETH ist, ihren Studienabgängern und zukünftigen Expertinnen nebst nacktem Fachwissen auch die Fertigkeit zu vermitteln, mit Hilfe dieses Fachwissens die globale Gesellschaft zu einer besseren und nachhaltigeren zu machen.

Die eigentliche Frage dabei ist, wie sich Studierende diese Fertigkeit aneignen können. Es gibt an der ETH bereits sehr attraktive Lehrangebote zu Nachhaltigkeit wie etwa Sommer- und Winterschulen, die sich an alle Studierende und Doktorierende der ETH richten. Aber: Ich gehe davon aus, dass nur eine Minderheit der Studierenden sich für solche Lehrveranstaltungen anmeldet. Wichtig wäre mir allerdings, dass möglichst alle Zugang zu diesen Fragestellungen innerhalb der regulären Semester finden. Meiner Meinung nach gibt es dafür grundsätzlich drei mögliche Ansätze.

  1. Eine gewisse Anzahl erworbener externe Seite ECTS-Punkte aus dem Bereich Nachhaltigkeit könnten obligatorisch für alle Studierenden sein.
  2. Am Ende jedes akademischen Jahres könnte es eine ETH-weite Synthesewoche mit Fokus Nachhaltigkeit geben.
  3. Das Thema Nachhaltigkeit sollte – wenn immer möglich – in alle Lehrveranstaltungen der ETH eingebettet werden.

Ziel solcher Ansätze wäre, dass alle mit einem ETH-Abschluss in der Tasche gelernt haben sollten, welche Herausforderungen eine nachhaltige Entwicklung stellt und wie sie mit ihrem erworbenen Wissen dazu beitragen können, diese Herausforderungen zu meistern. externe Seite Nachhaltige Entwicklung bedeutet: Wir haben aktuell so zu handeln, dass zukünftige Generationen ihre Bedürfnisse ebenfalls befriedigen können; das gilt bezüglich Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft.

Ein Vorteil des ersten Ansatzes ist, dass eine klare Regelung und eindeutig definierte Menge für alle festgelegt ist. Somit ist sichergestellt, dass ein ETH-Abschluss ein Mindestmass an Wissen über Nachhaltigkeit garantiert. Auch können die Vorlesungen zur Nachhaltigkeit selbst zusammengestellt werden, was den Studierenden Entscheidungsfreiheit bietet und hoffentlich die Motivation für das Thema erhöht. Allerdings liegt hier auch eine Gefahr: Nicht nur beim Thema Nachhaltigkeit verleitet das ECTS-Punkte System dazu, die nötigen Punkte mit möglichst geringem Aufwand und wenig Engagement für ein Thema zu sammeln. Das lässt sich bereits bei den Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften (GESS) beobachten. Die meisten Studiengänge an der ETH sehen eine bestimmte Anzahl Punkte im GESS-Bereich vor. Viele Studierende wählen den Weg des geringsten Widerstands: Sie wählen diejenigen Angebote, bei denen man für die ECTS-Punkte wenig lernen und Leistung erbringen muss und keine kontrollierte Anwesenheitspflicht besteht. Die grössten Vorurteile: GESS habe nichts mit dem eigentlichen Studienfach zu tun und sei überflüssiges Wissen. In der Tat ist es für die Dozierenden in dieser Konstellation schwierig, die Relevanz für das jeweils individuelle Studium jedes Studierenden aufzuzeigen. Anderseits zeigt sich dabei auch, dass wenn die Motivation von Beginn weg fehlt, den Studierenden mit diesem Ansatz nur schwer eine Sensibilität für das Thema Nachhaltigkeit mit auf den Weg zu geben ist.

Fächerübergreifende Synthese

Der zweite Ansatz würde den klassischen Unterricht aufbrechen und für Austausch unter allen ETH-Studierenden sorgen. Ich stelle es mir etwa so vor: In der letzten Woche des Frühlingsemesters könnten obligatorische interdisziplinäre Blockkurse zu einem Thema der Nachhaltigkeit stattfinden, in denen Studierende mit ihrem verschiedenen fachlichen Hintergrund gemeinsam an einem Thema arbeiten. So könnten sie die Erfahrung machen, dass und wie das eigene Fachwissen relevant für eine nachhaltige Entwicklung ist. Ein Zusatznutzen entsteht, indem der Synthesecharakter einer solchen Woche den Studierenden ihre Fähigkeiten und Kenntnisse aus dem Studium zumindest teilweise bündelt und so vielleicht hilft, dem unangenehmen, aber verbreiteten Gefühl entgegenzuwirken, sich innerhalb des Studiums zu verzetteln. Ich habe kürzlich von der «ETH Woche» der Critical Thinking Initiative vernommen. Sie geht genau in die von mir beschriebenen Richtung. Ein grosser Knackpunkt ist natürlich die Organisation eines solchen Lehrangebotes. Auch muss bei der Wahl der Themen und Fragestellungen sichergestellt werden, dass sich Studierende aller Fachbereiche beteiligen können. Und es müsste Anreize geben, dass sich – trotz Gruppenarbeit oder ähnlicher Formen – auch tatsächlich alle beteiligen. Ich bin also gespannt, wie die Verantwortlichen diesen Ansatz umsetzen werden und hoffe natürlich, dass sich alle Departemente beteiligen. Denn erst so wird der Komplexität des Themas Nachhaltigkeit entsprochen.

Der dritte Ansatz würde Bezugspunkte zur nachhaltigen Entwicklung portionenweise in die Lehre einbringen. Gedanken zur Nachhaltigkeit würden von Anfang an zur Normalität und der konkrete Bezug zum eigenen Studienfach wäre so auf jeden Fall gegeben. Allerdings wäre es wohl schwierig, allgemeine Rahmenbedingungen festzulegen und durchzusetzen. Zum Beispiel in welchem Umfang nachhaltige Entwicklung in jede Lehrveranstaltung eingebaut werden soll. Auch setzt dieser Weg den Willen und die Motivation der Dozierenden voraus, das Thema Nachhaltigkeit nicht nur abstrakt und theoretisch abzuhandeln.

Mein Vorschlag, der die Überlegungen zu den einzelnen Ansätzen aufnimmt, sieht folgendermassen aus:

  • Im Basisjahr jedes Studiengangs gibt es eine Lehrveranstaltung – explizit nicht auf Vorlesung limitiert – zur studiengangspezifischen Relevanz der nachhaltigen Entwicklung. Warum studiere ich dieses Studiums? Was trägt es zu einer nachhaltigen Zukunft bei?
  • Am Ende jedes Bachelor-Studiums findet eine zweiwöchige Synthese mit Fokus Nachhaltigkeit statt. Ziel ist, das Erlernte konkret und interdisziplinär für ein Problem der nachhaltigen Entwicklung anzuwenden und zu schärfen.
  • Die Nachhaltigkeit muss Eingang finden in alle Lehrveranstaltungen an der ETH. Noch auszumachen ist der konkrete Umfang. Er sollte aber klar höher sein als ein Standardsätzchen auf einer Folie. Es bieten sich externe Seite viele kleine Möglichkeiten und es wäre schön, sie zu nutzen.

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