KITE-Award für Physikpraktikum im Wohnzimmer

Die Auszeichnung der ETH Zürich für besonders innovative Lehrprojekte geht dieses Jahr an einen Kurs, der Physikexperimente zu den Studierenden nach Hause brachte. Das Sieger-Projekt setzte sich gegen 24 andere eingereichte Projekten durch.

Das Sieger-Team mit Jury und Rektor
Das Sieger-Team mit Jury-Mitgliedern und Rektor: v.l.n.r.: Prof. Dr. Manu Kapur (Jury), Prof. Dr. Ulrike Lohmann (Präsidentin KdL), Dr. Andreas Eggenberger, Dr. Martin Kroner, Dr. Max Doebeli, Dr. Alexander Eichler, Prof. Dr. Günther Dissertori (Rektor). (Bild: Oliver Bartenschlager / ETH Zürich)

Physikexperimente mit einer Kartoffelchips-Dose, an der ETH? «Vieles, was wir uns nicht vorstellen konnten, ist in der Pandemie plötzlich möglich geworden», sagte Günther Dissertori, Rektor der ETH Zürich, bei der Verleihung des KITE Awards 2022. Mit dem Preis zeichnet die Konferenz des Lehrkörpers der ETH Zürich alle zwei Jahre ein besonders innovatives Lehrprojekt aus. Dieses Jahr ging er an die Macher des Physikpraktikums für Bachelorstudierende.

Das Experiment mit der Dose war eines von vielen, die Andreas Eggenberger, Leiter des Praktikums, und sein Team im März 2020 entwickelte, als die Labors geschlossen waren und die Läden nur noch Dinge des täglichen Gebrauchs verkaufen durften. Mit der Dose, einem Spalt aus zwei Rasierklingen, einer CD und einem Handy massen die Studierenden zuhause die Wellenlänge des Lichtes aus verschiedenen Quellen. In anderen Experimenten bestimmten sie mit einer Wasserflasche die Schallgeschwindigkeit oder überprüften mit Sonnenbrillen das Gesetz von Malus, welches die Intensität von Licht hinter einem Polarisationsfilter beschreibt.

Alle Experimente liessen sich auch zu Hause gefahrlos durchführen und auswerten und hatten meist gleichwertige oder sogar bessere Lerneffekte wie jene, die sie gewöhnlich im Labor durchführten. Das Projekt hat sich gegen 24 andere durchgesetzt, die sich alle um den KITE-Award 2022 bewarben.

Selbstorganisiertes Experimentieren

Rektor Günther Dissertori übergibt den Award an Andreas Eggenberger
Rektor Günther Dissertori übergibt den Award an Andreas Eggenberger (Bild: Oliver Bartenschlager / ETH Zürich)

Dass die Studierenden im Physikpraktikum 2020 zuhause alles selber planen, bauen und umsetzen mussten, habe den Kurs verändert, sagt Eggenberger. «Plötzlich war die Physik ganz nah bei den Studierenden und ihrem Alltag, das führte zu einem ganz anderen Engagement.» Gab es beim Aufbau eines Experiments Probleme, half das zugleich, diese tiefer zu verstehen.

Die neu entwickelten Experimente blieben deshalb in der Sammlung, als die Labore wieder öffneten. Die Dozierenden planen sogar, nach deren Vorbild neue, offener gestaltete Experimente zu schaffen. Bei diesen wollen sie die traditionellen, gebrauchsfertigen Versuchsaufbauten durch eine werkstattähnliche Sammlung von Geräten und Werkzeugen ersetzen, mit denen die Studierenden selber einen experimentellen Ansatz entwickeln müssen.

