Den Klimawandel verstehen
Jeremy Rugenstein erforscht, wie sich das Klima seit dem Aussterben der Dinosaurier verändert hat. Vom Blick zurück erhofft sich der ETH-Fellow Informationen über das Klima der Zukunft.
Es sind hochaktuelle Fragen, die sich Jeremy Rugenstein, Postdoktorand am Geologischen Institut der ETH Zürich, stellt: Was passiert mit der Erde, wenn die Menschheit die Atmosphäre weiterhin mit Kohlendioxid anreichert? Wie werden sich Temperatur, Niederschläge und Vegetation entwickeln? Wird es feuchter oder trockener?
Fossile Böden speichern Klimadaten
Statt in die Zukunft reist der Forscher allerdings Millionen von Jahren in die Vergangenheit: Er analysiert versteinerte Böden und entlockt ihnen Informationen zum urzeitlichen Klima. «Indem wir in eine Zeit zurückschauen, als die Atmosphäre noch wesentlich mehr Kohlendioxid enthielt, können wir verstehen, wie sich das Klima bei verschiedenen CO2-Konzentrationen verhält – und somit auf das zukünftige Klima schliessen», erklärt er.
Paläoklimatologie heisst das Forschungsgebiet. Während seiner Dissertation erforschte der Amerikaner das Urzeitklima in Zentralasien. Er konnte zeigen, dass sich anhand von Sedimentgestein und dessen massenspektrometrischer Untersuchung ermitteln lässt, wieviel Niederschlag es in früheren Zeiten gab und wie üppig die Vegetation wuchs. «Die Pflanzen sind für das Klima deshalb wichtig, weil sie mit ihrer Wassernutzung bestimmen, wieviel davon auf der Erde frei verfügbar ist», sagt Rugenstein.
Die Informationen zum Befinden der urzeitlichen Vegetation entlockte der Geochemiker den heute versteinerten Böden, in denen sie einst wuchs. Dort hinterliessen die Pflanzen durch Wurzelatmung CO2, das in Form von Kalziumcarbonat bis heute erhalten geblieben ist. Dieses Mineral, insbesondere die darin enthaltenen Isotope von Kohlenstoff und Sauerstoff, ermöglichen dem Forscher Rückschlüsse auf die Vergangenheit: Kohlenstoff darauf, wie viel Grün damals spross, und Sauerstoff auf die Menge und sogar die Herkunft von Regen.
Feldarbeit in Zentralasien
Die Gesteinsproben für seine Untersuchungen sammelte der ETH-Fellow in China, Kasachstan und vor allem der Mongolei. Heute sind die sogenannten Paleoböden unter anderen Gesteinsschichten begraben und nur an exponierten Stellen wie Berghängen oder Strasseneinschnitten zugänglich.
Wo Jeremy Rugenstein forscht (Bilder: J. Rugenstein, Derek Sjostrom)
«Die Arbeit im Feld ist ziemlich anstrengend», erzählt Rugenstein: Ein langer Flug, tagelange Autofahrten auf staubigen Pisten, stundenlange Suche nach den richtigen Gesteinsschichten, Fundstellen genauestens dokumentieren, mit dem Hammer kleine Felsstücke abschlagen. «Trotzdem bin ich sehr gerne im Feld», betont er. Ihm gefallen Wüstenlandschaften, die Trockenheit, die Weitsicht. «Das fühlt sich an wie zuhause.» Kein Wunder: Rugenstein kommt aus Albuquerque, New Mexico, wo die Wüste vor der Haustüre liegt.
Im Nationalpark zur Geologie
Auf die Frage, ob er sich schon immer mit Paläoklimatologie beschäftigen wollte, schmunzelt der Forscher: «Ursprünglich wollte ich Rabbiner werden.» Vor allem wegen der ethischen und philosophischen Fragen, mit denen sich diese täglich beschäftigen. Auch von zuhause war die Forschungsrichtung nicht vorgespurt. Der Vater ist Physikprofessor, die Mutter Anwältin.
Während der Highschool begann sich Rugenstein mit dem Klimawandel zu befassen. Mit Geologie kam er erstmals im Cibola National Forest in Berührung. Dort führte der damals 18-Jährige als Park Ranger Besuchergruppen.
