«Ich sehe Interdisziplinarität nicht als Selbstzweck.»
Sebastian Bonhoeffer schätzt an der Interdisziplinarität vor allem die kleinen intellektuellen Umwege im Austausch mit Kolleg:innen aus anderen Fachgebieten.
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Sie haben in Basel Musik studiert. Wie kam es, dass Sie danach ein Physikstudium in München aufnahmen?
Sie denken bestimmt, das war die Sorge, dass man mit Musik kein Geld verdienen kann. Nein, dieses Klischee erfülle ich nicht! Es war eher so, dass ich erst einen gewissen Abstand von der Schule benötigte, um zu erkennen, dass ich mich auch für Wissenschaft interessiere. Und es ist wohl einfacher, ein Profiwissenschaftler und Hobbymusiker zu sein als umgekehrt.
Musik braucht Freiraum und Kreativität – welche Rolle spielen diese bei der Wissenschaft?
In meiner Erfahrung eine sehr grosse. Das betrifft aber nicht nur Freiraum und Kreativität, sondern auch das ständige Suchen nach neuen Wegen, die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen «Werk», der lange Atem, den man benötigt, bis hin zu der Art und Weise, wie ich versuche, mit meinen Mitarbeitenden zusammenzuarbeiten. Das ist ein wenig wie Kammermusik!
Mithilfe mathematischer Modelle untersuchen Sie HIV-Infektionen. Sehen Sie Parallelen zu einer Covid-Infektion?
Ich bin in meiner Arbeit eigentlich den umgekehrten Weg gegangen. Ich habe existierende epidemiologische Modelle angepasst, um die Populationsdynamik und Evolution von HIV innerhalb einer infizierten Person zu beschreiben und zu verstehen. Aber Sie haben freilich recht: Es gibt viele Parallelen, sonst wäre meine Gruppe und ihre vielen Alumni nicht so stark an der Covid Science Task Force des Bundes beteiligt gewesen.
Welche Ziele verfolgen Sie als Leiter des Collegium Helveticum?
Wir wollen das Collegium als einen Ort des anregenden Austauschs und der kreativen Freiräume verwirklichen. Sie bilden die Basis intellektueller Unabhängigkeit. Dadurch gewinnt nicht zuletzt der Wissenschaftsstandort Zürich neue Impulse und im einen oder anderen Fall auch neue Köpfe.
Was fasziniert Sie an der Interdisziplinarität?
Ich bin mathematischer Biologe und forsche über Infektionskrankheiten. Die Interdisziplinarität ergab sich immer zwangfrei aus der Logik der Forschungsprobleme. Ich sehe Interdisziplinarität nicht als Selbstzweck. In meiner Erfahrung ist der kleine intellektuelle Umweg, den man durch den Austausch mit Kolleg:innen aus einem anderen Fachgebiet nimmt, zielführender, als zu versuchen, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen.
Zur Person
Sebastian Bonhoeffer ist Professor für Theoretische Biologie am Departement Umweltsystemwissenschaften. Seit 2021 ist er zudem Direktor des Collegium Helveticum.
«Globe» Energie mit Zukunft
Dieser Text ist in der Ausgabe 22/03 des ETH-Magazins Globe erschienen.