Klimapositive Geschäftsideen in die Realität umsetzen
An der ETH Zürich wagen sich zusehends mehr Forschende mit ihren Erkenntnissen aus dem Labor in die Praxis. Mit ihren Firmen wollen die Gründer direkt dazu beizutragen, den Anstieg des Kohlendioxid-Gehalts in der Atmosphäre zu drosseln.
Die «eindeutige Erwärmung des Klimasystems» ist im fünften Weltklimabericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) gut dokumentiert: Noch nie in den letzten 800 000 Jahren war die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre so hoch wie heute. Seit 1750 hat die Menschheit 555 Milliarden Tonnen Kohlenstoff freigesetzt, dadurch ist der Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre im Vergleich zur vor-industriellen Konzentration um 40 Prozent gestiegen. Gleichzeitig hat die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche zwischen 1880 und 2012 um 0,85 Grad Celsius zugenommen. Weil die weltweiten Schnee- und Eismengen wegschmelzen, schwellen die Meeresspiegel – im Schnitt um drei Millimeter pro Jahr – an.
Die Wissenschaft ist sich einig, dass die Menschheit alles in ihrer Macht Stehende unternehmen muss, um den Anstieg der Treibhausgas-Konzentrationen zu drosseln oder sogar wieder umzukehren. An der ETH Zürich weisen Forschende zusehends nicht nur mögliche Beiträge zur Schonung des Klimas auf, immer mehr wagen sich auch aus der Akademie – und verwenden ihre Energie, um klimapositive Geschäftsideen in die Realität umzusetzen. Von den 242 Spin-offs, die seit 2010 an der ETH Zürich entstanden sind, tragen 34 Unternehmen dazu bei, die Klimaerwärmung zu stoppen. Schauen wir uns zwei Beispiele, eins aus der Energiebranche, das andere aus dem Bausektor, etwas genauer an.
Klimaneutrale Treibstoffe aus Luft und Sonnenlicht
Seit seiner Gründung im Jahr 2016 entwickelt Synhelion eine – wie Zauberei anmutende – Solartechnologie, mit der sich der Verbrennungsprozess umkehren lässt. Nur aus Luft und Sonnenlicht will das Unternehmen synthetische flüssige Kraftstoffe gewinnen. Diese Solartreibstoffe setzen bei der Verbrennung nur so viel CO2 frei, wie zuvor der Luft entnommen wurde. Sie haben daher das Potenzial, die Transportindustrie praktisch klimaneutral zu machen. Aktuell bläst der gesamte Flug-, Schiff- und Strassenverkehr ungefähr acht Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre und ist damit für einen Viertel der menschengemachten CO2-Emissionen verantwortlich.
«Wir glauben, dass flüssige Solartreibstoffe ein wichtiges Element in der Energiewende sind», sagt Gianluca Ambrosetti, der CEO von Synhelion. In der Tat kann kein anderer Energieträger auch nur ansatzweise mit flüssigen Treibstoffen mithalten, wenn es um die Energiedichte, aber auch um die Langzeit-Speicherung geht. «Hinzu kommt, dass unsere Solartreibstoffe eine Drop-in-Technologie sind, für die keine zusätzliche Infrastruktur aufgebaut werden muss», sagt Ambrosetti. «Unsere Kraftstoffe können in den bereits bestehenden Raffinerien aufbereitet und über das vorhandene Tankstellen-Netz verteilt werden.»
Mehrtausendfach konzentrierte Sonnenstrahlung
Die ausgeklügelte Solartechnologie von Synhelion fusst auf drei Neuerungen, die alle ursprünglich in der Forschungsgruppe um Aldo Steinfeld, Professor für Erneuerbare Energieträger an der ETH Zürich, erfunden wurden – und nun von Synhelion weiterentwickelt werden. Erstens: Der Solar Receiver, ein schwarzer Hohlraum hinter einem durchsichtigen Quarzglas. Hier trifft die von Spiegeln mehrtausendfach konzentrierte Sonnenstrahlung ein – und erhitzt das Transportgas auf weit über 1000 Grad Celsius. Zweitens: Der keramische thermochemische Reaktor, der – wenn er vom heissen Transportgas genügend aufgeheizt ist – Wasser und Kohlendioxid aufspalten und in eine Mischung aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, in so genanntes Syngas, umwandeln kann. (Das Syngas kann mittels konventioneller Verfahren zu unterschiedlichen flüssigen Treibstoffen, etwa Methanol, Benzin oder Kerosin, weiterverarbeitet werden.) Und drittens: Ein thermischer Energie-Speicher, der auch nachts und an bewölkten Tagen für den Betrieb des Reaktors sorgt.
Vor eineinhalb Jahren hat das Team um Steinfeld auf dem Dach des Maschinenlaboratoriums der ETH Zürich eine Mini-Raffinerie-Anlage aufgestellt, die rund einen Deziliter Methanol pro Tag produziert. «Damit haben wir bewiesen, dass die Herstellung von nachhaltigem Treibstoff aus Sonnenlicht und Luft auch unter realen Bedingungen funktioniert», sagt Steinfeld.
Als Nächstes gelte es nun, die Prozesse zu skalieren, die Effizienz zu steigern – und die Kosten zu senken, sagt Ambrosetti. Zweifeln an der Skalierbarkeit begegnet Ambrosetti mit einem gewissen Verständnis. «Bis wir die Technologie im industriellen Massstab einsetzen können, dauert es mindestens noch fünf Jahre.» Deshalb setzt Synhelion auf eine Zwischenlösung, das sogenannte Solar Upgrading, um die Zeit bis zur Markteinführung zu verkürzen. «Wenn wir zum Gasgemisch aus Wasser und Kohlendioxid zusätzlich Methan hinzufügen, kann die thermochemische Umwandlung in Syngas bereits ab 800 °C erfolgen», sagt Ambrosetti. «Dank dieser Vereinfachung sollten wir schon in zwei Jahren in der Lage sein, zu einem wettbewerbsfähigen Preis Solartreibstoffe herzustellen, die netto nur halb so viel CO2 freisetzen wie fossile Brennstoffe.»
