Die Doktorierendenbetreuung wird seit längerem inner- und ausserhalb unserer Hochschule intensiv diskutiert. Im Januar fand an der ETH ein internationales Symposium zu diesem Thema statt. Antonio Togni, Prorektor Doktorat, zeigt die wichtigsten Erkenntnisse daraus auf und erklärt, wie die ETH ihr Doktorat weiter verbessern möchte.
Herr Togni, alle reden plötzlich übers Doktorieren – warum eigentlich?
Das Doktorat gibt es ja an der ETH seit 1909. Es hat sich für Forschung und Lehre sehr gut bewährt, aber es musste sich seither auch ständig weiterentwickeln. Ich glaube, jetzt stehen wir an einem Punkt, an dem das Doktorat den Entwicklungen des 21. Jahrhundert angepasst werden muss. Die Welt und die Gesellschaft verändern sich rasant. Ich erlebe junge Menschen heute zum Beispiel als zielstrebiger, aber auch als anspruchsvoller. Das ist gut so, kann aber zu Konflikten führen. Deshalb müssen wir hier bei der Weiterentwicklung des Doktorats ansetzen.
Anfang Jahr veranstalte die ETH erstmals ein internationales Symposium zum Thema Doktorierendenbetreuung. Was hat Sie dabei am meisten überrascht?
Dass wir über 400 Anmeldungen hatten! Das riesige Interesse bei allen Beteiligten – sei es bei den Doktorierenden, den Professoren und Professorinnen oder dem administrativen Personal – zeigt das Bedürfnis, miteinander zu sprechen und das Doktorat gemeinsam weiter zu verbessern.
Ist ein internationales Symposium nicht ein sehr akademisches Format, um eine ETH-interne Frage anzugehen?
Das Symposium hat uns allen deutlich gemacht, dass die Betreuung von Doktorierenden eben nicht nur an der ETH ein Thema ist. Ganz im Gegenteil! Es wird weltweit dazu geforscht. Es gibt Expertinnen und Experten, die sich seit Jahren mit diesen Fragen befassen und sogar einige Fachzeitschriften. Ein Symposium veranstaltet man, weil man sich austauschen und von den anderen lernen möchte – genau das war auch hier der Fall.
Und was haben Sie von den eingeladenen Referenten und Referentinnen gelernt?
Sehr beindruck hat mich Anne Lee, die uns eine einfache Tabelle gezeigt hat, mit der man die gegenseitigen Erwartungen klären kann. Ein an sich simples Instrument, das aber in der Beziehung zwischen Betreuungspersonen und Doktorierenden sehr viel positiv verändern kann. Während des Symposiums sind wir immer wieder mal an den Punkt gelangt, bei dem klar wurde, dass ein Schlüssel zum Erfolg die bewusste Verbesserung der Kommunikation ist.
«Unser Ziel ist, den Doktorierenden die ETH-Kultur zu vermitteln und sie auf ihr neues Umfeld gut vorzubereiten.»Antonio Togni, Prorektor Doktorat
Nach dem Symposium: Wo ist die ETH in der Doktorierendenbetreuung schon auf Kurs?
Wir bieten ein aussergewöhnliches Umfeld mit hohen Standards in Bezug auf Qualität, Infrastruktur und Entlöhnung. Rund 4000 Menschen sind bei uns als Doktorierende immatrikuliert. Das ist ein hoher Anteil und diese leisten einen signifikanten Beitrag zum ETH-Forschungsoutput. 85 Prozent der Doktorierenden schliessen ihr Doktorat an der ETH ab. Das ist eine tolle Erfolgsquote! Hinzu kommt, dass wir uns – und zwar als ganze ETH – intensiv mit der Verbesserung der Doktorierendenbetreuung auseinandersetzen. Vielleicht mehr, als dies andere Hochschulen tun – das gibt uns den Vorteil, dass wir uns rasch weiterentwickeln können.
… und wo nicht?
