ETH-Professor neuer Leiter der Science Task Force
Während der Coronakrise setzt der Bund verstärkt auf wissenschaftliche Expertise und rief deshalb die «Swiss National COVID-19 Science Task Force» ins Leben. Ab August erhält die Task Force ein neues Mandat und einen neuen Leiter: Martin Ackermann, Professor für Mikrobiologie an der ETH Zürich und Eawag.
ETH-News: Herr Ackermann, Sie werden der neue Präsident der Nationalen Science Task Force – wie kam es dazu?
Martin Ackermann: Als ich als Vizepräsident angefragt wurde, ob ich neu das Präsidium übernehmen möchte, habe ich gerne zugesagt, weil ich davon überzeugt bin, dass die Task Force eine wichtige und sinnvolle Aufgabe erfüllt. Die Task Force, das sind rund 70 Forschende – darunter 12 Kolleginnen und Kollegen aus der ETH Zürich – die sich alle freiwillig und unentgeltlich engagieren, um die Schweiz möglichst gut durch diese Krise zu bringen. Es ist ein Privileg, ein solch ausserordentliches Netzwerk zu präsidieren, aber gerade, weil die Situation so einmalig ist, habe ich natürlich auch grossen Respekt vor der Aufgabe. Ich bin zudem froh, dass wir in den letzten Monaten unglaublich viel gelernt haben, zum Beispiel wie wir am besten mit den Behörden zusammenarbeiten. Darauf können wir aufbauen.
Die Coronakrise hat sich in der Schweiz entschärft. Warum braucht es die Task Force noch?
Wir haben die Krise noch nicht überstanden. Jetzt müssen wir uns Gedanken machen, wie wir diese Krise nicht nur eindämmen sondern längerfristig lösen. Welche Strategie soll die Schweiz für die nächsten Monate entwickeln und umsetzen? Diese Frage wird meiner Meinung nach noch zu wenig diskutiert und genau hier setzt die Task Force an – in einem externe Seite Grundlagenpapier hat sie erarbeitet, welches die wichtigsten Fragen sind, die aus wissenschaftlicher Sicht angegangen werden sollten.
Und wo möchten Sie mit der Task Force die Schwerpunkte setzen?
Es gibt drei wesentliche Punkte: Erstens geht es um die Frage, wie wir die aktuelle Situation gut im Griff behalten. Konkret bedeutet das: Wir müssen bei grösstmöglicher Freiheit die am wenigsten schmerzhaften Massnahmen treffen, um die Fallzahlen tief zu halten. Zweitens ist es wichtig, dass wir neue Erkenntnisse laufend analysieren, beurteilen und in eine Strategie einbauen. Zum Beispiel verstehen wir mittlerweile viel besser, wie SARS-CoV-2 übertragen wird, und können so Übertragungen besser verhindern. Drittens müssen wir damit anfangen zusammenzutragen, welches für die Schweiz die wichtigsten Learnings aus den vergangenen Monaten sind. Ziel ist, Lösungen zu finden für die aktuelle Krise und auf die nächste Krise besser vorbereitet zu sein.
«Wenn wir etwas durch die Coronakrise gelernt haben, dann doch, dass wir die Probleme nur gemeinsam lösen können.»Martin Ackermann
Es fällt auf, dass die Task Force im neuen Papier wirtschaftliche Aspekte sehr betont – warum?
Wir haben festgestellt, dass in der öffentlichen Diskussion häufig Wirtschaft und Gesundheit gegeneinander abgewogen wurde. Diese Abwägung beruht auf der Vorstellung, dass allein die konkreten Massnahmen die Wirtschaft schwächen, doch diese Idee hat sich als falsch herausgestellt: Auch die Angst der Bevölkerung vor Corona lähmt die Wirtschaft. Deshalb möchten wir in der Task Force diese Mechanismen besser verstehen. Wirtschaft und Gesellschaft können sich nur erholen, wenn wir das Virus unter Kontrolle halten.