Kohlendioxid zu Stein verwandeln
Eine völlig andere Idee liegt dem Geschäftsmodell von Neustark zugrunde: Das 2019 gegründete ETH-Spin-off treibt eine Technologie voran, mit der aus Betonbruch hochwertiger Kalkstein gewonnen – und dabei Kohlendioxid zu Stein verwandelt und dauerhaft eingelagert – werden kann. «Im Baubereich hat die Industrie bisher nur kleine Emissionsreduktionen erzielt, weil ein grosser Teil der Forschungserkenntnisse schubladisiert wird und nicht zur Anwendung gelangt», sagt Johannes Tiefenthaler, einer der beiden Gründer von Neustark. «Ich möchte meine Energie, die ich in mein Doktorat stecke, verwenden, um etwas zu bewirken.»
Schon während seiner Masterarbeit hat sich Tiefenthaler mit verschiedenen Möglichkeiten beschäftigt, wie man Kohlendioxid mit mineralischen Stoffen reagieren lassen und in Karbonatgestein umwandeln kann. Eigentlich gäbe es genug mineralische Stoffe auf der Erde, um mehrere Hundert Milliarden Tonnen Kohlendioxid zu binden. Doch weil diese Materialien, etwa Magnesiumsilikate, nicht besonders reaktiv seien, müssten sie zuvor auf 700 Grad Celsius aufgeheizt werden, führt Tiefenthaler aus. Im Gegensatz dazu habe sich in Betongranulat gebrochenes Rückbaumaterial als hochreaktiv erwiesen, wegen der insgesamt riesigen Oberfläche der vielen millimeterkleinen Partikel. Auch ohne Vorbehandlung forme der Betonbruch mit dem Kohlendioxid sehr stabile chemische Verbindungen.
«Mich hat gereizt, dass die Lösung nicht erst in fünf oder zehn Jahren, sondern schon jetzt greifbar ist», sagt der andere Gründer von Neustark, der Ökonom Valentin Gutknecht. Für ihn liege im Moment die grösste Herausforderung darin, zwischen vielen verschiedenen Themenbereichen zu jonglieren, sagt Gutknecht. «Wir müssen nicht nur die Betoneigenschaften im Griff haben, sondern uns auch auf den verschlungenen Pfaden der CO2-Zertifizierungen zurechtfinden.»
Negative CO2-Emissionen, die einen wirtschaftlichen Gewinn bringen
Während Tiefenthaler am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik an der nächsten Technologiegeneration für die Mineralisierung von Kohlendioxid tüftelt, kümmert sich Gutknecht mit einem immer grösser werdenden Team um die operativen Aspekte: In einem vom Bundesamt für Umwelt und der Klimastiftung Schweiz unterstützten Projekt hat Neustark auf dem Gelände des Betonwerks Kästli im bernischen Rubigen eine Pilotanlage in der Form eines leuchtend orangen Containers installiert. In diesem Container wird das Abbruchmaterial aus alten Betonbauten von flüssigem CO2 umströmt. Nach einem rund zweistündigen Kohlendioxidbad sehen die Altbetonbruchstücke zwar immer noch gleich aus, sie wiegen aber deutlich mehr, weil sie in den feinen Poren ihrer spröden Oberfläche etwa zehn Kilogramm CO2 pro Kubikmeter aufgesogen haben.
Dabei geht das Kohlendioxid eine chemische Bindung mit dem im Altbeton enthaltenen Calciumoxid ein. So entstehen Kalksteinkristalle, die die Eigenschaften des Betonbruchs entscheidend verfeinern: Wenn das Betonwerk aus dem behandelten Abbruchmaterial Recycling-Beton mischt, braucht es weniger Zement, um dieselbe Festigkeit zu erreichen. Die weltweite Betonproduktion entlässt jährlich mehr als zwei Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Luft – und macht damit etwa sieben Prozent der anthropogenen CO2-Emissionen aus. Wenn die Technologie von Neustark also hilft, den Zementbedarf im Bauwesen zu verringern, verbessert sich dessen CO2-Bilanz, weil ein Teil der Emissionen aus der Zementherstellung vermieden werden kann.
Doch Gutknecht und Tiefenthaler weisen beide auf einen zusätzlichen Aspekt hin: Mit ihrem Trick, Kohlendioxid aus der Luft zu entnehmen – und es in die Poren des Betongranulats zu stopfen und als Kalkstein dauerhaft zu binden, können sie CO2-Emissionen sogar rückgängig machen. «Es gibt nur ganz wenige technische Ansätze für echte negative Emissionen», sagt Tiefenthaler. Die Anwendung dieser Ansätze hält sich bislang in Grenzen, insbesondere weil überzeugende Anreiz- und Geschäftsmodelle fehlen. «In dieser Hinsicht ist unser Vorgehen einmalig, weil wir zeigen, dass sich mit dem Binden von Kohlendioxid ein Mehrwert schaffen lässt», sagt Gutknecht. «Die verfeinerten Eigenschaften des Betonabbruchs belegen, dass negative Emissionen nicht nur kosten – sondern sogar einen wirtschaftlichen Gewinn bringen – können», sagt Gutknecht.
Dieser Text ist in der Ausgabe 20/04 des ETH-Magazins Globe erschienen.