Anders wirtschaften
Ohne Strukturwandel werden wir Klimaneutralität nicht erreichen, sagen drei Ökonominnen. Eine Skizze, wie nachhaltiges Wirtschaften aussehen könnte.
Unser Wirtschaftssystem ist auf Wachstum getrimmt. Eine Voraussetzung dabei ist, dass Schäden an der Umwelt kaum etwas kosten. Dies fördert den Naturverbrauch. Die Ressourcen sind aber endlich. «Das ist nicht zukunftsfähig», sagt Irmi Seidl. Sie ist Ökonomin und leitet die Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Seidl geht der Frage nach, wie eine Ökonomie gestaltet werden kann, damit sie den Menschen dient und die natürlichen Grundlagen erhält.
«Unser heutiges System tut das nicht. Es braucht ein ökologisches Update, sonst nehmen auch ökonomische Krisen und soziale Verwerfungen zu», ist sie überzeugt. Doch mit dem Argument, das schade dem Wachstum, stemmten sich einflussreiche Sektoren seit Jahrzehnten gegen eine griffige Umweltpolitik. Technologie und Freiwilligkeit allein aber werden laut Seidl nicht reichen, um die Probleme Klimawandel, Naturzerstörung und Artensterben zu lösen. An «grünes» Wachstum glaubt sie nicht: «Weitermachen wie bisher mit einem grünen Anstrich wird nicht funktionieren», sagt Irmi Seidl. Bislang gehe eine wachsende Wirtschaft stets mit steigendem Ressourcen- sowie Energieverbrauch einher, eine absolute Entkopplung sei nicht in Sicht.
Wege zur tragbaren Wirtschaft
Für die Ökonomin ist klar: Es braucht einen umfassenden ökologischen Strukturwandel. «Wollen wir unsere Lebensgrundlagen verantwortungsvoll nutzen, müssen wir dem Naturkapital einen substanziellen Wert beimessen und vom klassischen Wachstumsdenken wegkommen», sagt sie.
Seidl sieht Stellschrauben, um diesen Wandel zu erreichen. «Essenziell ist, dass wir umweltschädigende Anreizstrukturen ändern», sagt sie. Dazu müsste man einerseits natürliche Ressourcen und Energie nach der ökologischen Knappheit bewerten und negative Auswirkungen auf Klima und Umwelt entsprechend auch konsequent bepreisen. «Umweltverbrauch muss deutlich mehr kosten», so Seidl. Andererseits gelte es, umweltschädigende Subventionen abzuschaffen oder neu zu gestalten. Auch im Schweizer Steuersystem gibt es zahlreiche Vergünstigungen, mit denen die Politik Bereiche wie Energie, Landwirtschaft, Verkehr oder Siedlungsentwicklung wirtschaftlich fördert. Dabei werden etwa Pestizideinsatz, Pendeln, Landverbrauch, Zersiedlung oder Bautätigkeit direkt oder indirekt unterstützt.
Weiter erachtet es Seidl als notwendig, dass man zentrale gesellschaftliche Bereiche weniger wachstumsabhängig gestaltet. Als Beispiel nennt sie Steuereinnahmen und Sozialwerke. Beide werden stark durch Abgaben auf Erwerbsarbeit finanziert, während die Unternehmenssteuern sinken. Das macht Arbeit zusehends teurer, erklärt die Ökonomin. Folglich ersetzen Firmen Arbeit durch Technologie. Also braucht es wieder Wachstum, um Erwerbsarbeit zu schaffen: Dazu lockt man unter anderem neue Firmen und Arbeitskräfte an, zont Land ein, baut Strassen und Häuser.
Diese Wachstumsspirale gilt es gemäss Seidl zu stoppen. Das erfordere nicht zuletzt ein neues Verständnis von Arbeit, denn Wachstum werde vor allem angestrebt, um die Erwerbsarbeit zu sichern: «Der hohe Stellenwert der Erwerbsarbeit muss sinken», folgert sie. Dann wären wir weniger erwerbstätig, würden weniger produzieren und konsumieren – dafür aber von einer intakten Umwelt, besserer Gesundheit und mehr Zeit für Eigen-, Miliz- oder Sorgearbeit profitieren.
