Ein Bewusstsein für die Risiken naturwissenschaftlicher Forschung

Für die Medizin sind neue Forschungsergebnisse aus Biologie und Chemie ein Segen. Werden sie jedoch für kriegerische Zwecke missbraucht, offenbaren sie eine dunklere Seite. Wie kann man mit dem «Dilemma der doppelten Anwendung» umgehen? Das war das Thema eines Kurses für Biologie- und Chemie-Studierende.

Vergrösserte Ansicht: Zur realistischen Einschätzung von Risiken der biologischen und chemische Forschung, arbeiten ETH-Sicherheitsexperten eng mit dem Labor Spiez (im Bild) zusammen und vermitteln ihr Wissen an Studierende. (Bild: Peter Schneider / Keystone)
Zur realistischen Einschätzung von Risiken biochemischer Forschung arbeiten ETH-Sicherheitsexperten mit dem Labor Spiez zusammen. (Bild: Keystone)  

Grippeviren verändern sich ständig. Entsprechend muss der menschliche Körper seine Immunabwehr immer wieder neu auf sie einstellen. Wie aber verhält es sich mit Virentypen, mit denen sich Menschen – wie bei der Vogelgrippe – nicht anstecken können? Werden sie sich eines Tages so verändern, dass sie die Menschen doch gefährden?

Mit den genetischen Methoden der Biowissenschaften lässt sich diese Frage im Labor untersuchen. Zum Beispiel können Forschende bestimmte Genaktivitäten verstärken, um herauszufinden, welche Veränderungen das Vogelgrippe-Virus für Menschen gefährlich machen könnten.

Tatsächlich gelang es 2011 niederländischen und japanischen Forschern, das Vogelgrippe-Virus in Hochsicherheitslabors so zu modifizieren, dass er sich von Vögeln auch auf Säugetiere übertragen liess. Das Experiment löste eine internationale Debatte um die Chancen und Risiken von Forschung mit potenziell gefährlichen Viren aus.

Zum Beispiel können die Forschungsergebnisse eine Basis für künftige Impfstoffe bilden oder für Massnahmen, die eine Ausbreitung verhindern. Was aber passiert, wenn jemand Grippeviren – oder andere Krankheitserreger – ansteckender macht, um sie im Krieg oder bei Terroranschlägen einzusetzen, oder sie so verändert, dass Diagnosen erschwert oder Impfungen unwirksam werden?

Nutzen oder Schaden? Das «Dual-Use Dilemma»

Die komplexen Risiken, die der wissenschaftliche und technologische Fortschritt an der Schnittstelle von Biologie, Chemie und Sicherheitspolitik verursachen kann, untersucht Claudia Otto. Sie forscht am Center for Security Studies (CSS), dem Kompetenzzentrum der ETH Zürich für Sicherheitspolitik.

«Die Forschung am Vogelgrippe-Virus ist ein Beispiel für das ‹Dilemma der doppelten Anwendung›. Dieses besagt, dass man Wissen, Technologien und Produkte der Forschung, die man für legitime Zwecke und zum Nutzen des Menschen entwickelt, auch zum Schaden von Mensch und Umwelt verwenden könnte», erklärt die Risikoforscherin und Biochemikerin Claudia Otto. Ihre Doktorarbeit hat sie zum Thema der DNA-Reparatur und Zytotoxizität geschrieben.

Am CSS entwickelt Claudia Otto auch Ausbildungskonzepte, um Studierende und angehende Forschende für die «Dual-Use-Problematik» zu sensibilisieren. «Die Fähigkeit angehender Forschender, die Risiken ihrer Forschung kritisch zu beurteilen, ist entscheidend, um die Forschungsintegrität gegenüber aufkommenden Sicherheitsbedenken zu bewahren», sagt sie.

Dazu ergänzt Oliver Thränert: «Bewusstseinsbildung hat zum Ziel, dass sich Studierende und Forschende schon früh in der Ausbildung bewusst machen, dass ihre Forschung auch Missbrauchsmöglichkeiten bietet, und was sie dagegen tun können – zum Beispiel in Form von Verhaltenskodizes.» Thränert leitet den Think Tank, der am CSS Politik- und Forschungsberatung betreibt.

