Mit Mistgabel und Drohne

Mit Smart Farming ist die Landwirtschaft im Big-Data-Zeitalter angekommen: Drohnen, Roboter und eine intelligente Bildverarbeitung sollen Effizienz und Nachhaltigkeit auf Bauernhöfen steigern. Davon könnte die kleinräumige Landwirtschaft in der Schweiz besonders profitieren.

Drohne über Feld
Diese ETH-Drohne quantifiziert die Eigenschaften von Weizensorten in einem Versuchsfeld. (Bild: ETH Zürich / Daniel Winkler)

Auf der Forschungsstation für Pflanzenwissenschaften in Lindau steuert Helge Aasen eine grosse, schwarze Drohne mit sechs Rotoren. Der Postdoc nutzt sie zur «Phänotypisierung», also zur Quantifizierung der Eigenschaften von rund 350 Weizensorten auf dem Versuchsfeld vor ihm. Dies in einer Geschwindigkeit und Genauigkeit, wie sie bis vor kurzem noch undenkbar gewesen wäre. Dafür trägt die Drohne einen sechs Kilogramm schweren Unterbau, der mit allerlei Technologie bestückt ist: Eine Thermokamera misst während des Flugs die Temperatur des Weizens. Darüber lässt sich die Wasserverdunstung der Pflanzen berechnen. Die beiden Spektralkameras dienen der Berechnung des Chlorophyllgehalts und damit der Produktivität der Pflanzen. Die RGB-Kamera wiederum erstellt ein zentimetergenaues 3D-Modell der Landschaft, womit die Halmhöhe und die Blattfläche berechnet wird. Letzteres ist entscheidend für die natürliche Schädlingsresistenz einer Weizensorte. Was Aasen hier vorführt, ist ein Blick in die Zukunft der Landwirtschaft. Die Drohne und die Hightechkameras, sie könnten einst zur Grundausstattung von Bauern und Bäuerinnen gehören.

Vierte Revolution im Agrarbereich

Die Forschungsstation in Lindau ist die Sommerresidenz der Gruppe «Crop­ Science», zu welcher Aasen gehört. Achim Walter, ETH-Professor für Kulturpflanzenwissenschaften, und sein Team treiben hier die vierte agrarische Revolution voran, die er gemeinsam mit ETH-Kollegen und -Kolleginnen 2017 in einem vielbeachteten Meinungsartikel im Fachjournal PNAS ausrief. Die Landwirtschaft des 21. Jahr­hunderts werde durch die intelligente Nutzung von Daten geprägt sein, so die Autoren. Die Technologisierung des Bauernhofs ist nicht komplett neu: Gerätehersteller haben seit den 1990er-Jahren unter dem Schlagwort «Precision Farming» Landmaschinen mit GPS und Infrarotsensoren bestückt, um die Produktivität der Betriebe zu steigern. Die Systeme der Zukunft, zusammengefasst unter dem Begriff «Smart Farming», gehen aber noch einen Schritt weiter: Basierend auf kluger Bildverarbeitung, riesigen Datenmengen und effizientem Maschinenlernen, werden Landmaschinen bald autonom Entscheidungen treffen; sie werden «intelligent».

Experten erkennen im Smart Farming ein grosses Potenzial: Laut FAO gehen heute 20 bis 40 Prozent der Getreideernten aufgrund von Schädlingen und Krankheiten verloren – trotz Verwendung von rund zwei Millionen Tonnen Pestiziden jährlich. Durch intelligente Nutzung von Daten und neuster Technologie könnten die Erträge erhöht und zugleich der ökologische Fussabdruck deutlich reduziert werden, so die Hoffnung. Dünger, Pestizide, Herbizide und Fungizide können – basierend auf Daten, wie sie die Drohne in Lindau mit ihren Sensoren sammelt – viel präziser eingesetzt werden. Gespritzt wird nur dort, wo es tatsächlich nötig ist. Achim Walter geht, basierend auf heute verfügbaren Studien, davon aus, dass das Sparpotenzial bei über 90 Prozent liegt.

Im Hochdurchsatzverfahren

In der internationalen Smart-Farming-­Gemeinschaft ist die Forschungssta­tion in Lindau mittlerweile ein Begriff. Walter hat dort eine weltweit einzig­artige Versuchsanlage initiiert: die Feldphänotypisierungsanlage (FIP). Herzstück ist ein Sensorkopf mit Laser-­Vermessungsgerät, Multispektralkameras, einer Infrarotkamera und zwei Spektrometern. Leise gleitet er an Kevlarseilen, die zwischen vier hohen Masten aufgehängt sind, über ein 100 mal 130 Meter grosses Versuchsfeld mit Hunderten unterschiedlicher Sorten von Weizen, Soja, Mais, Buchweizen und Futtergräsern. In einem Kontrollraum mit mehreren Bildschirmen steuern die Forschenden den Sensorkopf über elektrische Seilwinden in jede beliebige Position über dem Feld. Dabei produzieren die Sensoren hochaufgelöste Farbbilder, Wärmebildaufnahmen und Multispektral­bilder, die Einblicke in die Wachstumsprozesse, die Photosynthese und das Abreifeverhalten der verschiedenen Sorten geben. Einzigartig an der aufwändigen Anlage: Die Pflanzencharakteristika können kontinuierlich, ohne Eingriffe ins Feld und praktisch bei jedem Wetter beobachtet werden. Und anders als eine Drohne und deren Rotoren verursacht der aufgehängte Sensorkopf auch keine störenden Windturbulenzen, welche die Halme und Blätter bewegen und so Messungen verfälschen. Das macht die FIP für die Kalibrierung von drohnenbasierten Messmethoden besonders wertvoll.

