Elektrischer Speicher in Nanogrösse dank Ferroelektrika?
Die Materialtheoretikerin Chiara Gattinoni erforscht mit dem Supercomputer «Piz Daint» am CSCS eine spezielle Klasse von Materialien: die Ferroelektrika. Diese Materialien könnten künftig das Herzstück von energiesparenden, miniaturisierten Datenspeichern in elektrischen Geräten sein. Eines der von der ETH-Forscherin analysierten Ferroelektrika ist ihrer Meinung nach geradezu magisch.
Heutige elektronische Geräte wie Computer oder Smartphones beruhen auf zwei physikalischen Grundbestandteilen: elektrische Materialien, die Informationen verarbeiten, und magnetische Materialien, die diese speichern. Die magnetische Datenspeicherung braucht jedoch ordentlich Energie, da sie Magnetfelder benötigt, die von vergleichsweise grossen Magneten erzeugt werden. Im Gegensatz dazu benötigt die Erzeugung von elektrischen Feldern viel weniger Energie. Ein elektrischer Speicher könnte den Energiebedarf zukünftiger elektronischer Geräte drastisch senken.
Deshalb erforschen Marie-Curie-Stipendiatin Chiara Gattinoni und ihre Kolleginnen in der Materialtheorie-Gruppe von ETH-Professorin Nicola Spaldin sogenannte Ferroelektrika. Die Materialtheoretikerinnen wollen neue Materialien mit Funktionalitäten entwickeln, die es noch nicht gibt. Dabei sind Ferroelektrika besonders interessant, weil sie eine spezielle Eigenschaft besitzen: eine ihnen innewohnende elektrische Polarisation, die sich durch ein äusseres elektrisches Feld umkehren lässt.
Binär wie die 0 und 1 eines Bits
Diese nützliche Eigenschaft entsteht meist durch Verformungen in der Kristallstruktur der Ferroelektrika. Diese Verformungen wiederum erzeugen winzige elektrische Dipole, deren Plus- und Minus-Pole durch ein kleines, lokal angelegtes elektrisches Feld umgekehrt werden können. Auf diese Weise ist es möglich, zwei unterschiedliche Polarisationszustände innerhalb des Materials zu erzeugen – ähnlich wie die Null- und Eins-Zustände eines Bits in magnetischen Speichergeräten. «Wir können also mit einem elektrischen Feld auf das Material 'schreiben' und es zum Speichern von Informationen nutzen», sagt Gattinoni. Allerdings lassen sich diese zwei beeinflussbaren Polarisationszustände nur bis zu einer bestimmten kritischen Materialdicke kontrollieren, was die weitere Miniaturisierung elektronischer Systeme begrenzt.
Gattinonis Arbeit gibt nun Aufschluss darüber, warum die umkehrbare Polarisation verloren geht und wie dies überwunden werden könnte – insbesondere, wie ferroelektrische Materialien so konstruiert werden könnten, dass auch nur wenige Nanometer messenden Dünnfilmen eine stabile und kontrollierbare Polarisation besitzen.
Das Problem dünner Schichten aufspüren
Zu diesem Zweck führten Gattinoni und Kolleginnen mit dem Supercomputer «Piz Daint» am CSCS sogenannte Dichtefunktionaltheorie-Berechnungen durch. Die Wissenschaftlerinnen untersuchten sehr dünne Filme, die geringfügig dicker oder dünner als sieben Kristalleinheitszellen waren. Danach verglichen die Forschenden die rechnerisch erzielten Ergebnisse mit Experimenten, die andere Mitarbeitende des Labors für Ferroische Materialien der ETH Zürich an einem Film aus Bleititanat (PbTiO3) – einem typischen, gut herstellbaren ferroelektrischen Material – auf einem Strontiumruthenat-Metallwaver durchgeführt hatten. Die kombinierten Ergebnisse erlauben nun Einblicke in mögliche Ursachen der unterdrückten Polarisation.
Zwei bekannte Phänomene tragen zum Verlust der Polarisation bei: Das eine ist das sogenannte depolarisierende Feld, das durch entgegengesetzte Ladungen auf den gegenüberliegenden Oberflächen des Materials entsteht – eine natürliche Folge von dessen Dipolmoment. Diese Ladungen erzeugen ein elektrisches Feld, das der Richtung der ferroelektrischen Polarisation genau entgegengesetzt ist. Je dünner die Folie ist, desto näher kommen sich diese entgegengesetzten Ladungen und desto stärker wird darum auch dieses zerstörerische depolarisierende Feld.
Das zweite Phänomen ergibt sich aus der Instabilität der Oberflächenladungen an sich. «In der Praxis muss das System einen Weg finden, die Oberflächenladungen zu kompensieren, um die ferroelektrischen Eigenschaften zu erhalten», erklärt Gattinoni. Ihre Berechnungen am Supercomputer zeigen einen Weg auf, wie dies auch in dünnen Filmen erreicht werden kann.
