Mit vereinten Kräften
Immer mehr Fische in Schweizer Flüssen sind von der proliferativen Nierenkrankheit betroffen. Wie man die Krankheit in Schach halten könnte, untersuchen Forschende der ETH Zürich und der Eawag zusammen mit Partnern.
Im Keller des «Aquatikums» der Eawag in Dübendorf ist es kühl und laut und riecht wie am Ufer eines Moors. Hier gedeihen Wasserschnecken, Algen und andere aquatische Lebewesen in einem kontrollierbar gemachten Stück Bach. Ein kleiner Teil des Chriesbachs, der vor dem kürzlich eröffneten Forschungsgebäude durchfliesst, wird mit kräftigen Pumpen in den Keller umgeleitet. Hier durchspült er Becken und tropft über Regale, die mit Glasplatten und Joghurtbechern bestückt sind.
Hanna Hartikainen, Postdoktorandin in der Abteilung für Gewässerökologie, interessiert sich in diesem «Bachlabor» vor allem für drei kleine Aquarien. Mehrere Glasplatten hängen dort im Wasser, auf denen bei genauerem Hinsehen ein milchig-transparentes Gewächs erkennbar ist. Diesen sogenannten Moostierchen gilt Hanna Hartikainens gesamtes Forschungsinteresse. Sie gehört weltweit zu einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern, die sich mit den wenigen Millimeter kleinen, wirbellosen Tierchen befassen.
Komplexes Wirt-Parasit-System
Moostierchen, auch Bryozoa genannt, wachsen in Kolonien unter Steinen und auf herabhängenden Baumwurzeln in Fliessgewässern. Für die Forschung von Interesse ist vor allem ihre Funktion als Wirt von Tetracapsuloides bryosalmonae (Tbryo), dem Erreger der proliferativen Nierenkrankheit (PKD). PKD ist eine Parasiteninfektion, die vor allem Salmoniden betrifft, zu denen beispielsweise Regenbogen- und Bachforellen, Saiblinge und Lachse gehören. Das Wirt-Parasit-System der Krankheit ist äusserst komplex: Moostierchen geben Tbryo im Sommer in Form von Sporen ins Wasser ab. Die Sporen infizieren den Fisch hauptsächlich über die Kiemen, von wo aus die Parasiten in die Nieren wandern. Dort wachsen sie und vermehren sich. Der Fisch wird dadurch selbst zum Wirt für den Krankheitserreger und scheidet im Herbst seinerseits Sporen über den Urin aus. Dadurch werden wiederum Moostierchen im Gewässer mit Tbryo infiziert.
Parasiteninfektion breitet sich aus
Bei den Fischen fällt die Infektion normalerweise erst auf, wenn die Wassertemperatur über 15°C steigt. Die Niere, gewöhnlich ein dünnes rotes Band entlang der Wirbelsäule des Fischs, schwillt dann zu einem grauen Schlauch an, so dick wie ein menschlicher Finger. In Lachs- und Forellenzuchten in den USA und England raffte die PKD zeitenweise bis zu 90 Prozent der Tiere dahin. Auch in Europa ist die Krankheit schon länger bekannt. Doch erst in den vergangenen Jahren breitete sie sich stark aus. Kürzlich wurden erstmals PKD-Fälle in Skandinavien gemeldet. In der Schweiz spitzt sich die Lage aktuell zu: Im Sommer 2015 haben Hartikainen und ihre Mitarbeiter im Fluss Wigger Testfänge durchgeführt. An bestimmten Stellen waren nahezu alle untersuchten Bachforellen von PKD befallen.
Die Temperatur könnte ein Schlüsselfaktor für die beschleunigte Ausbreitung der Krankheit sein. Messreihen aus Schweizer Flüssen zeigen nämlich, dass die Wassertemperaturen innerhalb der letzten 30 Jahre um bis zu 1,5°C angestiegen sind. Zudem hat das Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin der Universität Bern nachgewiesen, dass PKD bislang vor allem in tiefen Höhenlagen vorkommt, wo das Wasser entsprechend wärmer ist. «Vieles deutet darauf hin, dass die globale Erwärmung einerseits die Ausbreitung der Moostierchen begünstigt und andererseits die Todesrate bei angesteckten Fischen erhöht», erklärt Hartikainen.
Jukka Jokela, Professor für Gewässerökologie an der ETH Zürich, geht von weiteren Einflussfaktoren aus: «Die Begradigung von Bächen, der Bau von Dämmen und neue Chemikalien in den Gewässern begünstigen die Verbreitung von Moostierchen und PKD wahrscheinlich zusätzlich.» Zum Beispiel habe sich herausgestellt, dass feine Risse in Betonelementen, die für Flussbegradigungen verbaut werden, ideale Brutmöglichkeiten für Moostierchen bieten.
8000 Fischnieren als Referenzen
Jokela und Hartikainen erforschen zurzeit, wie der Parasit mit seinen beiden Wirten genetisch und immunologisch interagiert. Dies im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschungsprojekts, das im Februar 2014 gestartet ist. Drei Partneruniversitäten sind an diesem Projekt beteiligt. Am engsten arbeitet Hartikainen mit dem Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin an der Universität Bern zusammen. Die Forscherin fährt ihre im Aquatikum gezüchteten Moostierchen regelmässig von Dübendorf nach Bern. Dort werden sie von den Fischspezialisten in grossen Aquarien mit Sömmerlingen der Bachforelle eingesetzt. Daraufhin untersuchen die Forscher den Verlauf der Krankheit in Abhängigkeit von der Konzentration des Erregers, der Wassertemperatur und unterschiedlichen Parasitenstämmen.
Zudem hat die Universität Bern über die letzten zehn Jahre 8000 Fischnieren aus Schweizer Gewässern auf PKD hin untersucht sowie haltbar gemacht und katalogisiert. «Dieses Datenset ist ein Schatz und liefert mir ganz ausgezeichnete Forschungsmöglichkeiten. Es war mit ein Grund, weshalb ich aus England in die Schweiz gezogen bin», sagt Hartikainen. Durch die Extraktion von DNA aus den eingelagerten Nieren können die Forscher nämlich sehr genau zurückverfolgen, inwiefern sich der Parasit über die Jahre verändert und der Umwelt angepasst hat.
Bis Anfang 2017 will das Projektteam nicht nur die Biologie und Epidemiologie der PKD besser verstehen, sondern auch die künftige Verbreitung simulieren. Dazu entwickelt eine dritte Gruppe an der EPF Lausanne ein Modell. Auch Grundlagen für eine wirkungsvolle Bekämpfung der PKD stehen im Fokus des Projekts. Die University of Aberdeen beschäftigt sich deshalb mit den molekularen Eigenschaften des Erregers. Dieses Wissen könnte dereinst in einen Impfstoff münden. «Die multidisziplinäre Zusammenarbeit führt zu neuen und grundlegenden Erkenntnissen zur PKD», freut sich Hartikainen. «Von den kleinsten molekularen Interaktionen bis hin zur Epidemiologie der Gesamtpopulationen.»