Seismische Ruhe dank Lockdown
Die Massnahmen zur Eindämmung von Covid-19 haben von Anfang bis Mitte 2020 weltweit zu einem Rückgang des seismischen Hintergrundrauschens geführt. Das zeigen in der Zeitschrift Science veröffentlichte Forschungsergebnisse.
Durch die Analyse von monate- bis jahrelangen Datensätzen von über 300 seismischen Stationen auf der ganzen Welt konnte die Studie unter der Leitung von Thomas Lecocq vom königlichen Observatorium in Belgien zeigen, wie das seismische Hintergrundrauschen in vielen Ländern und Regionen seit Beginn der Lockdown-Massnahmen abnahm. An der internationalen Studie beteiligten sich auch Forschende des Schweizerischen Erdbebendienstes an der ETH Zürich.
Am stärksten hat sich dieses Hintergrundrauschen in städtischen Gebieten verringert. Jedoch konnten auch Sensoren, die Hunderte von Metern tief im Boden installiert sind, die Effekte des Lockdowns aufzeichnen sowie in abgelegenen Gebieten, wie in Afrika südlich der Sahara. Die Forscher fanden zudem einen direkten Zusammenhang zwischen dem Rückgang des seismischen Rauschens und Datensätzen menschlicher Bewegungsmuster.
Ruhe unter Schweizer Städten
In der Schweiz zeigten vor allem die Stationen des Schweizerischen Starkbebenmessnetzes ähnliche Effekte. Viele dieser Messstationen befinden sich in städtischen Gebieten und verzeichneten unter anderem in Lugano, Martigny, Zürich, Basel und Genf einen deutlichen Rückgang des seismischen Hintergrundrauschens. Nachdem Mitte März der Lockdown verkündet wurde, war das seismische Rauschen in diesen Städten an Werktagen fast genauso niedrig wie an den Wochenenden vor Beginn des Lockdowns. Inzwischen befindet sich das seismische Hintergrundrauschen in der Schweiz, aber auch in den meisten anderen Ländern, beinahe wieder auf normalem Niveau.
Die Forschenden konnten zudem eine «Welle der Ruhe» sichtbar machen. Diese hatte ihren Ausgangspunkt in China, breitete sich danach nach Italien und schliesslich in die restliche Welt aus.
Die Verhaltens- und Distanzregeln, die reduzierte wirtschaftliche und industrielle Tätigkeit und der Rückgang von Tourismus und Reisen widerspiegeln sich demnach in den Aufzeichnungen des seismischen Hintergrundrauschens. Diese «Ruheperiode» des seismischen Hintergrundrauschens in 2020 ist die längste und markanteste weltweit von Menschen verursachte seismische Lärmreduktion, die jemals aufgezeichnet wurde.
Forscher brauchen seismische Ruhe
Normalerweise konzentriert sich die Seismologie auf die Messung und Analyse seismischer Wellen, die bei Erdbeben entstehen. Aber auch menschliche Aktivitäten führen zu Vibrationen im Untergrund, die von hochempfindlichen Seismometern aufgezeichnet werden können. Herumlaufen, privater und öffentlicher Verkehr, aber auch Industrie und Bautätigkeit erzeugen seismische Wellen, die die Aufzeichnung der natürlichen Phänomene beeinflussen können.
Der SED-Seismologe Frédérick Massin, einer der Co-Autoren der Studie, hofft, dass ihre Arbeit weitere Forschung zu den Auswirkungen des seismischen Lockdowns inspirieren wird. Ein wichtiges Ziel werde es sein, bisher verborgene Signale von Erdbeben und Vulkanen zu finden. «Aufgrund der immer grösseren Urbanisierung und der wachsenden Bevölkerung wird es wichtiger denn je, das von Menschen verursachte seismische Hintergrundrauschen zu charakterisieren, damit Forschende die Erde, insbesondere in Städten, besser hören und die Bodenbewegungen unter unseren Füssen überwachen können», betont er.
Dieser Artikel basiert auf einer Meldung des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED).
Literaturhinweis
Lecocq T, Hicks SP, Van Noten K et al.: Global quieting of high-frequency seismic noise due to COVID-19 pandemic lockdown measures. Science 23 Jul 2020: eabd2438. DOI: externe Seite 10.1126/science.abd2438externe Seite