Mit Evidenz gegen Armut
Die Entwicklungsökonomin Adina Rom untersucht im Rahmen ihrer Doktorarbeit das Potential von Solarlampen im ländlichen Kenia. Ihr ETH-Spin-off «Policy Analytics» nutzt wissenschaftliche Methoden, um die Effektivität von sozialen und ökologischen Interventionen besser zu verstehen und zu verstärken.
Wenn Adina Rom von Afrika spricht, gerät sie ein wenig ins Schwärmen. Seit 2009 kehrt sie regelmässig nach Kenia zurück, wo sie mehrmals geforscht und gearbeitet hat – zuletzt im Rahmen ihrer Doktorarbeit. «Ich bin immer wieder fasziniert vom Unternehmertum, das ich vor Ort erlebe», erzählt sie. «Und von der Gabe der Menschen zur Improvisation und Eigeninitiative, trotz widriger Umstände.» Rom liess sich vom afrikanischen Unternehmertum anstecken: Vergangenen Herbst gründete sie selbst. Der ETH-Spin-off «Policy Analytics» berät Bund und Nichtregierungsorganisationen und führt für diese evidenzbasierte Wirkungsstudien durch.
Wirkungsstudien für bessere Lösungen
Diese Art von Studien erlebt seit einigen Jahren einen Boom in den Wirtschaftswissenschaften: Wie bei medizinischen Wirkungsstudien für Medikamente werden Studienteilnehmende nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine erhält einen Wirkstoff, die andere ein Placebo. In ihrem bahnbrechenden Buch «Poor Economics» popularisierten die beiden MIT-Ökonomen Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo solche randomisierten Wirkungsstudien für die Entwicklungszusammenarbeit. «Man hat mit solchen Ansätzen in den letzten Jahren extrem viel gelernt», sagt Rom. «Weil direkt gemessen wird, welche Art der Intervention am besten wirkt, kann Menschen effizienter geholfen und dadurch mehr Wirkung erzielt werden.»
Für ihre Doktorarbeit an der ETH-Professur für Entwicklungsökonomie führte Rom eine randomisierte Studie mit über 1400 Haushalten in der Provinz Busia an der Grenze zu Uganda durch. Sie wollte herausfinden, inwiefern Menschen im ländlichen Kenia bereit sind, für eine Solarlampe Geld auszugeben, wie sie diese nutzen und welche Veränderungen solche Lampen für ihren Alltag sowie ihre Gesundheit und die Umwelt bringen. Dafür unterteilte sie Haushalte zufällig in unterschiedliche Gruppen, an welche Lampen entweder kostenlos oder zu verschiedenen Preisen abgegeben wurden.
Das Ergebnis: Zum aktuellen Marktpreis von 9 US Dollar kauften 29 Prozent der Haushalte eine Lampe, während bei einem subventionierten Preis von 4 US Dollar die Nachfrage auf mehr als das Doppelte anstieg. Dadurch konnten die Emissionen reduziert werden, welche durch die Verbrennung von Kerosin entstehen – dem herkömmlichen Energieträger für die Beleuchtung in vielen afrikanischen Haushalten. Damit verringerten sich auch die Gesundheits- und Umweltschäden.
Das haben zwar viele erwartet, doch quantitative Beweise dafür gab es bisher kaum. Zudem zeigte sich, dass die Lampen in den Haushalten rege genutzt wurden, selbst wenn diese gratis abgegeben wurden. «Viele denken, dass Produkte nicht genutzt werden, wenn die Leute nicht dafür bezahlen», sagt Rom. «Studien beweisen jedoch das Gegenteil, so dass es bei Produkten, welche Gesundheitsrisiken vorbeugen oft Sinn macht, diese kostenlos zu verteilen.»
Geprägt von Mentorinnen
Roms Motivation, sich gegen Armut und Ungerechtigkeit einzusetzen, wurde bereits während ihrer Kindheit genährt. Sie wuchs in einem jüdischen Haushalt in Zürich auf. «Damit verbunden war ein Gefühl der Solidarität für Minderheiten und ein Bewusstsein, dass meine Eltern und ich privilegiert waren und unglaubliches Glück hatten, da unsere Vorfahren während des Holocausts in der sicheren Schweiz lebten.» Nach der Matura reiste sie mehrere Monate durch Indien und arbeitete dort zwischenzeitlich in einem Kinderheim. Durch das tägliche Erleben extremer Armut wuchs ihr Wille, besser zu verstehen, wie Armut effektiv bekämpft werden kann. Sie schrieb sich für ein Studium in Politikwissenschaften an der Universität Genf ein und reiste mit knapp 20 Jahren als Jugenddelegierte mit dem EDA an die UN-Generalversammlung in New York. Dort hielt sie mit Ban Ki-moon eine gemeinsame Ansprache gegen Armut.