Richtig dünn werden
Zunächst fand Gattinoni heraus, dass entgegen früherer Annahmen die chemische Bindung an der Grenzfläche zwischen dem Ferroelektrikum und dem darunterliegenden Metall – in diesem Fall die Strontiumruthenat-Schicht – die Aufrechterhaltung der Polarisation kaum beeinflusst. Stattdessen spielen die elektronische Struktur und damit die elektrostatischen Eigenschaften des Ferroelektrikums und der Metallschicht die dominierende Rolle im System. «Das bedeutet, dass wir die elektrostatischen Eigenschaften verändern müssen, um die Polarisation zu kontrollieren, anstatt uns auf die chemischen Bindungen zu konzentrieren», sagt Gattinoni.
Ihre Berechnungen gaben auch Hinweise darauf, wo solche Modifikationen den grössten Effekt auf den Ladungsausgleich haben würden. Demnach spielen Ladungsverschiebungen an der Grenzfläche zwischen dem Ferroelektrikum und dem Metall nur eine geringe Rolle. Bislang hatte man angenommen, dass diese entscheidend sind. Modifikationen an der Oberfläche der Ferroelektrika erwiesen sich hingegen als deutlich effektiver. Beispielsweise lassen sich gezielt Defekte in die Struktur einbringen, die elektrische Ladungen adsorbieren, oder aber die Atmosphäre eines Bauelements wird mit bestimmten, ladungsadsorbierenden Molekülen angereichert. «Mit beiden Methoden lässt sich die Polarisation auch sehr dünner ferroelektrischer Filme stabilisieren», sagt Gattinoni.
Das magische Material
Gewisse Ferroelektrika könnten in Zukunft zudem als leistungsstarke Katalysatoren bestimmter wichtiger chemischer Reaktionen dienen. In diesem Zusammenhang untersuchte Gattinoni vor kurzem ein Material, das, wie sie sagt, magisch ist: Bismutferrit.
Wiederum untersuchte sie einen dünnen Film des Materials mithilfe von Dichtefunktionaltheorie-Berechnungen, diesmal um dessen Potenzial bei der Katalyse der Wasserspaltung zu bestimmen. Bei dieser chemischen Reaktion werden Wassermoleküle in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten; sie wird deshalb zur Wasserstoffproduktion genutzt. Heutige Methoden sind allerdings mangelhaft, da sie entweder von fossilen Brennstoffen abhängig oder aber kostspielig und energieaufwendig sind. Daher könnte die Entwicklung einer effizienteren Wasserspaltung zu einer umweltfreundlichen Wasserstoffwirtschaft führen.
Wie Gattinonis Berechnungen zeigten, dürfte sich Bismutferrit tatsächlich als hervorragender Katalysator der Reaktion erweisen. Denn das Material besitzt erstaunliche elektronische Eigenschaften: Bismutferritfilme bleiben sogar dann ferroelektrisch, wenn sie nur eine Einheitszelle dick sind – und das, ohne dass Oberflächenladungen kompensiert werden müssten.
Das liegt daran, dass Bismutferrit zwei verschiedene Arten von Polarisation enthält: die ferroelektrische Polarisation und eine weitere, materialeigene Polarisation. Diese entsteht, weil die Bismutoxidschicht des Materials positiv und die Eisenoxidschicht negativ geladen ist. Zufällig sind diese beiden gegensätzlichen Polarisationstypen gleich gross. Daher kompensiert die materialeigene Polarisation exakt die ferroelektrische Polarisation und kompensiert die Oberflächenladungen.
Ein praktischer Katalysator
Diese «magische» Eigenschaft macht das Material «reaktionsträge», was Fachleute als inert bezeichnen. Wird es zum Beispiel zu Wasser gegeben, passiert nichts. Wird jedoch die ferroelektrische Polarisation durch Anlegen eines elektrischen Feldes umgekehrt, häufen sich Oberflächenladungen massiv an, was wiederum die Wassermoleküle zur Spaltung veranlasst.
Derzeit versuchen Gattinonis Mitarbeitende, diese Idee experimentell zu bestätigen. Ausserdem deuten ihre Ergebnisse sowie frühere Arbeiten anderer Wissenschaftler darauf hin, dass ein ähnlicher chemischer Prozess auch zum Abbau von Schadstoffen wie giftigen Stickoxiden (NOx) verwendet werden könnte. «Wir werden das Potenzial der Ferroelektrika für die Katalyse auf jeden Fall weiter erforschen», betont Gattinoni.
Dieser Text von Santina Russo erschien zuerst auf Englisch auf der Website des externe Seite CSCS.
Literaturhinweise
Gattinoni Ch., Strkalj N., Härdi R., Fiebig M., Trassin M. and Spaldin N.A.: Interface and surface stabilization of the polarization in ferroelectric thin films. PNAS (2020). doi: externe Seite 10.1073/pnas.2007736117
Efe I., Spaldin N.A. and Gattinoni Ch.: On the happiness of ferroelectric surfaces and its role in water dissociation: The example of bismuth ferrite. J. Chem. Phys. (2021). doi: externe Seite 10.1063/5.0033897
Spaldin N.A., Efe I., Rossell M.D. and Gattinoni Ch.: Layer and spontaneous polarizations in perovskite oxides and their interplay in multiferroic bismuth ferrite. J. Chem. Phys (2021). doi: externe Seite 10.1063/5.0046061