Lassen sich Konflikte vorhersagen?

Moderne datenwissenschaftliche Methoden sind auch für die Konfliktforschung von Nutzen. Doch gewisse Erwartungen an die Vorhersagbarkeit von bewaffneten Konflikten seien überzogen, schreibt Lars-Erik Cederman, Professor für Internationale Konfliktforschung an der ETH Zürich, in einem Essay in der Fachzeitschrift «Science». ETH-News hat mit ihm gesprochen.

Vergrösserte Ansicht: Conflict map
Bewaffnete Konflikte zwischen 1989 und 2015 (in Rot und Lila; Syrien ist ausgenommen). (ETH Zürich / Luc Girardin mit Daten des UCDP, der Nasa und der ETH Zürich)

ETH-News: Herr Cederman, Sie befassen sich in Ihrer Forschung mit gewaltsamen Konflikten, auch mit deren Vorhersage. Wie gut lassen sich bewaffnete Auseinandersetzungen generell vorhersagen?
Lars-Erik Cederman: Risiken für künftige bewaffnete Konflikte lassen sich tatsächlich frühzeitig erkennen. Ein grosses Risiko besteht beispielsweise in Regionen, wo ethnische Gruppen unterdrückt werden. Von Syrien etwa wusste man schon lange vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges, dass die Situation dort sehr prekär war. Doch Konflikte sind enorm komplex. In Bezug auf Vorhersagen ist die Konfliktforschung der Erdbebenforschung ähnlich: Man kann wissenschaftlich fundierte Risikokarten erstellen. Ob es in einer Region dann tatsächlich zu einem bewaffneten Konflikt kommt, und vor allem wann und wo genau, lässt sich kaum vorhersagen.

Was sind die Schwierigkeiten solcher Vorhersagen?
Die Weltgeschichte ist nie eine lineare Abfolge von logisch aneinandergereihten Ereignissen. Vielmehr verläuft sie oft sprunghaft und unvorhersehbar. Das gilt im besonderem Masse für die Gegenwart – Stichworte US-Präsident Trump und Brexit. Es ist schon schwierig genug vorherzusagen, wie Wahlen und Volksbefragungen ausgehen, obschon diese bekannten Gesetzmässigkeiten folgen. Bewaffnete Konflikte sind nicht nur viel seltener, sondern auch sehr viel komplexer. Zwar folgt ihre Wahrscheinlichkeit zum Teil erforschbaren Regelmässigkeiten, jedoch kaum rechtlich festgelegten Gesetzen oder Terminen. Speziell jetzt gilt: Eine einfache Extrapolation von Ereignissen vorheriger Jahrzehnte in die Zukunft funktioniert kaum.

Lars-Erik Cederman
(Bild: ETH Zürich / Giulia Marthaler)
«Als Konfliktforscher werden wir so schnell nicht arbeitslos.»Lars-Erik Cederman

Wissenschaftskollegen von Ihnen setzen grosse Hoffnungen in die Datenwissenschaften. Intelligente Computeralgorithmen, die beispielsweise Posts in sozialen Medien auswerten, sollen in Zukunft Vorhersagen von Konflikten ermöglichen.
Zu diesem Thema äussere ich mich gemeinsam mit einem Kollegen in einem Essay in «Science». Zweifellos stellen die Datenwissenschaften neue Werkzeuge zur Verfügung, die wir in der Konfliktforschung nutzen können. Und ich bin davon überzeugt, dass unsere Vorhersagen dank Big Data noch verbessert werden können. Doch den mancherorts geäusserten Optimismus, mit einer Anhäufung von nicht repräsentativen und qualitativ ungeprüften Daten die Präzision von Vorhersagen massiv zu verbessern und deren zeitliche und räumliche Reichweite zu erhöhen, halten wir für übertrieben. Das ist die Hauptaussage in unserem Essay.

Wo konkret könnte die Konfliktforschung in Zukunft von den Datenwissenschaften profitieren?
Medienberichte sind bedeutende Datenquellen in der Konfliktforschung. Mit einer Analyse von Schlüsselwörtern kann man beispielsweise nationalistische Entwicklungen und konfliktträchtige Situationen erkennen. Das wird heute mehrheitlich manuell gemacht. Mein Kollege Nils Weidmann, Mitautor des Essays, zeigt in seiner Forschung, dass solche Daten dank neuer Entwicklungen in der Datenwissenschaft teilweise automatisch ausgewertet werden können. Computerprogramme, welche die Bedeutung von Texten erfassen können, können beispielsweise eine Vorauswahl von Presseartikeln treffen und so die Analyse beschleunigen. Somit wären schnellere Aussagen zu politischen Entwicklungen möglich. Einige Wissenschaftler vertreten allerdings die Meinung, eine solche Analyse von hochkomplexen Konfliktverläufen sei auch ohne erhebliche Präzisionsverluste vollautomatisch möglich. Diese Hoffnung ist definitiv verfrüht. Als Konfliktforscher werden wir so schnell nicht arbeitslos.

Was spricht gegen eine vollautomatische Auswertung?
Unsere Erfahrung zeigt, dass das die computerisierte Auswertung nur begrenzt möglich ist. Für viele Sprachen, die in unserem Fachgebiet wichtig sind, gibt es gar keine bedeutungserfassenden Computerprogramme. Ausserdem braucht es den Menschen, der die Medienquellen auswählt. Man muss zudem berücksichtigen, dass die Medien in vielen Regionen nicht unabhängig sind und eine unreflektierte Auswertung ein verzerrtes Bild ergeben würde. Auch wenn man soziale Medien auswerten möchte, muss man bedenken, dass die Datenqualität hier auch teilweise fraglich ist. In vielen Regionen der Welt, und gerade dort wo Konflikte besonders wahrscheinlich sind, wird das Internet zensiert, und es ist nur einer Minderheit zugänglich.

Gibt es weitere Limits?
Es müssen überhaupt Daten vorhanden sein, bevor man sie auswerten kann. Ich befasse mich unter anderem mit der Situation in Burma. Im dortigen Dschungel sind nicht viele Menschen mit dem Internet verbunden. Wenn sich Forschende für die Ansichten der dort lebenden Menschen interessieren, müssen sie Umfragen vor Ort durchführen. Gewisse Informationen kann man allerdings auch in solchen Regionen mit Computermethoden gewinnen. In unserer Forschung nutzen wir Satellitenaufnahmen von Lichtemissionen, um daraus Rückschlüsse auf wirtschaftlichen Wohlstand und Ungleichheit zu ziehen. Gegenüber offiziellen Statistiken – sofern solche überhaupt existieren – hat diese Methode den Vorteil, dass man damit auch kurzfristige Entwicklungen sehr schnell erfassen kann.

Zur Person

Lars-Erik Cederman (53) ist seit 2003 Professor für Internationale Konfliktforschung an der ETH Zürich. In seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit beschäftigt er sich schwerpunktmässig mit den gewaltsamen Konsequenzen von Nationalismus und Staatenbildung.

Literaturhinweis

Ein Essay zum Thema Vorhersagen bewaffneter Konflikte, den Cederman gemeinsam mit Nils Weidmann, Professor an der Universität Konstanz, verfasste, erschien in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift «Science»:

Cederman LE, Weidmann NB: Predicting armed conflict: Time to adjust our expectations? Science, 3. Februar 2017, doi: externe Seite 10.1126/science.aal4483

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert