Beton aufwerten und das Klima schonen
Dank der Technologie des ETH-Spin-Offs Neustark können Beton-Recyclingwerke Kohlendioxid dauerhaft einlagern.
Die beiden Jungunternehmer und Gründer des ETH-Spin-Offs Neustark sind grundverschieden, scheinen sich aber gut zu ergänzen. Der eine – Johannes Tiefenthaler – doktoriert am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik in der Gruppe von Professor Marco Mazzotti und tüftelt an der nächsten Technologiegeneration für die Mineralisierung von Kohlendioxid.
Der andere – Valentin Gutknecht – ist Betriebswirtschaftler und kümmert sich mit einem immer grösser werdenden Team um die operativen Aspekte. Zusammengebracht hat sie ihre gemeinsame Vision: eine klimapositive Geschäftsidee in die Realität umzusetzen.
Erkenntnisse zur Anwendung bringen
«Im Baubereich wird zwar viel geforscht, trotzdem hat die Industrie bisher nur kleine Emissionsreduktionen erzielt, weil ein grosser Teil der Erkenntnisse schubladisiert wird und nicht zur Anwendung gelangt», sagt Tiefenthaler. «Ich möchte meine Energie, die ich in mein Doktorat stecke, verwenden, um etwas zu bewirken».
Schon während seiner Masterarbeit hat sich Tiefenthaler mit verschiedenen Möglichkeiten beschäftigt, wie man Kohlendioxid mit mineralischen Stoffen reagieren lassen und als Kalkstein binden kann.
Eigentlich gibt es genug mineralische Stoffe auf der Erde, um mehrere Hundert Milliarden Tonnen Kohlendioxid zu binden, doch weil diese Materialien – etwa Magnesiumsilikate – nicht besonders reaktiv seien, müssten sie zuvor auf 700 Grad aufgeheizt werden, sagt Tiefenthaler. Im Gegensatz dazu habe sich Betongranulat als hochreaktiv erwiesen, wegen der insgesamt riesigen Oberfläche der vielen millimeterkleinen Partikel. Auch ohne Vorbehandlung formt der Betonbruch mit dem Kohlendioxid sehr stabile chemische Verbindungen.
Verfeinerte Eigenschaften des Abbruchmaterials
Der Clou von Neustarks Technologie: Sie bindet CO2 in den Poren und an der Oberfläche von Betongranulat als Kalkstein. Dieses aufgewertete Granulat kann nun als Sand- und Kiesersatz in frischen Beton gemischt werden. Dank dem aufgewerteten Granulat benötigt man dafür weniger Zement - bei gleichbleibenden Eigenschaften.
«Mich hat gereizt, dass die Lösung nicht erst in fünf oder zehn Jahren, sondern schon jetzt greifbar ist», sagt der zweite Jungunternehmer, der Ökonom Valentin Gutknecht. Unterwegs zum Betonwerk Kästli in der Umgebung von Bern, wo die Pilotanlage von Neustark schrittweise in Betrieb genommen wird, findet er etwas Zeit für ein Gespräch.
Vor der Gründung war Gutknecht beim ETH-Spin-off Climeworks – dem Pionierunternehmen für die Entfernung von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft – mitverantwortlich für das Marketing und den Verkauf. Bei Neustark läge die Herausforderung vor allem darin, zwischen vielen Themenbereichen zu jonglieren, sagt Gutknecht. Sie müssten nicht nur die Betoneigenschaften im Griff haben, sondern sich auch auf den verschlungenen Pfaden der CO2-Zertifizierungen zurechtfinden.
«Begonnen haben wir mit Interviews mit den Geschäftsführern von zehn verschiedenen Betonwerken, um zu erfahren, wo der Schuh drückt», erzählt Gutknecht. «Dann haben wir mit Fördergeldern von privaten Investoren und von der öffentlichen Hand die ersten kleinen Prototypen entwickelt.
Vorerst hätten sie sich für eine containerbasierte Lösung entschieden, sagt Tiefenthaler. In einem vom Bundesamt für Umwelt und der Klimastiftung Schweiz unterstützten Projekt gehe es nun darum, den Wertzuwachs entlang der ganzen Wertschöpfungskette zu demonstrieren: Das Kohlendioxid soll von einer Biogas-Auftrennungsanlage des Abwasserreinigungswerk Arabern in Herrenschwanden kommen. Mit diesem (für den Transport verflüssigten) Kohlendioxid behandelt Neustark in seiner Pilotanlage den Betonbruch.
Emissionen rückgängig machen
Die weltweite Zementproduktion entlässt etwa viermal so viel Kohlendioxid in die Luft wie der gesamte globale Flugverkehr. Wenn die Technologie von Neustark also hilft, den Zementbedarf im Bauwesen zu senken, verbessert sich dessen CO2-Bilanz, weil ein Teil der Emissionen aus der Herstellung vermieden werden kann.
Doch Gutknecht und Tiefenthaler weisen beide auf einen zusätzlichen Aspekt hin: Mit ihrem Trick, Kohlendioxid aus der Luft zu holen – und es in die Poren des Betongranulats zu stopfen und dort als Kalkstein dauerhaft zu binden, können sie CO2-Emissionen sogar rückgängig machen.
«Es gibt nur ganz wenige technische Ansätze für echte negative Emissionen», sagt Tiefenthaler. Die Anwendung dieser Ansätze hält sich bislang in Grenzen, insbesondere weil überzeugende Anreiz- und Geschäftsmodelle fehlen. «In dieser Hinsicht ist unser Vorgehen einmalig, weil wir zeigen, dass sich mit dem Binden von Kohlendioxid ein Mehrwert schaffen lässt. Und dass negative Emissionen nicht nur Kosten, sondern sogar einen wirtschaftlichen Gewinn bringen können», sagt Gutknecht.