Wie Gnanli Landrou den Kreislauf schliesst
Er wuchs in Westafrika in einem einfachen Lehmbau auf. Heute entwickelt Gnanli Landrou mit dem ETH-Spin-off Oxara einen zementfreien Beton aus lehmhaltigem Aushubmaterial. Damit will er Afrika und der Welt einen erschwinglichen und nachhaltigen Hausbau ermöglichen.
Sanfter Händedruck, freundliches Lachen, warmer, wacher Blick – das ist Gnanli Landrou. «Ich habe auf meinem Lebensweg so viel Glück erfahren, dass ich etwas davon zurückgeben will», sagt der 29-jährige Togolese mit einer eingehenden Bestimmtheit, die kein Zweifel aufkommen lässt: Dieser junge Mann wird halten, was er verspricht. Laut Forbes ist er in Europa einer der 30 einflussreichsten Jungunternehmer unter 30 in diesem Jahr.
«Meine Vision ist, den Menschen in Afrika und anderen Regionen der Welt Zugang zu günstigen und würdigen Unterkünften zu verschaffen», erklärt Landrou. Um zu verstehen, was den jungen Materialwissenschaftler motiviert, empfiehlt sich ein Blick auf seinen Lebenslauf.
Eine beeindruckende Reise
Die Geschichte beginnt in Togo, Westafrika, wo Landrou mit seinen Eltern und Geschwistern in einem Lehmbau aufwuchs. Später lebte er eine Zeit lang bei seinem Onkel, der sich den Lebensunterhalt als Wanderarbeiter verdiente. Mit ihm reiste Landrou durch Westafrika, lernte Äcker zu bestellen und mit Lehm Häuser zu bauen. Als er 16 Jahre alt war, nahm sein Leben eine entscheidende Wendung: Seine Eltern ermöglichten ihm eine Reise nach Frankreich zu Bekannten in Marseille, bei denen der Junge fortan blieb.
Dank seiner Gastfamilie konnte Landrou die Schule besuchen. Schon bald fiel einem Lehrer das wissenschaftliche Talent des Knaben auf. Mit seiner Hilfe holte Landrou während zweier Jahre den verpassten Grundschulstoff nach. Auch auf seinem weiteren Weg durch das französische Bildungssystem wurde Landrou immer wieder von verschiedenen Personen unterstützt. So schaffte er das Bakkalaureat und begann an der Universität vom Limoges Materialwissenschaften zu studieren.
Das Beste aus zwei Welten
Im Studium beschäftigte sich Landrou mit den Herausforderungen der globalen Bauindustrie: Die Energie- und CO2-intensive Zementproduktion, die schwindenden Rohstoffe Sand und Kies und die hohen Kosten von Beton, der in vielen Ländern schlicht zu teuer ist. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie arbeitsintensiv und zeitaufwändig der traditionelle Lehmbau mit Ziegeln ist, und wie sehr es in seiner Heimat an angemessenen Unterkünften mangelt. Tatsächlich geht das Weltsiedlungsprogramm UN-Habitat davon aus, dass Afrika bis 2050 Millionen erschwingliche Wohnungen sowie Tausende Schulen und Spitäler braucht.
Landrou legt den Finger auf den wunden Punkt: «Wer hierzulande ein Haus baut, hebt zuerst eine Grube aus und entsorgt den Aushub auf einer Deponie. Dann schleppt man tonnenweise Sand, Kies und Zement heran, um mit Beton das Fundament und die Wände zu giessen». Dabei sei Lehm ein ideales Baumaterial und meistens reichlich vorhanden, wo man es braucht. Warum nicht die Techniken beider Welten kombinieren? Mit diesem Gedanken kam Landrou Anfang 2014 an die ETH Zürich, um am Lehrstuhl für nachhaltiges Bauen zu promovieren.
Der erdigen Architektur auf der Spur
«Und wieder hatte ich grosses Glück», blickt Landrou auf seine Zeit als ETH-Doktorand zurück. Denn hier habe er erneut ein förderndes Umfeld gefunden, und mit Professor Guillaume Habert einen inspirierenden Mentor. Zusammen entwickelten sie ein Verfahren, das es erlaubt, lehmhaltiges Aushubmaterial ohne Zugabe von Zement in einen alternativen Beton zu verwandeln.
Landrous Erdbeton lässt sich im frischen Zustand giessen, härtet rasch aus und eignet sich für den Einsatz in Böden und nichttragenden Wänden. Die Verarbeitung gleicht jener von herkömmlichem Beton und nutzt eine ähnliche Infrastruktur. «Unsere Technologie verleiht dem Lehmbau fast alle Vorteile von Zement, ist aber rund 2,5-mal billiger und 20-mal umweltfreundlicher», frohlockt Landrou. Das Marktpotenzial für nichttragende Gebäude-Elemente ist beachtlich – allein in der Schweiz wird das Volumen auf rund 700 Millionen Franken geschätzt.
Business-Modell: Bauen mit Dreck
Um diesen Markt zu erschliessen, hat Landrou die Technologie nach dem Doktorat zum Patent angemeldet und baut seit Herbst 2018 das Spin-off Oxara auf. «Noch ist offen, ob wir das Verfahren an Baurecyclingfirmen lizenzieren, die ihr Aushubmaterial in einem wertvollen Rohstoff umwandeln wollen, oder ob wir einfach die für den Erdbeton notwendigen mineralischen Zusatzstoffe verkaufen», erklärt der Jungunternehmer. In dieser Aufbauphase wird Landrou von der ETH Zürich mit einer Pioneer Fellowship unterstützt: Er erhält eine Starthilfe von 150´000 Franken und kann Büroarbeitsplätze und Laborräume der Hochschule benutzen, um seine Geschäftsidee zu verwirklichen.
Etwas zurückgeben
Erde, Lehm, mit den Händen arbeiten – es sind die einfachen Dinge im Leben, die Gnanli Landrou bewegen. In seiner Freizeit ist er DJ, legt Reggae- und Dub-Platten auf, und fährt mit seinem Bike in die Natur. Wenn er kann, hilft er neuen afrikanischen Studierenden, sich in Zürich zurechtzufinden. Dazu hat er 2015 zusammen mit Gleichgesinnten die African Student Association of Zurich (ASAZ) ins Leben gerufen.
Mit seinem ersten Doktorandenlohn ist Landrou nach acht Jahren wieder nach Togo gereist, um seine Familie zu besuchen. Dass er heute das Schulgeld für seine Geschwister berappen kann, erfüllt ihn mit Stolz. Es ist aber nicht das Geld, das Landrou motiviert – schliesslich will er mit Oxara nicht nur die hiesige Bauindustrie nachhaltiger gestalten, sondern vor allem in seinem Heimatkontinent das Problem des erschwinglichen Wohnens lösen. Man kann ihm nur wünschen, dass sich der Kreislauf schliesst.