Für mich ist klar, dass wir die Kommunikation zwischen Doktorierenden und Betreuungspersonen noch erheblich verbessern können. Das müsste schon ganz früh passieren, nämlich bereits, wenn neue Doktorierende ausgewählt werden. Auch die Verfügbarkeit und die Ansprechbarkeit der Betreuungspersonen können wir noch ausbauen, indem wir zum Beispiel mehr mit Tutoren und Tutorinnen arbeiten. Last but not least müssen die Doktorierenden noch besser wissen, was ihre Rechte und Pflichten sind und wo sie Unterstützung bekommen.
Hat man hier schon konkrete Massnahmen getroffen?
Ja. Wir haben beschlossen, Einführungskurse für neu eintretende Doktorierende zu konzipieren. Dafür haben wir soeben in der Doktoratsadministration eine neue Stelle geschaffen. Unser Ziel ist, den Doktorierenden die ETH-Kultur zu vermitteln und sie auf ihr neues Umfeld gut vorzubereiten.
Einführungskurse soll es auch für neue Professoren und Professorinnen geben …
Ja, das ist so geplant. Natürlich ist es sinnvoll, wenn auch die Betreuungspersonen in die ETH-Kultur eingeführt und noch mehr darin geschult werden, wie man ein Doktorat am besten gestaltet, worauf es ankommt. Hier möchten wir gerne einen entsprechenden Leitfaden ausarbeiten, den wir allen in die Hand geben können.
«Mit der Doppelbetreuung wird nicht nur das Abhängigkeitsverhältnis reduziert, es fördert auch den Austausch und die Diversität.»Antonio Togni, Prorektor Doktorat
Was passiert mit den Ergebnissen des Symposiums?
Wir haben ein Papier zur Weiterentwicklung des Doktorats ausgearbeitet, in das natürlich auch die Erkenntnisse des Symposiums eingeflossen sind. Gerade sind wir dabei, die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung auszuwerten. Ziel ist, die Doktoratsverordnung anschliessend schnell anzupassen und damit einige Lücken zu schliessen, welche die aktuelle Verordnung hat.
Welche Lücken meinen Sie?
Wir müssen beispielsweise das Instrument des Forschungsplans stärken. Er ist nicht einfach eine Formalität, sondern ein gutes Mittel, um zu klären, was die gemeinsamen Ziele, die wichtigen Schritte und die Verantwortlichkeiten jedes Einzelnen sind. Forschungspläne müssen deshalb aus meiner Sicht verbindlicher werden. Wir schlagen beispielsweise vor, dass der Forschungsplan nach einem Jahr an einem Kolloquium verteidigt und erst dann definitiv über die Zulassung zum Doktorat entschieden wird.
Wie sieht es mit der Doppelbetreuung von Doktorierenden aus?
Das ist natürlich ebenfalls ein ganz wichtiger Punkt! Zum Teil wird das schon gelebt, aber das Ziel ist ganz klar, dass alle Doktorierenden an der ETH zwei Betreuungspersonen haben. Damit wird nicht nur das Abhängigkeitsverhältnis reduziert, es fördert auch den Austausch und die Diversität.
Könnte mit einer Anpassung der Verordnung das Doktorat nicht überreguliert werden?
Ich verstehe diese Besorgnis durchaus, kann aber versichern: Dem ist nicht so. Letztendlich geht es um sinnvolle Anpassungen und allenfalls Ergänzungen der Doktoratsverordnung. Wir sind deshalb auch so intensiv im Austausch mit den Departementen: Wir möchten einerseits wissen, wo die Bedürfnisse liegen, und andererseits aufzeigen, dass letztendlich alle profitieren, wenn einzelne Punkte geklärt und institutionalisiert werden.
Wie sieht für Sie persönlich das ideale Doktorat der Zukunft aus?
Sorgfältig ausgewählte und hochmotivierte Doktorierende tauschen sich in kleinen Forschungsgruppen aus, in denen sie gut integriert sind. Sie sind in intensivem Kontakt mit ihren Betreuungspersonen, aber auch mit Forschenden aus anderen Disziplinen oder anderen Hochschulen. Die Doktorierenden sind zufrieden, aber auch emanzipiert und kritisch – sie haben deshalb eine breite Auswahlmöglichkeit, wie sie ihre Karriere gestalten möchten, sei es in der Privatwirtschaft oder in der akademischen Welt. Klingt doch gut – oder?
Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins «life».