Dass der Kurs ohne komplizierte Technologie auskomme, zeichne ihn weiter aus, sagt Ulrike Lohmann, sie ist Präsidentin der Konferenz des Lehrkörpers, die den Preis alle zwei Jahre vergibt. «Je einfacher die Materialien, desto besser lassen sich die pädagogischen und didaktischen Vorteile des Kurses auf andere Fächer und Departemente anwenden. Kurse wie diese können die Entwicklung der Lehre an der ETH nachhaltig beeinflussen.» Das Potenzial dazu haben auch die beiden weiteren Projekte, die es in den Final des KITE Award geschafft hatten.

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(Video: ETH Zürich / Nathalie Schmidig)

Üben in der virtuellen Fabrik

In der Zeit, in der es ausschliesslich Zoom-Vorlesungen gab, entwickelte ETH-Professor Torbjørn Netland gemeinsam mit seinem Team ein neues Online-Konzept für seinen Einführungskurs «Production and Operations Management». In 44 fünf- bis zehnminütigen Erklärvideos erklärten Netland und sein Team die wichtigsten Konzepte und Prinzipien im Produktionsmanagement. «Unser Ziel war es, informative, unterhaltsame und abwechslungsreiche Videos zu erstellen, auf die sich die Studierenden freuen», sagt Netland. Dafür zeichneten er und sein Team kurze Vorträge auf und kombinierten sie mit eingeblendeten Fragen, audiovisuellen Elementen und einer gehörigen Portion Humor.

Dazu kamen virtuelle Besuche in Fabriken und Produktionsanlagen. Netland und sein Team produzierten die VR-Inhalte dafür selbst. Mit günstigen VR-Brillen und einem Smartphone oder Computer besuchten die Studierenden reale Fabriken der Firma Hilti. Sie bewegten sich virtuell durch die Produktionshallen und lösten an unterschiedlichen Stationen realistische Produktionsprobleme. Wie in einem Computerspiel erhielten sie dafür Punkte.

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(Video: ETH Zürich / Roland Lanz)

Quadrocoptern das autonome Fliegen beibringen

Im Kurs «Quad-Rotors: Control and Estimation» von ETH-Professor John Lygeros können Bachelorstudierende in Elektrotechnik und Informationstechnologie ihr theoretisches Wissen über Steuerungssysteme im Labor anwenden und vertiefen. Die Aufgabe: In einem kleinen Team ein eigenes Steuerungssystem entwickeln, das kleine Quadrocopter autonome Flugmanöver ausführen lässt.

Im Lockdown haben Jeremy Coulson und Paul Beuchat kurzerhand die Hardware der Quadrocopter angepasst, eine neue Software entwickelt und Online-Lehrmittel eingesetzt, um Teamarbeit und Überwachung aus der Ferne zu ermöglichen. Sie haben den Studierenden ein Paket mit einem angepassten Quadrocopter und der neu entwickelten Plug-and-Play-Software zugestellt. Damit hatten sie die Hardware, um Experimente bei sich zu Hause durchzuführen. «Gleichzeitig ging es uns aber darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Studierenden effektiv in Teams arbeiten, zudem wollten wir den Studierenden auch ein zeitnahes Feedback geben können», sagt Paul Beuchat. Dafür verwendeten sie die Breakout-Sessions von Zoom.

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(Video: ETH Zürich / Gabriela D'Hondt)

Neue Innovation in Learning and Teaching Fair

Die Preisverleihung fand im Rahmen der ersten Innovation in Learning and Teaching Fair am 4. Mai statt. Dieser neue Anlass vereint zwei bisherige: die Learning and Teaching Fair, bei der sich ETH-Dozierende bei einer grossen Ausstellung in der Haupthalle über innovative Lehrprojekte und -ideen austauschten mit der Verleihung des KITE Award.

Der KITE Award zeichnet Lehrprojekte aus, die zugleich wirksam und nachhaltig sind, also die Kompetenzen nachhaltig festigen. Sie sollen sich aber auch potenziell auf andere Fächer und Gebiete übertragen lassen. Speziell in diesem Jahr war die zusätzliche Bedingung, dass alle Projekte in den Semestern des Fernunterrichts während der Pandemie entstanden sind.

teachingfair.ethz.ch

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