Wo Forschung zum Kulturerbe wird

Messinstrumente, Kunst und ein Arzneipflanzengarten: Die ETH besitzt ein reiches Kulturerbe. Am Sonntag, den 3. Juni, präsentiert sie es der Öffentlichkeit. Stefan Wiederkehr, Leiter der Sammlungen und Archive, spricht über Entdeckungen und verborgene Schätze.

Ionenstrahl
Im Rahmen des Schweizer Beitrags zum europäischen Kulturerbejahrwird das Publikum durch historische Schätze der ETH geführt. (Bild: ETH Zürich)

ETH-News: Spricht man von der ETH Zürich, liegt einem die Kultur nicht als Erstes auf der Zunge. Wieviel Kultur steckt in der Hochschule?
Stefan Wiederkehr: Viel! Die ETH betreibt  ein breites Spektrum von Archiven und Sammlungen: Ein riesiges Bildarchiv etwa, das Max-Frisch- und das Thomas-Mann-Archiv, Naturhistorische Sammlungen und einen Arzneipflanzengarten. Darüber hinaus schafft die ETH jeden Tag neues Kulturerbe: Schliesslich ist die Forschung von heute das Kulturerbe von morgen. Wir wollen am 3. Juni auch die Forschung von gestern zeigen, die zum Kulturerbe geworden ist.

Zum Beispiel?
Die Sammlung Sternwarte zeigt historische Sonnenuhren aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Der erste Direktor der ETH-Bibliothek war auch Direktor der Eidgenössischen Sternwarte an der ETH Zürich. Er hat eine Sammlung von historischen Messinstrumenten aufgebaut. Wir zeigen, wie sie funktionieren und wie dieses Wissen bei der Weiterentwicklung astronomischer Instrumente bis heute genutzt wird. Den Bogen zur Gegenwart schlägt auch die Sammlung von Mikrochips: Sie zeigt deren Entwicklung an der ETH in den letzten dreissig Jahren.

Erwarten dürfte man ja eigentlich vor allem Maschinen und Motoren…
Ja, es ist etwas paradox –zu diesem zentralen Aspekt der Geschichte der ETH Zürich sind nur wenige Objekte erhalten. Aber wir haben am 3. Juni beispielsweise einen Beitrag zur Zukunft des Flussbaus in der Schweiz und das Labor für Ionenstrahlphysik führt vor, wie mit modernsten Methoden das Alter des «Ötzi» bestimmt werden kann. Daneben zeigen wir auch andere, überraschende Facetten.

Stefan Wiederkehr
Stefan Wiederkehr im Gespräch mit ETH-News (Bild: ETH Zürich)

Wozu der Blick zurück?
Man versteht die Gegenwart und die Zukunft nur, wenn man sieht, wie die Gegenwart entstanden ist. Es heisst nicht umsonst: «Wir sind alles Zwerge auf den Schultern von Riesen» - Ich habe in meiner Arbeit viel mit diesen Riesen zu tun, mit 160 Jahren ETH-Geschichte und den Grundlagen, die die heutige Spitzenforschung erst möglich machen. In den Sammlungen und Archiven haben wir auch historische Forschungsdaten – zwei Millionen Insekten etwa. Wenn man die Fundorte mit der Zeit korreliert, kann man viel über den historischen Klimawandel in der Schweiz herausfinden. Diese Zeitreihe geht bis weit vor die Gründung der ETH zurück. Und zusammen mit der Universität Zürich pflegen wir eine Pflanzensammlung – die Vereinigten Zürcher Herbarien – mit mehr als vier Millionen Pflanzenbelegen. An diesem Archiv der Biodiversität lassen sich Artenvielfalt und Artensterben erforschen.Ohne solche Sammlungen kommt die Wissenschaft auch heute nicht aus.

Das klingt trotzdem nach einer eher trockenen Materie…
Ganz und gar nicht. Viele dieser Objekte sind schlicht und einfach schön. Und man kann sie zum Teil auch berühren und dadurch ganz anders «begreifen». Die heutige Spitzenforschung ist ja für Laien manchmal kaum mehr zugänglich. Wir wollen am 3. Juni  Wissenschaft an historischen und aktuellen Beispielen erlebbar machen. Unser Angebot am Tag des Kulturerbes an der ETH Zürich soll für ein kulturell interessiertes und intellektuell anspruchsvolles Publikum spannend sein, aber auch für Familien mit Kindern zu einer Entdeckungsreise werden.

Was würden Sie einem ETH-Neuling empfehlen?
Die Bühne in der Haupthalle – hier bekommt man rasch einen Überblick über das Programm mit kleinen Vorschauen auf Veranstaltungen. Selber gespannt bin ich auf die Eröffnungsrede von Iso Camartin, dem Autor und hervorragenden Kenner und Beobachter des kulturellen Geschehens. Er kennt die ETH als ehemaliger Professor für Rätoromanische Literatur und Kultur sehr gut und war später beim Opernhaus und dem Schweizer Fernsehen tätig.

Und was empfehlen Sie einem ETH-Kenner?
Ich würde ihm das Transkribieren von Quellen und das Georeferenzieren von Bildern ans Herz legen. Mit dem  2018 eingeführten Tool «sMapshot» kann er Luftaufnahmen aus der Schweiz auf einem virtuellen 3D-Globus verorten. Dort kann er sein bestehendes Wissen anwenden und Neues erfahren. Mit einem anderen neuen Tool können Besucherinnen und Besucher gescannte historische Schriftquellen transkribieren – womit historische Zeugnisse fruchtbar werden für eine aktuelle Auseinandersetzung. Ich finde, das ist der Idealfall, gerade an einer wissenschaftlichen Institution wie der ETH: Kultur wirkt nur dann anregend und lebendig, wenn sie bearbeitet und diskutiert wird und so zu neuen Erkenntnissen führt.

Kulturerbe an der ETH

Am Sonntag, 3. Juni, präsentieren Sammlungen, Archive und Bibliotheken – aber auch Forscher aus den Departementen das Kulturerbe der ETH Zürich. Im Rahmen des Schweizer Beitrags zum europäischen Kulturerbejahr «externe Seite#Kulturerbe2018 – schau hin!» führen sie das Publikum durch historische Schätze der ETH. Im ETH Hauptgebäude erwarten die Besucher Workshops, Führungen und Vorträge. Eröffnet wird der Tag mit einer Rede von Schriftsteller Iso Camartin.

Detailliertes Programm

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