Im Herbstsemester 2017 haben Otto und Thränert nun erstmals eine Lehrveranstaltung zum Dual-Use Dilemma für ETH-Studierende aus Biologie, Chemie und Gesundheitswissenschaften durchgeführt. Insgesamt 21 Bachelor-, Master- und Doktorats-Studierenden nahmen teil – mit Herkunft aus Nord- und Südeuropa, Nordamerika und Asien. Anhand von Fallstudien, zu denen auch die Debatte um die Forschung an der Vogelgrippe gehörte, vertieften sie sich in die verschiedenen Perspektiven der Dual-Use-Problematik.

Wissen, wie die Sicherheitspolitik funktioniert

Ein wichtiger Aspekt des Kurses war es, die Studierenden mit dem politischen, militärischen und institutionellen Hintergrund vertraut zu machen, der international gewährleisten soll, dass biologische und chemische Technologien nicht zu Kriegszwecken eingesetzt werden. Dazu wurden historische Beispiele für offensive Bio- und Chemiewaffenprogramme behandelt und Gastreferenten eingeladen, die sich in der Praxis mit Chemie- und Biosicherheit und internationaler Sicherheitspolitik befassen.

Vergrösserte Ansicht: Forschung mit potenziell gefährlichen Viren kann einen grossen Nutzen für die Gesellschaft haben – wie zum Beispiel dieser Prototyp eines universellen Grippe-Impfstoffs. Sie birgt aber auch Sicherheitsrisiken. (Bild: NIAID)
Viren-Forschung: Grosser Nutzen kann Sicherheitsrisiken bergen. (Bild: NIAID) 

«Uns ist es wichtig, dass Studierende verstehen, wie sicherheitspolitische Entscheidungen gefällt werden und wie die Rüstungskontrolle bei Bio- und Chemiewaffen funktioniert», legt Thränert dar.

In den USA zum Beispiel führte die Debatte um den Vogelgrippevirus 2014 dazu, dass die Finanzierung von Forschung an potenziell gefährlichen Viren gestoppt wurde. Im Dezember 2017 hat die Regierung dieses Moratorium aufgehoben. Neu soll ein Gremium der Nationalen Gesundheitsinstitute die Sicherheitsaspekte der Forschungsanträge prüfen, bevor diese finanziert werden.

Risiken einschätzen – mit dem Labor Spiez

Eine zentrale Rolle in der Rüstungskontrolle spielen die internationalen Verbotskonventionen gegen Biologie- und Chemiewaffen, die auch die Schweiz unterzeichnet hat. Die für den Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Gefahren, Rüstungskontrolle und Umweltanalysen zuständige Schweizer Fach- und Forschungsstelle ist das Labor Spiez.

Die Sensibilisierung der Studierenden und Forschenden ist denn auch Teil einer weitergehenden Zusammenarbeit des CSS mit dem Labor Spiez im Bereich der Risikoeinschätzung. Diese Zusammenarbeit umfasst auch den Aufbau eines Netzwerks von Analyselabors, die im Verdachtsfall die Anwendung von Bio- oder Chemiewaffen wissenschaftlich und politisch akzeptiert nachweisen können. Ausserdem organisieren die ETH Zürich und das Labor Spiez alle zwei Jahre die «Spiez Convergence».

Bei dieser internationalen Tagung treffen sich Fachleute aus Wissenschaft, Industrie und Sicherheitspolitik, um die Chancen und Risiken neuer wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen einzuschätzen. Die nächste «Spiez Convergence» findet im September 2018 statt.

Literaturhinweise

Barmet C., Thränert O. C-Waffenverbot in schwerem Fahrwasser. CSS Analysen zur Sicherheitspolitik, 2017, 207. Download

Otto C., Thränert O. B-Waffen und der Fortschritt der Naturwissenschaften. CSS Analysen zur Sicherheitspolitik, 2016, 198. Download

Otto C. Kooperation mit dem Labor Spiez: Risiken aus der Konvergenz von Biologie und Chemie. Bulletin z. Schweiz. Sicherheitspolitik, 2016, 139 (50), pp 157–162. Download

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