Den Mangel an Beatmungsgeräten beheben

Torbjørn Netland plädiert für einen globalen Ansatz in der Produktion von Beatmungsgeräten und definiert dafür sechs Handlungsfelder.

Torbjorn Netland

Eine Epidemie ist ein emotionales Thema. Wenn das Leben unserer Freunde und Lieben auf dem Spiel steht, neigen wir dazu, im Affekt zu reagieren: «Schliessen wir die Grenzen!» «Keine Flüge mehr!» Solche Reaktionen sind natürlich, und ich habe Verständnis dafür. Obwohl Isolation auf der persönlichen Ebene zur Notwendigkeit geworden ist, kann die Anwendung derselben Strategie in anderen Zusammenhängen schnell kontraproduktiv werden – zum Beispiel, wenn es um Beatmungsgeräte geht.

Gesundheitsministerien auf der ganzen Welt stehen vor der gleichen schrecklichen Gleichung: Im vergangenen Jahr reichten 77'000 neue Beatmungsgeräte aus, um die Marktnachfrage auf der ganzen Welt zu befriedigen. Im April prognostiziert allein New York City einen Bedarf von 30'000 zusätzlichen Geräten - und niemand hat eine wirkliche Vorstellung davon, wie hoch der Gesamtbedarf in der Coronakrise sein wird.

Woher sollen wir diese Maschinen bekommen?

Kurzsichtige Politiker sehen die Lösung des Problems allein in der Steigerung der inländischen Produktion. Ich gebe zu: Für einige Produkte und einige Länder könnte das durchaus ein Teil der Lösung sein. Doch wenn man sich anschaut, wo die Geräthersteller angesiedelt sind und woher sie die über 700 Einzelteile für die Geräte beziehen, erkennt man schnell, dass die Antwort nicht darin besteht, Maschinen zu horten, 3D-Drucke zu erstellen oder Vorrichtungen im MacGyver-Stil zusammenzuschustern. Kurzfristig müssen die etablierten Hersteller von Beatmungsgeräten viel mehr Geräte in Serie zu produzieren. Und zwar schnell.

Beatmungsgeräte
Die Marktnachfrage nach Beatmungsgeräten ist im Zuge der Ausbreitung des Coronavirus rasant gestiegen (Bild: Keystone)

Leider werden die globalen Lieferketten – die wir jetzt am meisten brauchen könnten –abgebaut. Solche Systeme stehen heute gar im Verruf ein pandemieauslösender Faktor zu sein. Wollen wir das Leben möglichst vieler Coronavirus-Opfer retten? Dann sollten wir die weltweiten Produktionskapazitäten der Hersteller von Beatmungsgeräten aufstocken und nicht behindern.

Hersteller von Beatmungsgeräten unterstützen

Die führenden Hersteller von Beatmungsgeräten haben den Vorteil, nicht ihre gesamten Produktionslinien umrüsten zu müssen. Zudem können sie kosteneffizienter produzieren. Aber es gibt einen Haken: Obwohl einige dieser Hersteller ihre Produktion bereits um 30-50% gesteigert haben, können sie nicht allein eine Wachstumsrate von 500 oder 1000% erreichen, die vermutlich notwendig wäre. Sie brauchen Unterstützung bei Ihren Lieferketten. Ich meine damit nicht, dass die WHO die gesamte Produktionskapazität und den Transport von Beatmungsgeräten koordinieren muss. Aber die Produzenten und die Lieferketten von Beatmungsgeräten, grossen Logistikfirmen, die nationalen Postdienste und sogar die nationalen militärischen Beschaffungsstellen sollten zusammenarbeiten.

Sechs Handlungsfelder

Erstens: Bilden wir die Lieferkette für Beatmungsgeräte ab. In normalen Zeiten reicht es aus, mit zuverlässigen Subunternehmern Verträge zu schließen, aber in einer Krise müssen die Hersteller wissen, welche Teile benötigt werden und wo sie beschafft werden können. Welche Komponenten sind am knappsten? Ist die Komponente notwendig oder kann stattdessen eine leichter verfügbare Alternative verwendet werden? 

Zweitens: Finden wir den besten Weg. Überlegen wir, wie diese Teile am besten zum Hersteller gelangen und was es kosten würde, die Kapazität zu erhöhen. Gibt es beispielsweise Überschneidungen in den Lieferketten zwischen den Branchen, die den Versand erleichtern könnten? Könnten wir globale, reaktionsschnelle Logistiknetzwerke über Luftverkehrsknotenpunkte aufbauen?

Drittens: Prognostizieren wir die Nachfrage. Beobachten wir, wo die Nachfrage wächst und wo die nächsten Coronavirus-Epizentren zu erwarten sind. Führende Forschungszentren bringen bereits tägliche Aktualisierungen ein, z.B. das Imperial College, und ihre Analysen könnten zur fairen und effizienten Verwaltung von Aufträgen genutzt werden.

Viertens: Holen wir mehr Hilfe ins Boot. Als nächstes sollten wir darüber nachdenken, welche Firmen auf jeder Ebene dieser Lieferkette am besten in der Lage sind, ihre Kapazität zu erhöhen. In Grossbritannien fährt ein Staubsaugerhersteller die Produktion eines neuen, intern entwickelten Geräts hoch. Wer könnte noch über nützliches Fachwissen verfügen?

«Das Virus kennt keine Grenzen; ebenso müssen auch wir über Grenzen hinausdenken und handeln.»Torbjørn Netland

Fünftens: Bereiten wir das Personal vor. Ein Hersteller sagte kürzlich im "Spiegel", dass die grösste Herausforderung darin bestehe, genügend geschultes Personal zu finden, welches Beatmungsgeräte bedienen kann. Können Geräte vereinfacht und benutzerfreundlicher gemacht werden? Müssen Schulungsunterlagen verbessert oder die Ausbildung vereinfacht oder digitalisiert werden? Könnten wir jetzt mit der Schulung von Mitarbeitern des Gesundheitswesens beginnen, um die Beatmungsgeräte zu bedienen, die erst in den nächsten Monaten eintreffen werden?

Sechstens: Suchen wir nach Alternativen. Die oben genannten Aufgaben sollten Vorrang haben, aber während dieser globalen Krise müssen wir auch nach Ersatzprodukten suchen. Viele Krankenwagen haben Beatmungsgeräte als Teil ihrer Standardausrüstung. Für die Dauer des Notfalls könnten mobile Reserve-Atemschutzgeräte neu eingesetzt werden. Könnten in einigen Ländern Lösungen mit einfacherer Technologie, wie z.B. Handpumpen, die in Kopenhagen während der Polio-Epidemie von 1952 Leben gerettet haben, eine Rolle spielen?   

Wir dürfen während der gesamten Dauer des Notfalls diese globale, strategische Sichtweise nicht aus den Augen verlieren. Wenn wir die durch die COVID-19-Pandemie verursachten Gesundheitsprobleme effektiv und effizient lösen wollen, müssen wir eine breite, systemische Perspektive einnehmen. Das Virus kennt keine Grenzen; ebenso müssen auch wir über Grenzen hinausdenken und handeln.

Dieser Beitrag wurde zuerst in der externe Seite Agenda des World Economic Forum publiziert.

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