Die Quantenphysik in die fassbare Realität umgesetzt

ETH-Physiker haben einen Silizium Wafer entwickelt, der sich bei Anregung durch Ultraschall wie ein sogenannter topologischer Isolator verhält. Damit gelang es ihnen, ein abstraktes theoretisches Konzept in ein makroskopisches Produkt umzusetzen.

Silizium Wafer wird mit Ultraschall angeregt
Wenn der Silizium-Wafer an einer Stelle mit Ultraschall angeregt wird, beginnt er zu vibrieren – allerdings nur an den Ecken. (Grafik: scixel)

Das übliche Vorgehen ist so: Man hat ein komplexes physikalisches System und versucht dann, dessen Verhalten mit einem möglichst einfachen Modell zu erklären. Dass auch das Umgekehrte geht, zeigt Sebastian Huber, Assistenzprofessor am Institut für Theoretische Physik: Er entwickelt makroskopische Systeme, die genau diejenigen Eigenschaften aufweisen, welche von der Theorie vorausgesagt werden, bisher aber noch nicht auf dieser Ebene beobachtet werden konnten.

Bereits vor zweieinhalb Jahren gelang ihm dazu ein anschauliches Beispiel. Zusammen mit seinem Team baute er eine mechanische Vorrichtung bestehend aus 270 Pendeln, die über Federn so miteinander verbunden sind, dass sich die Installation wie ein sogenannter topologischer Isolator verhält. Das heisst: Pendel und Federn sind so dimensioniert, dass sich bei einer Schwingungsanregung von aussen nur die Pendel an den Rändern der Installation bewegen, nicht aber diejenigen in der Mitte (ETH-News berichtete).

Schwingung nur an den Ecken

Auch bei der neuen Arbeit, die diese Woche in der Fachzeitschrift externe Seite Nature publiziert wird, geht es um ein makroskopisches System. Diesmal handelt es sich jedoch nicht um eine grosse mechanische Vorrichtung, sondern um einen handlichen Gegenstand. Huber hat mit seinem Team einen rund 10 mal 10 Zentimeter grossen Silizium-Wafer strukturiert, der aus 100 kleinen Plättchen besteht, die über dünne Stege miteinander verbunden sind. Der Clou: Wenn man die Platte mit Ultraschall anregt, schwingen nur die Plättchen an den Ecken, während die anderen Plättchen ruhig bleiben, obwohl sie alle miteinander verbunden sind.

Die Inspiration für das neue Material erhielt Huber durch eine Publikation, die vor rund einem Jahr von Gruppen aus Urbana-Champaign und Princeton veröffentlicht wurde. Dort stellten Forscher einen neuen theoretischen Ansatz für einen sogenannten topologischen Isolator zweiter Ordnung vor. «Bei einem herkömmlichen topologischen Isolator breitet sich die Schwingung nur an der Oberfläche aus, nicht aber im Innern», erklärt Huber. «Das Phänomen wird also um eine Dimension reduziert.» Im Falle der Pendelinstallation heisst das: Die zweidimensionale Anordnung führt zu einem eindimensionalen Schwingungsmuster entlang der Ränder.

Bei einem topologischen Isolator zweiter Ordnung hingegen wird das Phänomen um zwei Dimensionen reduziert. Dementsprechend findet beim zweidimensionalen Silizium-Wafer die Schwingung nicht mehr entlang der Ränder statt, sondern nur noch in den Ecken, also in einem null-dimensionalen Punkt. «Wir sind die ersten, denen es gelungen ist, den vorausgesagten topologischen Isolator höherer Ordnung experimentell herzustellen», erläutert Huber.

Ein neues theoretisches Konzept

Auch in diesem Fall hat Huber also etwas erschaffen, das sich genau so verhält, wie es die Theorie voraussagt. Um dieses «inverse Problem» zu lösen, setzte Huber auf ein systematisches Vorgehen, das er zusammen mit der Gruppe von Chiara Daraio, heute Professorin am Caltec, entwickelte und ebenfalls diese Woche in der Fachzeitschrift externe Seite Nature Materials publiziert. Grob gesagt zeigt Huber in dieser Arbeit auf, wie sich eine theoretisch vorausgesagte Funktionalität in eine konkrete Geometrie umzusetzen lässt. «In unserem Beispiel haben wir das für mechanische Schwingungen durchexerziert, indem wir Elemente mit klar definierten Schwingungsmodi über schwache Verbindungen miteinander koppelten», sagt Huber. «Doch das Verfahren lässt sich auch auf andere Anwendungen übertragen, beispielsweise auf optische oder elektrische Systeme.»

Ausweitung auf die dritte Dimension

Huber hat bereits klare Pläne, wie es nun weitergehen soll: Er will einen dreidimensionalen topologischen Isolator zweiter Ordnung realisieren, bei dem die Schwingungen dann eben eindimensional übertragen werden. Für dieses Projekt erhielt er kürzlich vom Europäischen Forschungsrat ERC einen Consolidator Grant zugesprochen. Huber erklärt die Grundidee: «Wir stapeln mehrere dieser zweidimensionalen Strukturen aufeinander, so dass am Ende ein dreidimensionales Gebilde entsteht. In diesem können Informationen oder Energie in einem eindimensionalen Kanal von Punkt A nach Punkt B geleitet werden.»

Mögliche Anwendungen sieht Huber einige. Man könnte mit solchen neuen topologischen Isolatoren beispielsweise robuste und präzise Wellenleiter für Kommunikationsnetzwerke bauen. Auch für den Energiebereich könnten solche Materialien interessant sein, beispielsweise beim «Energy Harvesting», wo Energie aus einer diffusen Umgebungsquelle so fokussiert wird, dass sie technisch genutzt werden kann.

Auch für Theoretiker von Interesse

Für Hubers Resultate werden sich aber nicht nur Ingenieure und Materialforscher interessieren, sondern auch theoretische Physiker. «Das Entscheidende aus theoretischer Sicht ist, dass gewisse topologische Isolatoren zweiter Ordnung mathematisch nicht wie herkömmliche topologische Isolatoren als Dipol beschrieben werden, sondern als Quadrupole, die wesentlich komplexer sind», erläutert Huber. «Dass wir dies nun zum ersten Mal in einer makroskopischen Struktur experimentell umsetzen konnten, ist deshalb auch für die Theoretiker ein Durchbruch.»

Literaturhinweise

Serra-Garcia M, Peri V, Süsstrunk R, Bilal OR, Larsen T, Villanueva LG, Huber SD: Observation of a phononic quadrupole topological insulator. Nature 2018, doi: externe Seite 10.1038/nature25156

Matlack KH, Serra-Garcia M. Palermo A,Huber SD, Daraio C: Designing perturbative metamaterials from discrete models. Nature Materials 2018, doi: externe Seite 10.1038/s41563-017-0003-3

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