Die Dynamik der Epidemie verstehen
Viele Faktoren beeinflussen die Ausbreitung des Coronavirus. Um den Verlauf der Epidemie besser vorhersagen zu können, rufen Forschende der ETH Zürich und der University of California L.A. Teilnehmer aus aller Welt dazu auf, auf der Basis von öffentlich zugänglichen Daten Modelle zu entwickeln.
Politiker auf der ganzen Welt versuchen derzeit, das Coronavirus unter anderem mit massiven Einschränkungen der Bewegungsfreiheit einzudämmen. Der Verlauf einer Epidemie wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Darum rufen Wissenschaftler der ETH nun Forscher aus aller Welt dazu auf, neue Vorhersagemodelle für die Ausbreitung des Virus zu entwickeln. Ziel des letzte Woche gestarteten «Epidemic Datathon» ist es, die Dynamik der Epidemie besser zu verstehen. Der Begriff Datathon ist abgeleitet vom Wort Hackathon und meint eine Challenge, in der Teilnehmer mit Hilfe von Daten innerhalb kurzer Zeit neue Lösungen für gegebene Probleme finden sollen.
Organisiert wird der Datathon von einem interdisziplinären Team der ETH: Neben Nino Antulov-Fantulin und Dirk Helbing vom Institut für Computational Science sind dies Lucas Böttcher (Computational Medicine, University of California, Los Angeles (UCLA) und Institut für theoretische Physik, ETH) sowie Zhang Ce und David Dao vom Departement Informatik der ETH.
Basis für den Datathon sind öffentlich verfügbare Daten – etwa solche zu Fall- und Testzahlen oder zur Mobilität der Bevölkerung. «Die Teilnehmer entwickeln Modelle, die sie danach in Echtzeit überprüfen», erklärt Mitorganisator Nino Antulov-Fantulin vom Institut für Computational Social Science der ETH. Die Datathon-Teilnehmer überprüfen die Genauigkeit der Vorhersagen nach einigen Tagen und Wochen mehrmals anhand von realen Daten, etwa indem sie die vorausgesagte Anzahl Infizierter in einem Land mit der tatsächlichen Fallzahl vergleichen. Auf diese Weise können die Datathon-Teilnehmer eruieren, welches ihrer Modelle die besten sind. Auf Preise wird aus ethischen Gründen aber bewusst verzichtet.
Verhalten der Bevölkerung berücksichtigen
Zwar existieren bereits epidemiologische Modelle, die den Verlauf der Epidemie beschreiben. Jedoch sind diese nur limitiert aussagekräftig, da sie verschiedene Faktoren nicht berücksichtigen. Denn wie schnell sich das Coronavirus ausbreitet, ist keine rein biologische Frage, sondern hängt auch von den Massnahmen ab, die ergriffen werden, um es einzudämmen. Auch das Verhalten der Bevölkerung ist entscheidend. «All diese Faktoren fliessen idealerweise in die Modelle ein», sagt Antulov-Fantulin.
Der Datathon ist global ausgerichtet und interdisziplinär: Neben Medizinern und Epidemiologen sind auch Ökonomen, Sozialwissenschaftler und Experten in maschinellem Lernen gefragt. Entsprechend besteht auch der Beirat des Datathons aus internationalen Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen.
Präzisere Vorhersagemodelle könnten helfen zu verstehen, wie sich verschiedene Massnahmen zur Eindämmung kurz- und mittelfristig auf die Ausbreitung von Covid-19 auswirken. Auch Engpässe im Gesundheitswesen könnten auf dieser Grundlage antizipiert werden. Antulov-Fantulin warnt aber vor allzu hohen Erwartungen. «Es ist ein Projekt mit offenem Ausgang und wir wissen noch nicht, ob und wann valide Resultate vorliegen werden.»
Ob der Datathon Früchte tragen wird, hängt nicht zuletzt an dessen Teilnehmern. Den Anfang haben Studierende des Fachbereichs Datenwissenschaft an der ETH mit ersten Vorhersagemodellen bereits gemacht. Seit dem 30. März steht der Datathon auch internationalen Teilnehmern offen. Mehrere Teams von renommierten Universitäten haben sich bereits registriert.