Manager aus Bits und Bytes
Mehr und mehr Firmen erkennen in KI ein wichtiges Werkzeug der Zukunft. KI könnte auch in Administration und Management nützlich sein. Doch derzeit steht man erst am Anfang des Wegs.
Wenn ETH-Angehörige Fragen zu den IT-Angeboten der ETH haben, können sie sich neuerdings Antworten bei einem Chatbot holen. Seit Kurzem bieten die ETH-Informatikdienste diesen Service als Hilfe zur Selbsthilfe an. Allerdings ist Rui Brandao, Direktor der Informatikdienste, noch nicht ganz zufrieden: «In etwa der Hälfte der Fälle sind die Antworten nützlich, in den anderen Fällen treffen sie den Kern der Sache noch nicht richtig.»
Infrastruktur für die Forschung
Der Chatbot ist eines der ersten KI-Projekte in der ETH-Administration. «Wir setzen mehrere regelbasierte Systeme ein, aber die sind in meinen Augen noch nicht KI», erklärt Brandao. Der Chatbot hingegen lernt aus Eingaben und Reaktionen der Nutzenden und wird so mit der Zeit immer besser. Er ist vor allem dafür gedacht, typische Fragen von Studienanfängern zu IT-Diensten zu beantworten. Chatbots gebe es auch im Kundendienst von Ikea oder anderen Firmen, sagt Brandao, aber generell seien die Systeme noch ziemlich unausgereift. Für die Informatikdienste, die Tausenden täglich zuverlässige Technologie bieten müssen, sei KI derzeit erst punktuell einsetzbar. «Wir müssen im Alltag auf robuste Systeme setzen.»
Mit dem Leonhard Cluster, den die Informatikdienste der ETH betreiben, liefern Brandao und sein Team hingegen eine wichtige Infrastruktur für die Forschung, die mit KI arbeitet. Sie ist speziell für Big Data Analytics und maschinelles Lernen ausgelegt. «Der Cluster ist in seiner Ausprägung weltweit ziemlich einmalig und wird beispielsweise für die biomedizinische Forschung intensiv genutzt», so Brandao.
KI für die Wirtschaft
Nicht nur für Forschende ist KI gerade superinteressant, ist Stefan Feuerriegel, ETH-Professor für Wirtschaftsinformatik, überzeugt. «KI wird sich auf längere Sicht für Firmen als Wettbewerbsvorteil erweisen. Allerdings wird das erst in fünf oder mehr Jahren sichtbar sein», sagt er. Man stehe noch ganz am Anfang dieser Entwicklung. «Firmen beginnen jetzt mit KI zu experimentieren, und wir helfen ihnen dabei», erklärt Feuerriegel. So haben er und sein Team beispielsweise mit AMAG, dem grössten Autoverkäufer der Schweiz, definiert, was die interessantesten Anwendungsfelder für KI in diesem Unternehmen sein könnten, und daraus erste Projekte abgeleitet.
Für den Onlinehändler Digitec Galaxus entwickelt Feuerriegels Team ein intelligentes System, das das Kundenverhalten auf der Website analysiert, um unentschlossene Kunden im richtigen Moment Zusatzinformationen zu liefern, die das Kaufinteresse unterstützen. Generell seien predictive analytics, also datenbasierte Prognose-Systeme, ein vielversprechendes Einsatzgebiet von KI, sei es im Marketing und Verkauf, im Gesundheits- und Versicherungsbereich oder in der Logistik, erklärt Feuerriegel.
Ein anderes Einsatzgebiet für KI ist die klassische Administration. Dazu ist gerade der ETH-Spin-off BLP Digital entstanden. Rechnungen erfassen, Lieferscheine kontrollieren, Spesenbelege prüfen: Solch repetitive Aufgaben sollen in Zukunft lernende Algorithmen erledigen. Sie sollen auch solche Rechnungen und Belege, die nicht als speziell für den Computer strukturierte Dokumente vorliegen, lesen und verarbeiten können. Die Lösung von BLP Digital basiert auf der Kombination von zwei Technologien: Bild- und Spracherkennung. Mögliche Kunden finden sich in allen Branchen, wo administrative Prozesse viele Ressourcen verschlingen. «Man weiss, dass selbst die Bearbeitung einer einfachen Rechnung im Schnitt acht bis zwölf Minuten braucht», sagt Feuerriegel. Hier könnte KI viel Zeit sparen.
Zeit sparen klingt gut – doch was bedeutet das für Arbeitsplätze? Studien rechnen damit, dass durch KI gut 20 Prozent der Arbeitsplätze im administrativen Bereich verloren gehen könnten. Das könne auf den ersten Blick bedrohlich wirken, gibt Feuerriegel zu. Aber KI werde in der Administration auch viele Möglichkeiten für interessantere und höherqualifizierte Arbeitsplätze bieten als heute. Feuerriegel ist überzeugt: «Ohne den Faktor Mensch geht es nicht.» Zudem handele es sich um eine Entwicklung, die nach und nach stattfinde. Er sieht KI eher nicht als Disruption, die mit einem Schlag alles verändert. «Wir können intelligente Systeme nicht wie ein Smartphone von der Stange kaufen.» Noch müsse für jedes Projekt die passgenaue Lösung entwickelt werden. Das erfordere Zeit.
Teil der Digitalisierungsstrategie
An der ETH wird die Digitalisierung der Prozesse in Ressourcen- und Geschäftsmanagement, im Personalmanagement oder in den Services für Studierende stetig weiterentwickelt. «KI ist ein Teil unserer Digitalisierungsstrategie», sagt Robert Perich, ETH-Vizepräsident für Finanzen und Controlling. KI in Verwaltungsprozessen steht daher im Kontext einer kontinuierlichen Organisationsentwicklung und Digitalisierung, im Rahmen des Projekts «rETHink» beispielsweise, auf der ETH-Agenda.
Was das bedeutet, erläutert sein Mitarbeiter Paul Cross: «Wir möchten die Digitalisierung ganzheitlich angehen und sicherstellen, dass wir über solide Grundlagen für KI verfügen, um Menschen, Prozesse, Daten, Systeme und Governance aufeinander abzustimmen.» Dabei will man auch eng mit den ETH-Forschenden zusammenarbeiten und die bereits bestehenden Beziehungen zu den Experten für maschinelles Lernen, Sprachverarbeitung und andere Bereiche der KI nutzen. «Wir können an der ETH auf Weltklasse-Know-how zurückgreifen», sagt Cross. Umgekehrt könne der Digitalisierungsprozess der Forschung Use Cases liefern, in denen sie praktisch zum Einsatz kommen kann. In wenigen Jahren wird KI ein wertvolles Arbeitselement der ETH-Verwaltung sein, ist Cross überzeugt, das Studierenden, Mitarbeitenden und den breiteren Interessengruppen der ETH viele Vorteile bieten kann.
Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins Globe erschienen.