Nun hat die Task Force auch ein neues Mandat bekommen – was ändert sich?
Da der Krisenstab des Bundesrats aufgelöst wurde, ist neu die Verbindung zwischen Task Force und BAG viel direkter. So sind regelmässige Treffen geplant, bei denen wir uns einen Überblick über den aktuellen Erkenntnisstand und auch die offenen Fragen auf beiden Seiten verschaffen können. Damit sollten wir fähig sein, noch schneller zu reagieren. Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir haben einen noch besseren Datenaustausch vereinbart – das ist essenziell, denn aussagekräftige Forschung beruht auf einer guten Datenbasis.
Ihr Vorgänger Matthias Egger war sehr präsent in der Öffentlichkeit und hat teilweise das Vorgehen der Behörden auch kritisiert – sind Sie aus dem gleichen Holz geschnitzt?
Ich bin beeindruckt, was Matthias Egger mit der Task Force auf die Beine gestellt hat – aus meiner Sicht war er genau der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt. Die letzten Monate waren aber unglaublich intensiv und anstrengend – dass er sich jetzt wieder vermehrt seinen Aufgaben beim SNF widmen möchte, kann ich gut verstehen. Um die Frage zu beantworten: Ich fand es schon immer gut, dass viele Mitglieder der Task Force mit ihrer grossen Expertise auf einzelnen Gebieten in den Medien präsent sind. Ich werde in den Medien die Gesamtsicht der Task Force vertreten. Mein Eindruck ist, dass der Konsens in der Bevölkerung zum Beispiel über die Massnahmen eher abgenommen hat, es kann deshalb gut sein, dass die Sicht der Task Force zu einzelnen Punkten noch mehr gefragt ist.
Und was passiert, wenn Sie und das BAG nicht einer Meinung sind?
Das ist gut! Wenn wir etwas durch die Coronakrise gelernt haben, dann doch, dass wir die Probleme nur gemeinsam lösen können. Anderer Meinung zu sein und sich darüber auszutauschen, ist in einer so aussergewöhnlichen Situation absolut zentral – sonst würde man sich womöglich in die eine oder andere Richtung verrennen. Also diskutiert die Task Force intensiv mit den Behörden und kommuniziert dann ihre Betrachtungsweise und Argumente auch der Öffentlichkeit.
Aus Ihrer Sicht: Wo steht die Schweiz in der Coronakrise?
Wir sind – alle zusammen und mit vereinten Kräften – bislang vergleichsweise gut durch diese Krise gekommen. Wir sind alle froh, dass wir die Fallzahlen in der Schweiz auf ein so tiefes Niveau gebracht haben und sie sich nun trotz eines neuen Anstiegs offenbar wieder stabilisieren. Es ist viel einfacher und weniger kostspielig, die Epidemie bei tiefen Fallzahlen unter Kontrolle zu halten als bei höheren Fallzahlen. Nun sind wir in einer Phase, in der wir uns überlegen müssen, wie es weiter geht. Zentral ist für mich der Glaube daran, dass wir es zusammen hinbekommen, diese Krise zu meistern.
Zum neuen Präsidenten der Task Force
Martin Ackermann wurde 1971 in Schwyz geboren und ist in Zofingen aufgewachsen. Er studierte Biologie an der Universität Basel, promovierte 2002 mit einer Dissertation über Alterungsprozesse in Bakterien und arbeitete danach zwei Jahre als Postdoc an der UC San Diego. Seit 2004 forscht Martin Ackermann an der ETH Zürich, seit 2015 ist er ordentlicher Professor und leitet an der ETH und der Eawag die Forschungsgruppe für Ökologie mikrobieller Systeme. Seine Gruppe erforscht, wie Mikroorganismen mit der Umwelt und untereinander interagieren und sich dadurch gegenseitig beeinflussen. Er ist verheiratet und Vater von zwei schulpflichtigen Kindern.