Die Coronakrise fürs Klima nutzen
Anstatt den notwendigen Strukturwandel hinauszuzögern, sollten wir die staatlichen Hilfsprogramme für einen nachhaltigen Neustart der Wirtschaft nutzen, argumentiert Jochen Markard.
Weltweit schnüren Staaten milliardenschwere Hilfspakete, um Betriebe und Arbeitsplätze zu sichern. Die Schweiz stützt die Swiss. Deutschland plant ein Hilfsprogramm für die Autoindustrie, und die USA und Kanada wollen ihre Öl- und Gasindustrie retten. Dabei bleibt der Klimaschutz oft aussen vor.
Der Reflex, bestehende Schlüsselbranchen zu retten, ist zunächst verständlich. Im Fall von Covid-19 müssen Staaten kurzfristig reagieren – es gilt rasch und unbürokratisch zu helfen. Wir sind aber mit einer weiteren fundamentalen globalen Herausforderung konfrontiert: dem Klimawandel. Er erfordert den mittel- und langfristen Umbau von Wirtschaft und Konsum.
Vermeintlich erscheint die Klimafrage als weniger dringlich – doch das Problem spitzt sich seit Jahren zu und die Folgen werden umso gravierender, je länger wir warten. Wir haben heute weder die Zeit noch die Ressourcen, zwei so grosse Krisen wie die Pandemie und den Klimawandel unabhängig voneinander zu bekämpfen.
Daher gilt es, Synergien zu nutzen. Allerdings haben Erfahrungen aus der Finanzkrise gezeigt, dass staatliche Liquiditätsspritzen zur Krisenbewältigung häufig bestehende Strukturen zementieren. Veränderung gelingt so nicht. Anstatt knappe Steuergelder in klimaschädliche Branchen zu stecken, sollten wir in zukunftsfähige Industrien und Geschäftsmodelle investieren. Wie kürzlich in einem Editorial in externe Seite Science dargelegt, können wir durch die Coronakrise in zweifacher Hinsicht Hebel ansetzen, um den Weg in eine kohlenstofffreie Zukunft zu ebnen.1
Disruption punktuell walten lassen
Lockdowns haben die Wirtschaft massiv destabilisiert. So verheerend dieser Schock ist, seine zerstörerische Kraft kann auch helfen, bestehende Strukturen aufzubrechen, insbesondere im fossilen Energiesystem. Der erste Ansatz besteht also darin, klimaschädliche Geschäftsmodelle, die jetzt in der Krise straucheln, bewusst nicht zu retten.
«Hilfsgelder sollten nicht den Kohlekraftwerken oder Minenbetreibern, sondern den betroffenen Bergbauregionen und Menschen zugutekommen.»Jochen Markard
Ein Beispiel sind Kohlekraftwerke. Länder wie Grossbritannien, Italien und Kanada sind bereits auf gutem Wege, diese besonders CO2-intensiven Anlagen auszumustern. Corona erlaubt es, den geplanten Strukturwandel in der Kohleindustrie zu beschleunigen. Entscheidend ist, dass Hilfsgelder nicht den Kraftwerken oder Minenbetreibern, sondern den betroffenen Bergbauregionen und Menschen zugutekommen. Sie gilt es mit Frühpensionierungen, Umschulungen und vor allem dem Aufbau neuer Industrien bestmöglich zu unterstützen.
Ein weiteres Beispiel ist die Autoindustrie. Mit Klima und Digitalisierung ist sie seit Jahren gefordert. Anstatt jedoch konsequent auf alternative Antriebe zu setzen, pushten die Hersteller in erster Linie die lukrativen SUVs in den Markt. Eine weitere Runde staatlicher Abwrackprämien, wie sie Deutschland diskutiert, ist hier sicher der falsche Weg. Zielführend wäre meiner Ansicht nach, in Fabriken, Batterien und Ladenetze für die Elektromobilität zu investieren – und gleichzeitig Alternativen zum Auto voranzutreiben.
Innovationen gezielt stärken
Der zweite Ansatz dreht sich um Dienstleistungen und Technologien für eine umfassende Dekarbonisierung unserer Gesellschaft. Dort wo heute schon klimaschonende Alternativen verfügbar sind, müssen wir diese beschleunigt verbreiten. Naheliegende Massnahmen reichen vom Ersatz von Öl- und Gasheizungen über die Installation von Solaranlagen auf Gewerbe- und Bürogebäuden bis hin zum Ausbau des Öffentlichen Verkehrs und der E-Mobilität.
In anderen Bereichen brauchen wir längerfristige Strategien, um Alternativen neu zu entwickeln. Ich denke da insbesondere an CO2-intensive Sektoren, die schwer zu dekarbonisieren sind: Dazu zählen einerseits Industrien wie Stahl, Zement und Chemie, andererseits die Landwirtschaft sowie die Schiff- und Luftfahrt. Hier sind umfassende Innovationsprogramme erforderlich, um klimafreundliche Substitute – etwa Holz für Beton oder (grünen) Wasserstoff für Schweröl – marktfähig zu machen. Länder und Firmen, die hier vorangehen, können sich international Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Corona-Hilfsprogramme können den Grundstein für einen nachhaltigen Strukturwandel legen. Wir sollten diese Chance nutzen.
Weitere Informationen
Die Ideen, die zu diesem Beitrag führten, entwickelte Jochen Markard gemeinsam mit externe Seite Daniel Rosenbloom von der Universität Toronto.