Dina Pomeranz, Assistenzprofessorin in Mikroökonomie an der Universität Zürich, machte Rom schliesslich mit Ansätzen der evidenzbasierten Entwicklungszusammenarbeit vertraut und motivierte sie, eine erste Auslandstelle bei «Innovations for Poverty Action (IPA)» anzunehmen. Als operative Leiterin war sie für die Koordination von Forschungsprojekten in Kenia zuständig, welche Hochschulen aus aller Welt bei der Organisation in Auftrag gaben. In nur zwei Jahren wuchs die Organisation von rund sechzig Mitarbeitenden auf über 250 und eröffnete neun neue Regionalbüros. «Ich habe damals mehrere Jobs gleichzeitig gemacht», erzählt Rom. «Es war eine extrem herausfordernde, aber auch unglaublich lehrreiche Zeit.» Seither kehrt sie regelmässig nach Kenia zurück, in ein Land, das derzeit im Umbruch steckt: «Kindersterblichkeit, Hunger und Armut konnten massiv reduziert werden. Heute sind die meisten Kinder in der Schule und die Jungen haben bedeutend mehr Möglichkeiten als noch ihre Eltern. Es herrscht Aufbruchstimmung.»
Kooperation mit Produzent von Mikrosensoren
Nach einem Masterstudium in den USA kehrte Adina Rom vor vier Jahren nach Zürich zurück. «Ich suchte damals nach einer Stelle in der Schweiz, die mir aber erlaubte, wieder zurück nach Afrika zu reisen». Gerade zu dieser Zeit interessierte sich Professorin Isabel Günther am NADEL der ETH für randomisierte Studien im ländlichen Kenia. «Die Stelle passte schlicht perfekt zu meinen Erfahrungen und Interessen.» Doch ist eine technische Hochschule in der Schweiz nicht eine etwas seltsame Wahl für eine Entwicklungsökonomin mit internationalem Curriculum? Rom winkt ab: «Ich interessiere mich vor allem für Forschung, die ihre Wirkung auch in der Praxis entfaltet. Das NADEL arbeitet oft mit NGOs und dem Bund zusammen. Ich bin hier genau am richtigen Ort.»
Zugleich biete die ETH Möglichkeiten für aussergewöhnliche Kooperationen. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit arbeitete Rom mit dem ETH-Spin-off «Bonsai Systems» zusammen. Sie nutzte deren Mikrosensoren, um im Feldversuch zu messen, wie häufig und wie lange die Solarlampen in den Haushalten tatsächlich genutzt werden. Bonsai Systems bildete für das Experiment eigens eine Masterstudentin aus, die die Sensoren in Kenia in die Lampen einlötete. Die über Bluetooth abgerufenen Sensordaten verglich Rom mit den elektronischen Fragebögen, auf welchen die Studienteilnehmenden angegeben hatten, wie oft sie die Lampen im Einsatz hatten. «Es ist eine unglaublich faszinierende Zeit», frohlockt Rom. Nie zuvor sei es einfacher und günstiger gewesen, gute Daten zu sammeln. «Dadurch können wir die Wirkung unserer Interventionen heute viel präziser messen.»
Nachfrage nach Wirkungsstudien wächst
Derzeit steckt Rom ihre ganze Energie in den Abschluss der Doktorarbeit. Danach will sie mit ihrem Spin-off die Zusammenarbeit mit Entwicklungsorganisationen und dem Bund vorantreiben. Die Nachfrage nach evidenzbasierten Wirkungsstudien wachse, ist Rom überzeugt. Erste Beratungsaufträge konnte sie gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner, dem KOF-Ökonomen Andreas Beerli, für die «Direktion für Entwicklungszusammenarbeit» (DEZA) und «Aiducation International» durchführen.
Den Kontakt zu Kenia, das ihr über die Jahre ans Herz gewachsen ist, wird sie trotz Schweizer Firmensitz nicht verlieren: Ihre Mentorin und damalige Vizedirektorin von IPA in Kenia, Carol Nekesa, sitzt heute im Beirat des Schweizer Spin-offs. «Von ihr habe ich damals unglaublich viel gelernt», erzählt Rom. «Sie kennt unterschiedliche Welten und kann zwischen diesen Brücken bauen.» Eine Gabe, die heute auch die frischgebackene Unternehmerin charakterisiert.