Vom Hype zur echten Alternative

Algen und Insekten sind gehaltvolle Protein­quellen – für Mensch und Nutztier. Bis sie aller­dings alltäglich auf Speisekarte oder Futterplan stehen, braucht es noch viel Anstrengung. Doch die Arbeit lohnt sich.

Insekten auf Löffel
Guten Appetit! Hierzulande gehören Insekten noch kaum zu den Lieblingsspeisen. (Bild: iStockphoto)

«Insekten als Lebensmittel in Europa sind derzeit sicherlich etwas gehypt. Man muss aufpassen, diese Lösung im Vergleich mit anderen nicht zu überschätzen», warnt Alexander Mathys. Eine Aussage, die man von einem Insektenforscher nicht erwarten würde. Doch der ETH-Professor für Nach­haltige Lebensmittelverarbeitung hat gu­te Argumente für seine Haltung.

Zum Beispiel ist es unklar, ob der Fleischkonsum auf Kosten der Insekten tatsächlich zurückgeht: «Insekten sind in unserer Region eine zusätzliche Proteinquelle on top. Und unsere Nahrung ist jetzt schon proteinreich.» ­Seine Nachhaltigkeitsanalysen zeigen aber deutlich, dass wir wegen negativer Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen weniger tierische Rohstoffe essen sollten. «Es wäre sinnvoll, den Konsum von Fleisch zu reduzieren.»

Ein anderer Aspekt, der Mathys beschäftigt: «Insekten sind im Moment nicht so nachhaltig, wie wir uns das wünschen, solange wir sie auf hochwertigem Futtermittel züchten, das man auch anderweitig verwenden könnte.» Was das Futter von Insekten betrifft, die als Lebensmittel gezüchtet werden, gibt es in Europa klare Beschränkungen: Insekten müssen nahezu ausschliesslich mit pflanzlichen Rohstoffen gefüttert werden, die auch als Futtermittel zugelassen sind. In der Praxis bedeutet das in den meisten Fällen Mischungen auf Basis von Roggen- oder Weizenmehl.

In einem gemeinsamen Projekt mit Christian Zurbrügg von der Eawag wollen Alexander Mathys und sein Doktorand Moritz Gold nun Larven der Waffenfliege mit organischem Abfall füttern statt mit Getreide. Insekten als Mittel also, um organische Abfälle besser zu verwerten. «Die ­Nutzung von Abfall als Energiequelle ist eine der qualitativ niedrigsten ­Nutzungsformen», hält Mathys fest. Insekten können Abfall aufwerten, indem sie ihn fressen und dann selbst zu Lebensmittel oder zu Futtermittel für Nutztiere werden.

Nahrungskette im Visier

Doch es gibt Hürden: Schimmelpilze, Krankheitserreger, kontaminierter Abfall, Schwermetalle. Die zentrale Frage ist, was am Ende in die Nahrungskette gelangt. «Die Sicherheit der Wertschöpfungskette muss garantiert sein», sagt der Lebensmittelingenieur. Deshalb untersucht Mathys’ Team die biochemische und mikrobielle Sicherheit der Larven auf organischem Abfall. Schimmelpilze oder pathogene Bakterien können gefährliche Toxine bilden und Krankheiten auslösen. Gewisse unerwünschte Inhaltsstoffe im Abfall können sich sogar in Insektenlarven anreichern und über diesen Weg in die Nahrungskette gelangen.

Um diese Zusammenhänge besser zu verstehen, führt Michael Kreuzer, ETH-Professor für Tierernährung, gemeinsam mit Alexander Mathys und der Eawag Fütterungsversuche mit Geflügel am AgroVet-Strickhof durch. Das Futter für das Geflügel basiert auf Insektenlarven, die sich von Siedlungsabfällen ernährt haben. Ein Teil des Larvenfutters wird kontrolliert kontaminiert. Diese Larven werden dann dem Geflügel zu fressen gegeben. Nach mehreren Wochen Fütterung sollen Geflügelfleisch und Eier auf Schadstoffe hin untersucht werden.