1 Rosenbloom, D., Markard, J., 2020. A COVID-19 recovery for climate. Science 368 (6499), 477. DOI: externe Seite 10.1126/science.abc4887
Markard, J., Rosenbloom, D., 2020. externe Seite A tale of two crises: COVID-19 and Climate. Sustainability: Science, Practice and Policy.
Kommentare
Toller Beitrag! Wie schon erwähnt, wäre ebenso eine happige CO2 Taxe essentiel. Und dieser Fonts könnte umfangreiche Umschulungen finanzieren. Auch muss stofflicher Abfall generell seinen wahren Preis (Entsorgungskosten, Umweltschäden, Recycling) besser einpreisen, das würde viele Probleme lösen. ich bin sicher, die Schweiz würde viele nachhaltige neue Jobs generieren, wenn man JETZT endlich damit anfängt. Nur: wie die Entscheidungsträger überzeugen ? Ich hoffe, die grossen Rückversicherungen werden ihre Kostenrechnungen nach Corona anpassen, und diese Modelle den verschiedenen Wirtschaftsvertretern unter die Nase reiben. auch langfristige Risiken müssen ein echten Preis erhalten, unsere Ökonomie ist völlig verkorkst. Die Ökonomen sind da ebenfalls gefordert, neue Modelle zu entwickeln, was Geld repräsentieren soll. AI könnte dabei helfen, bessere Risikomodelle zu entwickeln, die in die Preisgestaltung einfliessen müssen. Der Staat müsste dafür sorgen, dass dieses „Einfliessen“ auch wirklich stattfindet, und das „auspreisen“ von Risiken unterbinden (a.e Outsourcing, Subunternehmen, etc.), und Verantwortlichkeiten einfordern. Es wäre Zeit für den Green Deal.
Wenn wir eine Krise vor uns haben wie in den 30er Jahren, ist das wenigste, was wir jetzt brauchen, CO2-Emissions Bepreisungen. Ausserdem werden Umschulungen und die Unterstützung beim Aufbau neuer Industrien verlangt. Sollen die Bergleute jetzt umweltschädliche Windräder und Solarfelder aufstellen? Zweitens ist die Frage, ob es überhaupt neue Arbeitsplätze nach der Corona-Krise gibt. Zweitens verlangen sie Elektromobilität. Erstens sind sie genauso CO2-intensiv und umweltschädlichen Abfall haben wir auch. Abgesehen davon können sich die Menschen doch jetzt nicht noch teure Elektromobile leisten. Und unsere intakten und gutfunktionierenden Öl- und Gasheizungen sollen wir auch wegwerfen, um erneuerbare Energie zu installieren. Schauen sie doch erst mal, ob die Klimawissenschaftler mit ihren Modellen richtig rechnen. Beim Coronavirus haben sich die Modellierer auch um den Faktor 10 bis 20 verrechnet. Statt bis zu 1,5 Millionen Todesfälle sind es in Deutschland zurzeit ca. 7800.
Ich sehe den Staat weniger als Unternehmer und nicht unbedingt im Besitz des nötigen Wissens um schnell CO2-neutral zu werden. Nicht der Staat sollte Öl-und Gasheizungen ersetzen, sondern er sollte alles tun um einen solchen Ersatz zu ermöglichen und zu beschleunigen, indem beispielsweise CO2-Emissionen bepreist und emissionsreduzierende Investitionen begünstigt werden. Wenn schon sollte der Staat in Infrastruktur investieren, die ohnehin in seinem direkten Einflussbereich steht. Beispielsweise sollten heute alle neuen Busse und Postautos elektrisch angetrieben sein (sind sie aber nicht) und in den grossen an Seen liegenden Städten kann Seewasser zusammen mit Wärmepumpen der Wärme- und Kälteversorgung dienen, aber die nötige Infrastruktur ist von Staat und Stadt zu fördern, zu bauen und günstig anzubieten. Es ist auch Aufgabe des Staates Verträge abzuschliessen, die den Stromimport im Winter garantieren oder in Kraftwerke zu investieren die diese Aufgabe leisten. Für mich ist der Staat nicht ein Unternehmer wie etwa Tesla, sondern er ist der Organisator und Lenker der grossen Transformation und er erzeugt damit Kräfte, auf die dann die Privaten und Unternehmen reagieren, indem sie sich anpassen und im so geschaffenen Umfeld emissionsärmer werden, weil nur das ihrem eigenen Erfolg dient.
Die Rolle des Staates ist nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag. Es gibt Fälle (zB Süd-Korea) wo der Staat sehr erfolgreich ist als Unternehmer und natürlich auch viele failures. Jetzt gerade sind wir aber in einer besonderen Situation: der Staat wird gebraucht um Unternehmen zu retten. Soll er das bedingungslos tun? Ich denke nicht. Das Beispiel von Air France zeigt, dass der Staat durchaus Klimaforderungen stellen kann (und sollte) als Gegenleistung für die Rettung.
Gehe einig, dass das Klima nun nicht unter die Räder gehen darf. Mich ärgert bspw. dass nun der Aufruf durch die Gesellschaft, selbst von Behörde, geht: Meidet den ÖV, nehmt das Auto. Katastrophe!
Danke Jochen für diesen guten Beitrag. Er sollte direkt auch an die Bundesräte bzw. andere politische Entscheidungsträger gehen. Nicht nur #flattenTheCurve sondern auch #2degree und #decarbonizeTheEconomy sind wichtig!
Dem ist kaum etwas beizufügen. Außer der Aufforderung und Ermutigung "to whom it may concern", entprechend zu handeln.