Auf der europäischen Bühne brillieren
Zwei Nachwuchswissenschaftlerinnen und vier Nachwuchswissenschaftler der ETH Zürich erhalten einen ERC Starting Grant. Mit diesen Grants fördert der Europäische Forschungsrat junge Talente am Anfang ihrer akademischen Laufbahn. Die geförderten Projekte stammen aus den unterschiedlichsten Forschungsbereichen der ETH.
Im prestigeträchtigen Wettbewerb um die Starting Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) haben sich zwei Wissenschaftlerinnen und vier Wissenschaftler der ETH Zürich durchgesetzt. Sie erhalten je rund 1,6 Millionen Schweizer Franken Fördergeld, um damit ihre Forschungsprojekte voranzutreiben – gesamthaft fliessen also über 9,3 Millionen CHF an Forschende, die ihr Projekt über die ETH eingereicht haben. Die sechs jungen Talente stammen aus unterschiedlichen Forschungsbereichen von Visual Computing über Gesundheitswissenschaften bis hin zu Quantenoptik. Gemeinsam ist den Projekten die wissenschaftliche Exzellenz.
In unterschiedlichsten Disziplinen an der Spitze
Die Bandbreite der ausgezeichneten Forschungsprojekte freut Prof. Detlef Günther, Vize-Präsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen der ETH Zürich ganz besonders: «Unsere Talente haben sich mit den Besten ganz Europas gemessen und konnten sich durchsetzen. Dass alle aus unterschiedlichen Disziplinen kommen, spricht für die Qualität unserer jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ist auch Ausdruck dafür, dass die ETH eine äusserst erfolgreiche Berufungspolitik verfolgt.»
Insgesamt haben sich 29 ETH-Forscherinnen und -Forscher um die begehrten ERC Starting Grants beworben. 13 dieser Projekte schafften es in die zweite Ausschreibungsrunde. Elf wurden mit «ausgezeichnet» (Kategorie A) bewertet und erfüllen somit die Kriterien für einen Grant. Wer am Schluss tatsächlich einen Grant erhält, hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel davon, wie viel Geld insgesamt dem ERC zur Verfügung steht und wie viel davon an jeden einzelnen Forschenden geht.
Ungewiss ist nach wie vor, ob die Schweiz auch im nächsten Jahr als vollassoziiertes Mitglied am Forschungsprogramm «Horizon 2020» teilnehmen kann. Abhängig ist die Vollassoziierung von der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien. Die Frist für die Unterzeichnung des Kroatienprotokolls läuft bis zum 9. Februar 2017. Wird es bis dann nicht unterzeichnet, droht der Schweiz der Ausschluss aus dem europäischen Forschungswettbewerb.
Dies würde auch bedeuten, dass alle Verträge, die bis zum Ende dieses Jahres nicht unterzeichnet sind, rückwirkend als ungültig erklärt werden könnten. Davon betroffen wären auch die jüngsten sechs Gewinnerinnen und Gewinner des ERC Starting Grants. «Die Zeit drängt. Seitens Politik sind nun pragmatische Lösungen gefordert», betont Detlef Günther. «Die ERC Starting Grants sind hochangesehene und hochdotierte Leistungsausweise und deshalb bei Nachwuchsforschenden sehr begehrt. Die unsichere Situation könnte die besten Köpfe davon abhalten, in die Schweiz zu kommen, und das wäre ein grosser Nachteil für die Schweizer Forschungslandschaft.»
Die sechs Projekte im Kurzüberblick:
Katrien De Bock, ausserordentliche Professorin für Bewegung und Gesundheit, will in ihrem ERC-Projekt herausfinden, wie Blutgefässe zum Muskelstoffwechsel beitragen und wie zur Entwicklung von Typ-2-Diabetes. Die Forscherin geht davon aus, dass Muskeln und Blutgefässe intensiv miteinander kommunizieren, damit erstere optimal funktionieren und sich an sportliche Leistung anpassen können. Sie möchte aufzeigen, ob und wie diese Kommunikation während der Entwicklung von Typ-2-Diabetes unterbrochen wird. Um die Fragen beantworten zu können, kombiniert sie in vivo-, ex vivo und in vitro-Methoden. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, neue molekulare Zielstrukturen zu finden, die für therapeutische Eingriffe genutzt werden könnten.
Die seismische Tomografie hat in den letzten Jahren zahlreiche neue Erkenntnisse über das Innere der Erde geliefert. Wie entstehen Erdbeben? Wo finden sich neue Rohstoffe? Wie ist der Erdmantel aufgebaut? All diese Fragen lassen sich durch die dreidimensionale Auswertung von Erdbebenwellen beantworten. Das Potenzial dieser Methode wird allerdings noch lange nicht ausgeschöpft. Denn mit den bisherigen Modellen lässt sich jeweils nur ein kleiner Teil der gewaltigen Datenmengen auswerten. Andreas Fichtner, Assistenzprofessor für rechnergestützte Seismologie, will diese Einschränkung nun überwinden. Mit seiner Gruppe entwickelt er einen neuen Ansatz, der die Lücke zwischen den regionalen und globalen Modellen schliesst. Dadurch lässt sich das Erdinnere erstmals auf verschiedenen Skalen gleichzeitig erforschen.