Alternative zu Soja

Bis es so weit ist, wertet Michael Kreuzers Doktorandin Maike Heuel die Daten eines anderen Fütterungsversuchs aus. Diese Larven haben sich nicht von wertvollem Getreide ernährt, sondern von Ausschussware oder Vorkonsumabfällen aus der Gastronomie und Getreidenebenprodukten wie etwa Kleie. Kreuzers Forschungsgruppe will mit diesem Versuch unter anderem he­rausfinden, ob Soja durch Proteinmehl und Fett der Schwarzen Waffenfliegenlarve ersetzt werden kann. Dazu hat Heuel 50 Legehennen in fünf Gruppen aufgeteilt, die alle ein anderes Futter bekamen. Die Kontroll­gruppe erhielt herkömmliches Futter, also Getreide und Soja. Die anderen Gruppen erhielten neben Getreide entfettetes Proteinmehl und Fette aus zwei unterschiedlich gefütterten Insektenlarvengruppen.

Die Forschenden haben noch keine umfassenden Resultate. «Aber was wir jetzt schon sagen können: Wir können Soja komplett durch Insektenmehl ersetzen, ohne dass es eine Leistungseinbusse gibt. Das heisst ein Ei pro Tag, mehr geht nicht», freut sich Kreuzer. Andere Parameter, wie beispielsweise beim Ei der Anteil an Dotter, die Zusammensetzung des Eiweisses oder das Fettsäurenprofil sind noch nicht vollständig analysiert.

Der Ersatz von Soja ist vor allem für die Biolandwirtschaft von Interesse. «Im Biolandbau wird ausserordentlich viel Soja eingesetzt, auch wenn es Biosoja ist», sagt Kreuzer. Der Grund: Es dürfen keine synthetischen Aminosäuren verfüttert werden. Daher braucht es mehr proteinreiche Nahrung, um den Bedarf der Legehennen zu decken.

Algen auf der Schlachtbank

Auch Algen sind reich an Protein und bringen den Nachhaltigkeitsexperten Alexander Mathys zum Schwärmen: «Mikroalgen sind eine äusserst vielversprechende Quelle von Proteinen und ungesättigten Fettsäuren.» Bei unterschiedlichen Algen können Proteine bis zu 70 Prozent der Trockenmasse ausmachen und liefern alle essenziellen Aminosäuren. Doch es gibt auch Nachteile: der niedrige Techno­logiereifegrad, die oft fehlende Skalierung und die dadurch hohen Kosten. Oder die grüne Farbe. Sie ist in der Lebensmittelindustrie eine grosse ­Hürde. «Ein grünes Algensteak kann einmal ja ganz amüsant sein. Aber langfristig müssen wir flexible Lösungen liefern», sagt Mathys.

Spirulina
Aus den blaugrünen Spirulina-Mikroalgen kann neben Proteinen und Lipiden auch ein wertvoller Farbstoff gewonnen werden. (Bild: Lukas Böcker/ETH Zürich)

Ist bei der Grünalge die Farbe ein Nachteil, ist diese bei der Spirulina­Mikroalge ein wertvolles Gut: Spirulina-Blau ist sehr hochwertig und kann teuer verkauft werden. Um es nicht zu schädigen, muss es allerdings sehr schonend extrahiert werden. Dieser Schritt ist der Anfang einer sogenannten kaskadischen Extraktion, um geschlossene algenbasierte Bioraffinerien zu realisieren. Auch dazu laufen in der Gruppe von Mathys derzeit verschiedene Promotionsvorhaben.

Ist der sensible Farbstoff erst mal gewonnen, darf stärker prozessiert werden, mit höheren Temperaturen etwa. So kann das Gesamtprotein ­he­rausgezogen werden. «Damit kann bei­spielsweise Fleischanalog hergestellt werden», sagt Mathys mit Blick auf seine Zusammenarbeit mit dem Start-up planted. Dann sind die Lipide an der Reihe, die oft noch härter im Nehmen sind. Von besonderem Interesse bei den Lipiden sind die ungesättigten Fettsäuren wegen ihrer Gesundheitseffekte. Der letzte Rest kann als Energie, als Kohlenstoffquelle oder als Dünger genutzt werden.

Die einzelnen Produkte werden von Mathys’ Team im Detail analysiert. «Damit ebnen wir den Weg, diese Produkte in Lebensmittel zu integrieren», sagt Mathys. Es könnte eben doch mehr sein als nur ein neuer Hype. 

Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins Globe erschienen.

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