Vermesser der neuronalen Netzwerke
Maxwell Biosystems entwickelt Mikroelektroden-Plattformen, die in der Pharmabranche für elektrophysiologische Tests von Nervenzellen verwendet werden. Jetzt durfte das Jungunternehmen von der Förderinitiative Venture Kick CHF 130‘000 Startkapital entgegennehmen.
Der Geschäftssitz von Maxwell Biosystems liegt gut versteckt in einem ehemals von Syngenta genutzten Laborgebäude in Basel, nur einen Steinwurf vom Departement Biosysteme der ETH Zürich (D-BSSE) entfernt. Noch sind die meisten Räume leer. Doch im dritten Stock, am Ende eines langen Ganges, weht in einem grosszügigen Labor schon heute ein Hauch von Gründerstimmung. Das Jungunternehmen zog erst im Februar hier ein, nachdem Urs Frey und Jan Müller, zwei ehemaligen Elektrotechnik-Doktoranden der ETH Zürich, Michele Fiscella, ein Biotechnologe vom D-BSSE und Marie Obien, eine Neurowissenschaftlerin, Maxwell Biosystems im September 2016 gegründet hatten.
Seither wurden zwei weitere Mitarbeiter rekrutiert und ein erstes Produkt in den Markt eingeführt: «MaxOne», eine Mikroelektroden-Plattform für elektrophysiologische Zellanalysen. Herzstück des Systems ist ein Mikrochip, über welchen die Funktionalität von Nervenzellen gemessen werden kann. Zum Beispiel um herauszufinden, wie diese auf die Zugabe eines bestimmten Wirkstoffs reagieren. Dafür werden entweder hauchdünne Hirnschnitte von Versuchstieren auf den Chip gelegt, oder es wird eine Zellenlösung auf den Chip pipettiert und anschliessend während mehreren Tagen inkubiert. Über eine spezielle Software kann die Aktivität der Zellen visualisiert werden. Und dies mit bestechender Auflösung: «Traditionell wurden solche Messungen mit 64 Messpunkten durchgeführt, was die Berechnung eines Durchschnitts erlaubte», erzählt CEO Urs Frey. «Unser System hat hingegen 26`400 Messpunkte. Damit lässt sich die Reaktion auf der Ebene von einzelnen Zellen messen.» Die rund 1000 Mal höhere Auflösung eröffnet Biologen und Neurowissenschaftlern neue Möglichkeiten: Zum Beispiel lässt sich so die Ausbreitung von Aktionspotentialen durch Axone, Teilstücken von Nervenzellen, verfolgen und visualisieren. Dadurch erhalten Experten zusätzliche Informationen, wie Nervenzellen auf bestimmte Wirkstoffe reagieren.
Know-How aus Gruppe Hierlemann
«MaxOne» geht auf jahrelange Forschung und Entwicklung zurück. Frey arbeitete als Doktorand in der Gruppe von ETH-Professor Andreas Hierlemann und später als Gruppenleiter am RIKEN Institut in Kobe, Japan. Hierlemann ist ein Pionier in der Entwicklung von chemischen und biologischen Mikrosensorsystemen, die auf Halbleiter basieren. Hierlemann und Frey haben in mehreren Publikationen gezeigt, dass sich die von ihnen entwickelten Mikroelektronik-Plattformen ideal dazu eignen, um sowohl die Funktion einzelner Nervenzellen als auch diejenigen neuronaler Netzwerken besser zu verstehen. «Irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem wir beschlossen, das System zu kommerzialisieren», erzählt Frey.
Das Startkapital für die Firma schossen die Gründer selbst ein. Zusätzlich wurden sie zunächst mit 30`000 Franken vom Start-up-Wettbewerb «Venture Kick» unterstützt; und eben durften sie weitere 100`000 Franken entgegennehmen. Die Kommission für Technologie und Innovation des Bundes (KTI) half beim Erarbeiten eines Businessplans und das Team machte sich daran eine Produktions- und Vertriebsstruktur aufzubauen. Der Chip wird heute von einem deutschen Produzenten in Malaysia hergestellt, die Platine kommt aus China und das Zusammenfügen der Komponenten übernimmt ein japanischer Partner. Anschliessend wird die Mikroelektronik-Plattform im Labor in Basel noch funktionalisiert und getestet. In den vergangenen Monaten hat das Spin-off eine Handvoll Geräte an Universitäten und Forschungsinstitute in Europa ausgeliefert; auch an der ETH sind sie im Einsatz. «Wir haben viele Interessenten, aber einige zögern noch, mehrere zehntausend Franken für ein System auszugeben, hinter dem ein junges Unternehmen steht», sagt Frey. Deshalb investiert sein Team aktuell viel Zeit für Besuche von wissenschaftlichen Konferenzen und bei potentiellen Kunden, um «MaxOne» mit Proben von Nervenzellen aus den entsprechenden Labors zu demonstrieren.
Im Fahrwasser des Stammzellen-Booms
Frey ist überzeugt, dass sein Team mit dem richtigen Produkt zur richtigen Zeit auf den Markt kommt. Die Nachfrage nach aussagekräftigen neuronalen Analysen wird derzeit durch die rasante Weiterentwicklung und Verbreitung von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) in Wissenschaft und der Pharmaindustrie beflügelt. IPS werden durch biotechnologische Manipulation aus menschlichen Haut- oder Blutzellen gewonnen und dann zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Organzellen umfunktioniert. Solche humanen Stammzellen verringern die Abhängigkeit von aufwendigen Tierversuchen. Zudem bilden sie den menschlichen Organismus besser ab. «Die Aussagekraft von In-Vitro-Versuchen wird über iPS-Zellen nochmals bedeutend erhöht», erklärt Frey.
Maxwell Biosystems kooperiert deshalb nicht nur weiterhin mit Hierlemanns Foschungsgruppe und dem Friedrich Miescher Institut, sondern auch mit mehreren Basler Pharmaunternehmen. Letztere sind besonders an elektrophysiologischen Analysen im Rahmen von automatisierten Medikamenten-Screenings interessiert. Dafür entwickelt das Unternehmen aktuell «MaxTwo», eine Platte, etwa so gross wie ein A5-Blatt, bestückt mit 96 Mikrochips für serielle Messungen.
Beitrag zur Personalisierten Medizin
Längerfristig könnten die Mikroelektronik-Plattformen auch im Bereich der Personalisierten Medizin eingesetzt werden. Bereits gelang es Forschenden mittels iPS-Zellen Retinagewebe zu züchten, das einst Patienten mit einer altersbedingten Makuladegeneration – einer weit verbreiteten Augenkrankheit – transplantiert werden soll. Frey und sein Team haben in mehreren Publikationen bewiesen, dass sich ihre Technologie für funktionale Tests von Retinagewebe eignet.
Bis die Maxwell-Instrumente aber auch in Kliniken anzutreffen sind, werden noch einige Jahre vergehen. «Zuerst müssen wir an den Universitäten Vertrauen schaffen», sagt Frey. Er ist aktuell mit mehreren renommierten Forschungsgruppen in Verhandlungen. Und er liebäugelt damit, dass «MaxOne» in einer der nächsten grossen Publikationen dieser Gruppen erwähnt wird. Denn dies wäre die beste Werbung überhaupt, die dem jungen ETH-Spin-off sicherlich weitere Bestellungen sichern würde.