Die Verwandtschaft von Ornamenten und Kristallen
An der Architekturbiennale in Venedig untersucht eine Gruppe aus Studierenden, einem Farbkünstler, einem Architekten und einem ETH-Oberflächenphysiker die Symmetrien von Ornamenten der Basilica di San Marco. Dazu gibt es eine Ausstellung.
Ornamente sind in Architektur, Kunstgewerbe, Design, Textilien und Buchkunst weit verbreitet. Sie gliedern und verzieren Bauwerke, Wände und Tapeten. Ornamente stellen Muster dar, die sich durch regelmässig wiederkehrende und sich wiederholende Motive auszeichnen und deren Anordnung zahlreiche Spiegelungs- und Symmetrieachsen aufweist.
Ornamentale Symmetrien und Ordnungsprinzipien weisen verblüffende Verwandtschaften zu Ordnungsmustern der Oberflächenphysik auf, wie sie zum Beispiel an Kristallen gut zu beobachten sind. Die zweidimensionale Atomstruktur der Kristalloberflächen ist das langjährige Arbeitsgebiet von Mehmet Erbudak. Der ETH-Forscher ist Oberflächenphysiker und Titularprofessor im Ruhestand.
An der 16. Architekturbiennale, die bis zum 25. November 2018 in Venedig stattfindet, wird er am 13. September mit zwölf internationalen Architekturstudierenden, dem Architekten Gani Turunç und dem Künstler Jörg Niederberger die Farben und Eigenschaften von Bodenornamenten der Basilica di San Marco in Venedig untersuchen. Ihre Ergebnisse werden sie für eine Ausstellung im türkischen Pavillon aufbereiten.
Dabei wird die Gruppe kultur- und naturwissenschaftliche Methoden auf die Ornamente anwenden. Die Grundlage bildet der Klassiker «The Grammar of Ornament» des englischen Architekten und Designers Owen Jones (1809 - 1874). 1856 veröffentlicht, enthält das Buch allgemeine Prinzipien zur Anordnung der Form und der Farbe in der Architektur und in den dekorativen Künsten. Die Charakterisierung und Klassifizierung der Ornamente erfolgt dabei nach kulturellen Kriterien.
Symmetrien verstehen
Im Unterschied dazu verwendet Mehmet Erbudak eine mathematische Methode, die in der Kristallographie erprobt ist. Mit dieser Methode lassen sich die zweidimensionalen und regelmässig wiederkehrenden Muster von Ornamenten anhand von Symmetrieeigenschaften einteilen. Erbudaks Verfahren beruht auf historischen Vorläufern: die beiden Mathematiker George Pólya (1887-1985), Professor der ETH Zürich, und Andreas Speiser (1885 – 1970), Professor an der Universität Zürich, führten in den 1920er-Jahren die gruppentheoretische Analyse von Ornamenten ein.
1924 publizierte Pólya einen wegweisenden, kristallographischen Artikel mit dem Titel «Über die Analogie der Kristallsymmetrie in der Ebene». Dessen Theorie übertrug Speisers Doktorandin Edith Müller 1944 auf maurische Ornamente. Ihre Dissertation enthielt eine Methode, mit der sich Ornamente aus der Alhambra in Granada mathematisch klassifizieren lassen.
«Mit dieser Methode kann man sowohl zweidimensionale Kristallstrukturen als auch Ornamente insgesamt 17 mathematischen Gruppen zuordnen», sagt Erbudak. In Venedig geht es darum, diese Methode erstmals auf die Marmorornamente der Basilica di San Marco anzuwenden. «Wir wollen die ornamentalen Symmetrien in der Basilika untersuchen und interpretieren.» Zum Beispiel interessiert Erbudak, wieso auf den Ornamenten vierfache Symmetrien überwiegen und nicht dreifache, wo doch die Dreifaltigkeit in der christlichen Theologie so zentral ist.