Konstant bei den Besten
ETH-Forscher haben aus der letzten Ausschreibung acht der begehrten Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) erhalten – mehrere dieser Wissenschaftler bereits zum zweiten Mal. Die ETH Zürich ist seit dem Start des Programms vor zehn Jahren konstant unter den erfolgreichsten Institutionen.
Die acht Forscher sind allesamt ordentliche oder ausserordentliche Professoren, zum Teil seit vielen Jahren. Das Themenspektrum ist breit und reicht von der Mikro- über die Systembiologie und die organische Chemie bis zur Quantenphysik. Die eingeworbenen Mittel sind je zwischen zwei und drei Millionen Euro hoch, und die Gesamtsumme beläuft sich auf rund 20,2 Millionen Euro. Drei der Geförderten haben es bereits zum zweiten Mal geschafft, diese wohl derzeit höchste Auszeichnung für Pionierforschung zu erhalten. Zusätzlich bekamen weitere sieben Forscherinnen und Forscher ein A-Rating („ausgezeichnet“), die damit die Kriterien für einen Grant eigentlich erfüllen.
Die Exzellenz-Strategie greift
Der Erfolg der arrivierten ETH-Forschenden freut Detlef Günther, ETH-Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen, besonders: «Unsere Forscherinnen und Forscher gehören über viele Jahre konstant zur absoluten Spitze und können sich mit ihren Projekten international durchsetzen. Das beweist ihre enorme Qualität in der Wissenschaft. Aber der Erfolg zeigt auch, dass sich die Talente an der ETH langfristig entwickeln können.»
Blickt man zurück auf die erste ERC-Dekade ab 2007 mit den Programmen FP7 und Horizon2020, wird die eindrückliche Erfolgsquote der ETH Zürich sichtbar. Sie erreichte bei den Advanced Grants europaweit mit 66 Grants den 3. Rang. In dieser Zeit haben ETH-Forschende insgesamt fast eine Viertelmilliarde Euro eingeworben (242,1 Millionen Euro) und insgesamt 134 ERC-Grants zugesprochen bekommen. Konkret sind dies 47 Starting Grants, 8 Consolidator Grants, 67 Advanced Grants, 11 Proof of Concepts – die ergänzend zu einem Grant den Transfer einer Forschung in den Markt vorbereiten – sowie ein Synergy Grant, um den sich in bisher zwei Ausschreibungen Gruppen von zwei bis vier herausragenden Forschenden bewerben konnten. Bemerkenswert ist auch, dass über alle Grant-Kategorien hinweg die Erfolgsquote der ETH-Gesuche knapp 30 Prozent betrug. Die durchschnittliche Erfolgsquote aller europäischen Institutionen beträgt 11,4 Prozent.
Anknüpfen an bisherige Erfolge
Die Zahlen hätten sogar noch besser sein können: Bekanntlich war die Schweiz im Jahr 2014 aufgrund der Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative von zwei ERC Ausschreibungen ausgeschlossen. Der Schweizerische Nationalfonds hat deshalb ein Ersatzprogramm durchgeführt. Dank der Unterzeichnung des Kroatienprotokolls im letzten Dezember kann sich die Schweiz wieder vollumfänglich an Horizon 2020 beteiligen. «Ich bin sehr erleichtert über diesen Schritt. Die Teilnahme ist für die Schweiz und die ETH sehr wichtig», hält Detlef Günther fest. «Unsere Forschenden müssen sich mit der europäischen Konkurrenz messen können. Die ERC-Grants haben sich sehr schnell zu einem renommierten Instrument zur Förderung exzellenter Forschung entwickelt, um die sich alle Forschungsinstitutionen in Europa bewerben. Deshalb freut es mich sehr, dass unsere Wissenschaftler in der aktuellen Ausschreibung an die bisherigen Erfolge der ETH anknüpfen können.»
Die acht Projekte im Überblick:
Tilman Esslinger, Professor für Quantenoptik, erhält bereits zum zweiten Mal einen ERC Advanced Grant zugesprochen. In seinem neuen Projekt untersucht er elementare Transportmechanismen in einem Regime, in dem die Gesetze der Quantenphysik gelten. Es geht um die Frage: Wie gelangen Materie, Wärme oder magnetische Ausrichtung von A nach B? Dazu wird er mit seiner Gruppe Atomgase auf Temperaturen von unter 100 Nano-Kelvin abkühlen. Die Gase werden in einer Anordnung aus Lichtkäfigen gefangen gehalten und mithilfe von hochempfindlichen Kameras beobachtet. Den Transport in diesem Regime zu verstehen ist eine Voraussetzung, um Geräte und Computer mit neuen Funktionalitäten zu bauen, in denen Effekte der Quantenphysik eine zentrale Rolle spielen.
Mustafa Khammash ist Professor für Regelungstheorie und Systembiologie. Er forscht an den Schnittstellen von Systembiologie, Synthetischer Biologie und Regelungstechnik. Mit seinem ERC-Grant möchte er Regelungssysteme entwickeln, mit denen er das dynamische Verhalten von lebenden Zellen in Echtzeit präzise steuern kann, entweder über einen externen Computer oder über neuartige genetische Schaltkreise, die er in die Zelle einbaut. Das Projekt beinhaltet nicht nur die Entwicklung von Theorien und Methoden, sondern auch von Regelungssystemen für biotechnologische und therapeutische Anwendungen.