Die neuen Landarbeiter

Wie der Einsatz von Drohnen in der Landwirtschaft künftig aussehen könnte, hat ein internationales Team unter der Koordination von Roland Siegwart, ETH-Professor für autonome Systeme, im dreieinhalbjährigen EU-Projekt «Flourish» gezeigt. Für die in Europa wichtigen Zuckerrübenkulturen hat sein Team einen selbstfahrenden Traktor entwickelt, der mit einer Drohne in Kontakt steht. Diese ortet aus der Luft Unkraut auf dem Feld und sendet dem Traktor die exakte Position. Dieser zerdrückt daraufhin die Unkräuter mit hydraulischen Metallstempeln. Bauern würden durch einen solchen Roboter entlastet und eine mechanische Unkrautvertilgung gegenüber einer chemischen trotz Mehraufwand wieder konkurrenzfähig. «Flourish» wurde 2018 abgeschlossen. Das System wird nun von «Deepfield Robotics» weiterentwickelt, einem Unternehmen der Bosch-Gruppe, die am EU-Projekt beteiligt war.

«Drohnen sind ein ideales Werkzeug, um schnell und grossflächig ­Daten zum Zustand von Pflanzen zu sammeln», erklärt Siegwart. Die Verarbeitung der Sensordaten, um daraus nützliche landwirtschaftliche Anwendungen zu entwickeln, sei aber sehr anspruchsvoll. «Biologische Systeme sind vielfältig und komplex, das erschwert unsere Arbeit.» Zum Beispiel sind in der Schweiz rund 30 Weizensorten mit unterschiedlichen Charakteristiken im Einsatz. Hinzu kommen schwierige Messbedingungen, verursacht durch Schattenwürfe von Wolken oder Bewegungen durch Winde. Damit autonome Systeme zuverlässig funktionieren, sind deshalb grosse Datenmengen, ausgeklügeltes maschinelles Lernen und viel Zeit nötig. Längerfristig sieht Siegwart das Potenzial von Drohnen aber nicht nur in der Daten­erfassung, sondern auch in Feldarbeiten. Ausgerüstet mit einem Tank und einer Sprühvorrichtung, könnten autonome Drohnen Fungizide und Pestizide punktgenau auf diejenigen Pflanzen auftragen, welche tatsächlich von Schädlingen befallen sind. Um solche und ähnliche Technologien voranzutreiben, planen Siegwart und Walter die Gründung eines Labors in Lindau, in dem Pflanzenwissenschaftler, Bio­loginnen, Robotiker und Computerwissenschaftlerinnen eng zusammenarbeiten.

Wem gehören die Daten?

Mit den grossen Potenzialen des Smart Farming sind auch Risiken verbunden. Für Nina Buchmann, ETH-Profes­sorin für Graslandwissenschaften und Mitautorin des Meinungsartikels von 2017, ist die Frage zentral, wem die erhobenen Daten gehören und was damit passiert. «Die Gefahr der Abhängigkeit von einigen wenigen globalen Playern besteht durchaus. Daher sollten möglichst viele Länder, darunter auch die Schweiz, Anstrengungen unternehmen, um dem entgegenzu­wirken.» Zudem: Wer trägt die Haftung bei Unfällen mit einer Drohne oder bei Umweltverschmutzungen aufgrund von Fehlentscheidungen autonomer Systeme – der Bauer, der Programmierer oder der Sensorhersteller? Und schliesslich stellt sich unweigerlich die Frage: Steht uns bald der vollautomatisierte Hof ohne Bauer bevor? «Das ist ganz sicher nicht meine Vision von Smart Farming», verneint Walter. «Aber die Digitalisierung könnte gerade in der Schweiz dazu beitragen, dass eine kleinräumige, vielfältige und auf Qualität ausgerichtete Landwirtschaft auch mit weniger Düngemitteln und Pestiziden international konkurrenzfähig bleibt.»

Die Reaktionen der Bauern sind gemischt. Im Rahmen des nationalen Forschungsprogramms 73 «Nachhaltige Wirtschaft» wurden sie danach befragt, welche Anwendungen aus Praxisperspektive sinnvoll wären und wie gross ihre Bereitschaft ist, Roboter und Drohnen als neue Gehilfen auf dem Feld zu akzeptieren. «Manche haben uns versichert, dass sie eine Drohne über ihrem Feld sofort abschiessen würden», erzählt Walter. «Andere hingegen antworteten: ‹Cool, ich fliege in meiner Freizeit sowieso schon mit Drohnen. Wieso nicht gleich die Bilder zur Optimierung meines Ertrags nutzen?›» 

Food-Studio für Digital Natives

Im Rahmen des Flagship-Projekts «ETH Studio Agro Food» werden Studierende auf die Herausforderungen eines zunehmend digitalisierten Nahrungsmittelsystems vorbereitet. Das dort vermittelte Wissen soll direkt in praktische Anwendungen für den Agrofoodsektor einfliessen. Durchgeführt wird das Studio in einer zweieinhalbjährigen Pilotphase durch das «World Food System Center». Im Herbst 2018 wurde gemeinsam mit der Gruppe Kulturpflanzenwissen­schaften erstmals der Bachelorkurs «Innovation in Precision Agri­culture» durchgeführt, in dem Studierende in die Grundlagen des Smart Farming eingeführt werden. Das Studio wird durch Eduardo Pérez koordiniert und unter anderem von Nina Buchmann, Professorin für Gras­land­wissenschaften, und Achim Walter, Professor für Kulturpflanzenwissenschaften, geleitet. 

ETH Studio Agro Food: www.ethz.ch/eth-studio-agrofood

Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins Globe erschienen.

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