Um die Wirtschaft auf einen klima- und umwelttauglichen Kurs zu bringen, bräuchte es schliesslich eine Neugestaltung verschiedener Sektoren – von Energie und Verkehr über Wohnen und Siedlungsstruktur bis hin zur Bau- und Landwirtschaft. «Der ökologische Umbau ist nicht einfach», sagt Seidl, «aber er ist machbar, wenn man ihn sozial gerecht gestaltet und als gesamtgesellschaftliche Aufgabe erkennt.» Eine entscheidende Rolle spielt die Forschung. Sie sollte die nachhaltigen Materialien, Produktionstechnologien und Infrastrukturlösungen entwickeln, die es für den Umbau braucht. «Innovationen dafür kommen vor allem von den Hochschulen, nicht von Unternehmen», sagt Seidl. Sie sieht die Institutionen des ETH-Bereichs in der Pflicht und erinnert daran, dass die ETH gegründet wurde, um die Schweiz zu industrialisieren. «Jetzt steht die ökologische Modernisierung an – eine mindestens ebenso grosse Aufgabe», sagt sie.
Materialien im Kreislauf
Das betrifft zentral unseren Umgang mit Ressourcen. «Etwa zwei Drittel der globalen Treibhausgasemissionen gehen auf die Gewinnung und Nutzung von Rohstoffen zurück», wissen Catharina Bening und Nicola Blum. Sie sind Senior Researcher am Lehrstuhl für Nachhaltigkeit und Technologie (SusTec) und leiten zusammen den Bereich Kreislaufwirtschaft.
Kreislaufwirtschaft verspricht, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln und Abfälle zu vermeiden, indem Materialien und Produkte in geschlossenen Stoffflüssen zirkulieren. Damit gilt sie vielen als Basis für eine nachhaltige Entwicklung. «Der Kreislaufgedanke hat in den letzten Jahren spürbar an Akzeptanz gewonnen», erzählen die beiden Forscherinnen. Gemeinsam mit Industriepartnern suchen sie nach Wegen, um lineare Produktionsprozesse in zirkuläre Wertschöpfungsketten umzugestalten.
Dabei stellen sie immer wieder fest, dass Praktiker ihre Kreislaufsysteme häufig nach einer einfachen Regel optimieren: Je mehr Material zirkuliert, desto besser. Tatsächlich fokussieren die meisten Ansätze auf die Menge wiederverwerteter Materialien, bewerten aber nicht den Wasser- oder Energieverbrauch, die Klimawirkung oder ökonomische und soziale Konsequenzen. «Die Tatsache allein, dass Materialien im Kreis geführt werden, ist nicht in jedem Fall besser für die Umwelt, noch muss es sich finanziell rechnen», gibt Blum zu bedenken. Ein Beispiel ist das Recycling von Altglas: Während das Sammeln durch die Bevölkerung unbestritten wichtig ist, kann es sein, dass das Recycling zu neuen Flaschen wegen des hohen Energieverbrauchs ökologisch weniger günstig ist als eine Verwendung als Isolationsmaterial, die Öl einsparen kann.
Um den Kreislaufgedanken relevanter zu machen, empfehlen Blum und Bening, bei jeder Massnahme neben dem Materialfluss auch die Nachhaltigkeit in den drei Dimensionen Ökologie, Wirtschaft und Gesellschaft zu prüfen. «So lässt sich sicherstellen, dass ein ökologischer Gewinn auf ökonomisch und sozial sinnvolle Weise erreicht wird», sagt Bening.
Die beiden Ökonominnen mahnen jedoch zur Vorsicht: In der Praxis führt der Ansatz oft zu Zielkonflikten. So trägt etwa das PET-Recycling in der Schweiz zwar in allen Dimensionen zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft bei. Eine Sammelrate von 100 Prozent wäre aus ökonomischer Sicht aber nicht unbedingt erstrebenswert. Das würde zwar die ökologische Nachhaltigkeit erhöhen, aber unter dem Strich höhere Sammelkosten verursachen, als zusätzliches Einkommen aus dem Verkauf von recycliertem PET generieren.
Das zeigt: Das Ziel einer Wirtschaft mit möglichst wenig Abfall und Umweltschäden ist komplex und mit Kompromissen verbunden. Dennoch: «Wollen wir die natürlichen Ressourcen bewahren, so ist die Kreislaufwirtschaft sicher ein Schritt in die richtige Richtung», sagt Blum. Wenn es ein Land gäbe, das auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle einnehmen kann, dann wäre es die Schweiz, ergänzt Bening.
Dieser Text ist in der Ausgabe 20/04 des ETH-Magazins Globe erschienen.