Beat H. Meier ist Professor für Physikalische Chemie und beschäftigt sich mit der Ermittlung der atomaren Struktur von Biomolekülen mittels Kernspinresonanz (NMR). In seinem ERC-Projekt möchte er diese Technik weiterentwickeln, um damit die atomare Struktur insbesondere von komplexen biologischen Systemen mit einer höheren räumlichen Auflösung zu ermitteln. Beispiele für solche Systeme sind in die Zellmembran integrierte Proteine sowie Amyloid-Proteine, welche dünne Fasern bilden und unter anderem bei der Alzheimer-Krankheit eine Rolle spielen. Erreichen möchte Meier die höhere Auflösung durch eine Weiterentwicklung der Mechanik für deutlich schnellere Proben-Rotation sowie durch eine Verbesserung der Radiofrequenz-Pulstechnologie.
Frédéric Merkt, Professor für Physikalische Chemie, wird in seinem ERC-Projekt chemische Reaktionen von geladenen Atomen und Molekülen (Ionen) mit neutralen Molekülen bei extrem tiefen Temperaturen untersuchen. Ein spezielles Augenmerk wird dabei auf quantenphysikalischen Effekten liegen. Untersuchungen knapp über dem absoluten Temperatur-Nullpunkt (minus 273 Grad Celsius) waren bisher mit Ionen schwierig umzusetzen, da bei diesen Temperaturen bereits geringe elektrische Störfelder die Ionen erwärmen können. Um die Messungen zu realisieren, werden Merkt und seine Forschungsgruppe die Ionen und ihre Reaktionspartner innerhalb der Bahn eines hochangeregten (Rydberg) Elektrons vor Störfeldern schützen. Für Merkt ist dies bereits der zweite ERC Advanced Grant. Einen ersten erhielt er 2008.
Ralph Müller, Professor für Biomechanik, interessiert sich dafür, wie mechanische Vibrationskräfte die Entwicklung von Knochen beeinflussen. Ein spezielles Augenmerk legt er dabei auf die Fähigkeit der Knochen, sich im Lauf des Lebens anzupassen und zu regenerieren. In seinem ERC-Projekt will Müller untersuchen, welche Zelltypen an diesen Vorgängen beteiligt sind und wie diese Zellen auf altersbedingte Veränderung reagieren. Konkret will er mit Hilfe von Genomsequenzierung von Einzelzellen verstehen, wie sich molekulare Alterungsprozesse unter mechanischer Belastung auf den Knochenumbau auswirken. Dieses Verständnis könnte in Zukunft Trainingsprogramme im Rahmen der personalisierten Medizin erlauben, die Osteoporose-bedingte Knochenbrüche verhindern und Frakturen beschleunigt heilen sollen.
Bradley Nelson ist Professor für Robotik und intelligente Systeme und ein Experte für Mikrorobotik. Er erhält bereits zum zweiten Mal einen ERC Advanced Grant. In seinem aktuellen ERC-Projekt möchte er Mikroroboter aus weichen, flexiblen Materialien entwickeln, welche ihre Form ändern können und die im Rahmen von medizinischen Therapien zum Einsatz kommen sollen. Als Vorbild dienen Mikroorganismen wie Bakterien oder andere kleine Einzeller. Die weichen Mikroroboter sollen aus magnetischen Hydrogelen gefertigt werden. Ausserdem möchte Nelson im ERC-Projekt flexible und magnetische Katheter entwickeln, mit denen die therapeutischen Mikroroboter im Körperinnern an die gewünschte Stelle gebracht werden können.
Jörn Piel ist Professor am Institut für Mikrobiologie und erforscht mit seiner Gruppe die grundlegenden Prozesse, mit denen Bakterien Naturstoffe erzeugen. Solche Substanzen sind Basis vieler Medikamente, oftmals werden sie aber in der Natur nur in geringen Mengen produziert und sind zu komplex für chemische Synthesen im grossen Massstab. Piels ERC-Projekt möchte verstehen, wie solche komplexen biosynthetischen Prozesse während der Evolution entstehen. Die Einsichten aus der Natur werden dann im Labor angewendet, um durch synthetische Biologie massgeschneiderte bakterielle Produktionssysteme zu erzeugen. Das Projekt könnte dadurch seltene bioaktive Substanzen sowie neue, nicht-natürliche Varianten für die Arzneistoffentwicklung zugänglich machen.
Renato Zenobi ist Professor für Analytische Chemie. In seiner Forschung entwickelt und nutzt er Verfahren der Massenspektrometrie sowie der Nano-Analytik. Eines dieser Verfahren ist die sogenannte spitzenverstärkte Raman-Spektroskopie, die in seinem Labor erfunden wurde. In seinem ERC-Projekt will Zenobi diese bildgebende Spektroskopie-Methode weiterentwickeln, um damit die Nanostruktur empfindlicher zweidimensionaler molekularer Materialien zu untersuchen wie etwa biologische Membranen oder künstlich hergestellte, flächige Polymere, ohne dass diese bei der Messung Schaden nehmen.