Dass Gestein und Klima zusammenhängen, realisierte er erst später: Im naturwissenschaftlichen Grundstudium an der Universität in Houston, Texas, belegte er eine Vorlesung, in der es um den Zusammenhang zwischen Geologie und Klimawandel ging. «Da wurde mir klar, dass sich mithilfe der Geologie Fragen des Klimawandels beantworten lassen», sagt der Forscher. «Seitdem bin ich Geologe.»
Das Klima der letzten 65 Millionen Jahre
Der heute 30-Jährige befasst sich vorwiegend mit den fossilen Böden des Känozoikums, der sogenannten Erdneuzeit. Sie umfasst die letzten 65 Millionen Jahre, das heisst den Zeitraum vom Aussterben der Dinosaurier bis heute. Man merkt ihm seine Unterrichtserfahrung an, wenn er das Erdzeitalter beschreibt, in dem sich Säugetiere und Blütenpflanzen über weite Teile der Landmassen ausbreiteten.
«Vor rund 50 Millionen Jahren war es am wärmsten. Sehr wahrscheinlich gab es damals nirgends auf der Erde permanentes Eis. In der Antarktis wuchsen Palmen und in Grönland tummelten sich Krokodile», skizziert Rugenstein die Szenerie der Urzeit. Ihn interessiert besonders, warum die Durchschnittstemperaturen seither um 10 bis 15 Grad Celsius gefallen sind und in der selben Zeit der Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre von rund 2000 ppm (parts per mllion) auf unter 400 ppm gesunken ist.
Vulkane und Meeresorganismen
Aktuell beschäftigt sich der Wissenschaftler, der klar eine akademische Karriere anstrebt, schwerpunktmässig mit der Verwitterung von Gestein und der Frage, wie dieser Vorgang mit dem CO2-Gehalt der Atmosphäre zusammenhängt.
Er erklärt: «In einer Welt ohne moderne, industrialisierte Gesellschaft gelangt das meiste Kohlendioxid durch Vulkane in die Atmosphäre. Wieder entzogen wird ihr der grösste Teil davon über die Verwitterung von Gestein.» Kurz umrissen geht das so: In Regenwasser gelöstes CO2 erzeugt Säure und reagiert mit Silikatgestein. Dabei entsteht Bicarbonat, das über den Wasserkreislauf ins Meer geschwemmt wird. Dort nehmen es Meeresorganismen wie Korallen auf und bauen damit Riffe auf. Auf diese Weise wird das CO2 dem globalen Kohlenstoffkreislauf für lange Zeit entzogen.
Neue Perspektiven an der ETH
Um nun der Rolle der Verwitterung von Silikatgestein innerhalb des Kohlenstoffkreislaufs genauer auf den Grund zu gehen, forscht Rugenstein seit Januar 2017 als ETH-Fellow an der Professur für Sedimentologie. Hier tüftelt er unter anderem intensiv an Computermodellen, mit denen sich die Verwitterungsprozesse simulieren lassen.
Dass er als Geochemiker in seiner Forschungsgruppe an der ETH von lauter Geophysikern umgeben ist, empfindet Rugenstein als Bereicherung. Er mag es, seine Forschungsfragen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und seine eigene Fachkompetenz in fremde Forschungsgebiete einzubringen. Deshalb ist ihm Vernetzung mit anderen Forschenden sehr wichtig. Unter diesem Aspekt empfindet er die relativ grosse Forschungsgruppe, in der er an der ETH arbeitet, eher als Nachteil: «Ich komme kaum dazu, mit Wissenschaftlern ausserhalb der Gruppe über meine Arbeit zu sprechen.»
Faible für öffentlichen Verkehr
In der Schweiz gefällt es Rugenstein sehr gut. In seiner Freizeit wandert er gerne in den Alpen. Als grosser Fan des öffentlichen Verkehrs – er hatte schon in den USA kein Auto – freut er sich über das gut ausgebaute Schweizer öV-Netz: «Hier kann ich mit Bahn und Bus in kurzer Zeit fast jeden Wanderweg erreichen.» Erst am Schluss fällt ihm doch noch etwas ein, was ihm in der Schweiz fehlt: «Es gibt hier keine richtige Wüste.»