Von der Bühne in den Hörsaal
ETH-Fellow Cody Ross Pitts reizt die Kreativität bei der Entwicklung von Molekülen. Seine Ideen sollen zur medizinischen Chemie beitragen.
Der Lebensweg von Cody Ross Pitts birgt viele überraschende Wendungen. So klingt es im Gespräch mit ihm zwar ganz selbstverständlich, dass er heute am ETH-Labor für anorganische Chemie erforscht, wie er die Eigenschaften von Molekülen durch Fluorierung verbessern kann. Doch sah es lange eher danach aus, als würde er Schauspieler und nicht Wissenschaftler.
Schon mit drei Monaten stand Pitts zum ersten Mal vor der Kamera. «Meine Mutter hat sich immer für Kino und Kultur begeistert und hat mir eine Rolle in einer TV-Serie besorgt», erzählt er. Mit sieben Jahren folgten erste Theaterengagements und Rollen als Synchronsprecher für den TV-Sender Nickelodeon. Während des Bachelor-Studiums in organischer Chemie an der Monmouth University in New Jersey belegte er im Nebenfach Schauspiel und übernahm weitere Rollen in Film und Theater. «Allerdings haben meine Eltern immer darauf bestanden, dass meine schulischen Leistungen durch die Schauspielerei nicht beeinträchtigt wurden».
Mehr bewirken in der Wissenschaft
Tatsächlich gelang Cody Ross Pitts dieser Spagat zwischen Ausbildung und Bühne. «Schule und Studium fielen mir leicht», gibt er zu. Schwer fiel ihm hingegen die Beschränkung auf ein Fach für seinen weiteren beruflichen Werdegang. «Zunächst fand ich Meeresbiologie sehr spannend und auch Medizin reizte mich.» Durch seinen Vater, ein Feuerwehrmann und Sanitäter, erhielt er erste Einblicke in medizinische Berufe. Nach dem Bachelor schnupperte er daher ein Jahr lang in den Arztberuf hinein und arbeitete als Rettungssanitäter. Erst danach entschied er sich endgültig für die Wissenschaft und setzte sein Studium an der Johns Hopkins University fort.
«Auf den ersten Blick kann man als Arzt vielen Menschen helfen, doch besteht ein Grossteil des Alltags aus Routine», erklärt Pitts, weshalb er sich gegen den Arztberuf entschieden hat. «Ich denke, ich kann als Wissenschaftler wesentlich mehr bewirken und das Leben von viel mehr Menschen zum Positiven beeinflussen, – sei es durch meine Forschung oder als Dozent an einer Hochschule.»
Fluorierte Moleküle erforschen
Dass er heute chemische Prozesse statt des Meeres erforscht, hat er einem seiner Dozenten an der Monmouth University zu verdanken. «Professor Massimiliano Lamberto war ein unglaublich guter Lehrer, der begeistern konnte und mich in die Welt des abstrakten Denkens einführte.» Durch ihn habe er entdeckt, dass er mit Chemie zahllose Dinge verbessern und Neues kreieren könne.
Heute erforscht Pitts die Synthese von fluorierten Molekülen für die medizinische Chemie und für die Agrarwirtschaft. «Zahlreiche Arzneimittel basieren heute auf fluorierten Kohlenstoffverbindungen, da sie in der Regel durch die Stoffwechselprozesse nicht so leicht aufgebrochen und die Wirkstoffe dadurch an die richtige Stelle im Körper transportiert werden können.» Unter anderem kommen sie bei der Entwicklung von Medikamenten gegen neurologische Erkrankungen wie Alzheimer zum Einsatz, da sie gut über den Blutkreislauf bis an ihren Bestimmungsort im Gehirn gelangen.
Neben der Kreativität beim Forschen reizt den 29-jährigen Chemiker die Herausforderung, Prozesse, die er zunächst abstrakt auf Papier entworfen hat, im Labor umzusetzen. «Das erfordert Mut», gesteht er. Man wisse nie mit Sicherheit, ob die chemische Reaktion tatsächlich wie berechnet ablaufe. «Ist das Ergebnis anders als erwartet, muss man entweder von vorne anfangen oder, wenn die Ergebnisse vielversprechend scheinen, findet man dadurch einen ganz neuen Forschungsansatz. Das ist oft noch aufregender».
Müllsack-Regeln lernen
Ängstlich oder verzagt geht Cody Ross Pitts generell nicht ans Leben ran. Gerne lässt er sich auf Neues ein. Durch sein Postdoktorat an der ETH Zürich lebt der Amerikaner seit August 2017 erstmals im Ausland und musste feststellen, dass oft die kleinen Unterschiede im Alltag eine Herausforderung darstellen. Aufgewachsen in Waterbury (Connecticut), einer wirtschaftlich gebeutelten Stadt im sogenannten «Rust Belt» Amerikas, war er zunächst weder mit dem öffentlichen Verkehr der Schweiz noch den Regeln für Müllsäcke in der Stadt Zürich vertraut. Unter anderem durch Deutschkurse versuchen Pitts und seine Frau Katrina einen besseren Zugang zu Land und Leuten zu bekommen. Um ihrem Mann in die Schweiz zu folgen, hat sie ihre Stelle als Finanzierungsberaterin an der Universität von Maryland aufgegeben.
Am meisten beeindrucken das amerikanische Paar die Berge in ihrer Heimat auf Zeit: «Man wird sich bewusst, wie klein man selbst ist». Zudem reisen die beiden so viel wie möglich durch Europa. In den vergangenen Monaten waren sie in Italien, Frankreich, Liechtenstein, Deutschland und Schweden. Sie planen nun Reisen ins Baltikum, nach Finnland, England und die Benelux-Staaten.
Die Zeit für Reisen ist allerdings knapp bemessen, weshalb die Trips kurz ausfielen. Der Chemiker steht sechs Tage pro Woche im Labor. «Das gehört dazu, wenn man Erfolg haben und später eine der rar gesäten Stellen als Professor erhalten möchte», sagt er. Er träume davon, Wissenschaftler auf Lebenszeit zu werden, zu forschen und zu unterrichten liege ihm: «Der Hörsaal ist meine neue Bühne». Auf einem guten Weg dahin ist er. Für eine Reihe von Verfahren, die er bei der Polyfluorierung entwickelt, wurde bereits eine Patentanmeldung eingereicht. «Ich glaube wirklich, dass diese Arbeit einen Wendepunkt für die Pentafluorsulfanylchemie sein wird.»