Rachel Grange ist Assistenzprofessorin in Photonik am Departement Physik. Mit ihrem ERC Starting Grant wird sie untersuchen, wie nichtlineare optische Signale in Oxid-Nanomaterialien verstärkt werden können, um auf den Einsatz hoher Energiemengen und grosser Wechselwirkungsabstände verzichten zu können. Die Kernidee ist, starke optische Signale in Nano-Oxiden innerhalb des Materials nachzuweisen, ohne dass Hybrideffekte von verlustbehafteten Materialien wie Metallen einbezogen werden müssen. Sie wird dazu die Perowskit-Nanostrukturen Bariumtitanat und Lithiumniobat untersuchen. Das Schwergewicht legt Rachel Grange nicht nur auf die photonischen Eigenschaften sondern auch auf die Herstellung der schwierig formbaren Oxide. Anwendungen sind etwa Marker für die biologische Bildgebung und kompakte Geräte für die Optoelektronik.
Otmar Hilliges ist Assistenzprofessor für Informatik. In seinem ERC-Projekt möchte er neue Computerprogramme entwickeln, die es auch einem Nicht-Experten erlauben, komplexe interaktive Technologien wie tragbare Systeme (Wearables), erweiterte und virtuelle Realitäten oder personalisierte Assistenzsysteme zu erschaffen. Um solch komplexe Technologien zu entwickeln, ist üblicherweise eine breite Expertise von der Sensorentwicklung bis hin zum User Experience-Design (UX) nötig. Zudem müssen viel mehr Parameter berücksichtigt werden als bei bisherigen Computersystemen. Hilliges Ziel ist es, neuartige Algorithmen zu entwickeln, die es einem Laien ermöglichen, sehr rasch ein solches interaktives Systems sowie Varianten davon zu kreieren. So sollen effizient Lösungen für komplexe Probleme des UX-Designs gefunden werden können.
Der Mathematiker Antti Knowles beschäftigt sich mit Zufallsmatrizen. Das sind mathematische Objekte, die zahlreiche komplexe Systeme beschreiben, wie elektrische Leiter, grosse Netzwerke und grosse Mengen von statistischen Daten. Mit seinem ERC-Projekt verfolgt Knowles das Ziel, zwei Klassen solcher Zufallsmatrizen detailliert zu verstehen: dünnbesetzte Zufallsgraphen und zufällige Bandmatrizen. Ein Graph ist eine Menge von Objekten und ihre Verbindungen, wie etwa das Liniennetz der Zürcher Trams. Zufallsgraphen werden beispielsweise in grossen Kommunikationsnetzen angewandt, zufällige Bandmatrizen in der Quantentheorie der Leitung in Metallen. Knowles erwartet wichtige Erkenntnisse zu Grundfragen der Mathematik dieser Modelle. Er hat vor kurzem an die Universität Genf gewechselt, wo er sein Projekt durchführen wird.
Die Europäische Union will die CO2-Emissionen im Stromsektor bis 2050 um 93 bis 99 Prozent reduzieren. Johan Lilliestam, Oberassistent und Dozent am Institut für Umweltentscheidungen, erforscht, wie die Energiebranche den Übergang hin zu einem vollständig erneuerbaren Stromsystem vollziehen kann. In seinem ERC-Projekt will er untersuchen, inwiefern sich dieses Vorhaben und weitere energiepolitische Ziele – etwa eine geringere Nachfrage oder mehr Wettbewerb im Strommarkt – gegenseitig beeinflussen. Dazu analysiert er, ob es Zielkonflikte gibt, und wie die anderen Ziele die Kosten eines erneuerbaren Stromsystems und das Verhalten zentraler Marktteilnehmer beeinflussen. Die Resultate sollen dabei helfen, energiepolitische Ziele konfliktfrei zu gestalten, damit die europäische Transition zu den Erneuerbaren gelingt.
ERC Starting Grants
Mit diesen Grants fördert der Europäische Forschungsrat ERC unabhängige Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforscher beliebiger Nationalität mit 2 bis 7 Jahren Erfahrung nach Abschluss der Promotion und einer vielversprechenden wissenschaftlichen Karriere. Entscheidendes Kriterium für die Vergabe ist die Exzellenz des eingereichten Forschungsprojekts, das in einer öffentlichen oder privaten Forschungsorganisation, die ihren Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder einem assoziierten Staat hat, durchgeführt werden muss. Während 5 Jahren werden die Projekte mit bis zu 1,6 Millionen Schweizer Franken gefördert.