Sergio Mattarella al Politecnico
Der zweitägige Staatsbesuch in der Schweiz führte den italienischen Präsidenten am Mittwoch (30.November) zusammen mit Bundespräsident Ignazio Cassis an die ETH Zürich. Nach einer Begrüssung durch ETH-Präsident Joël Mesot und Grussworten der beiden Gäste gaben Forschende und Studierende der Hochschule einen Einblick in ihr Wirken.
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Joël Mesot hiess den italienischen Staatspräsidenten, in Begleitung seiner Tochter und den Bundespräsidenten, der von seiner Ehefrau begleitet wurde, sowie die Gäste im vollen Audimax herzlich willkommen. In seiner Begrüssung betonte er, wie viel Italien und die ETH Zürich verbindet. So kommen 1100 Studierende und wissenschaftliche Mitarbeitende sowie 27 Professorinnen und Professoren, die an der ETH wirken, aus Italien. Und die Forschenden unterhielten über 450 Kontakte mit italienischen Universitäten, Forschungsinstitutionen und Unternehmen.
Schweizer Hochschulen und Europa
Mesot verwies auf die verschiedenen historischen Verbindungen des Poly zu Italien. Wie schon bei ihrer Gründung, sei der Auftrag der ETH auch heute noch, im Dienst der Gesellschaft zu stehen. Die Welt sei indes eine andere mit zahlreichen Krisen und Herausforderungen, die sich der Schweiz und der Welt stellten. Für deren Lösung brauche es nicht nur den politischen Willen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, sondern auch den Beitrag der Wissenschaft sowie innovative Technologien. Dann dankte er dem italienischen Staatspräsidenten für seinen Besuch: «Wir schätzen es ausserordentlich, dass Sie uns heute die Möglichkeit geben für einen kulturellen Brückenschlag und Gedankenaustausch mit unseren Forschenden und Studierenden.»
Von den Anfängen zu heutigen Herausforderungen
Bundespräsident Ignazio Cassis kam zu Beginn seines Grusswortes auf die historische Verbindung der ETH mit dem Tessin zu sprechen, konkret auf Stefano Franscini, den ersten Bundesrat aus dem Südkanton und einen der Gründerväter des Polytechnikums. Unter seiner Aufsicht sei die Hochschule aufgebaut worden, die heute die ganze Schweiz mit Stolz erfülle. Er dankte allen Forschenden, Studierenden und Dozierenden für Ihren Beitrag, dass die Schweiz zu den innovativsten Ländern der Welt gehöre.
In Anbetracht der aktuellen Krisen sei die Wissenschaft besonders gefordert, Antworten für die Zukunft zu entwickeln, betonte Cassis. Er setze sich sehr für die Wissenschaftsdiplomatie ein, denn es gehe darum, dass neue Erkenntnisse und Technologien allen Menschen zugutekämen und nicht nur eine kleine Gruppe von ihnen profitiere. Auch müssten Innovationen von der Gesellschaft akzeptiert und deren potenziellen negativen Effekte auf die Gesellschaft frühzeitig erkannt werden.
Mit Blick auf die internationale Zusammenarbeit sagte Cassis, dass «wir Schweizer und Italiener, die wir freundschaftlich verbunden einen gemeinsamen Lebensraum bilden, gut wissen, wie fundamental wichtig unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit für die Bürgerinnen und Bürger unserer Länder ist.»
«Prima di essere ingegneri voi siete uomini»
«Universitäten bildeten seit Beginn des 19. Jahrhunderts das Fundament Europas», begann Sergio Mattaralla seine Ausführungen. Mit ihren Netzwerken hätten sie eine erste Form der Integration im Geiste der sogenannten «Res publica literaria» angeboten und die grössten Denker des Kontinents vereinigt. Sie hätten bestehende Grenzen überschritten und auch geltende Vorschriften verletzt, dies im Sinne der Freiheit. Die ETH Zürich atme seit ihrer Gründung das Gedankengut der «universitas studiorum europea» und sei ein fruchtbarer Boden, auf dem die besten Ergebnisse gedeihten.
Die vielen italienischen Forschenden, Dozierenden und Studierenden im Raum seien Zeugnis von der intensiven wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern. Mattarella bedankte sich bei den Forschenden für die bisherige Zusammenarbeit bei den europäischen Forschungsprogrammen und brachte seinen Wunsch zum Ausdruck, dass die Schweiz bald wieder bei Horizon Europe teilnehmen könne. Freiheit und Demokratie, zentrale Werte aller europäischen Völker, seien auf das Wissen angewiesen, das Universitäten bereitstellen. Und an die Studierenden gewandt sagte er: «Der Austausch von Ideen mit jungen Leuten aus unterschiedlichen Ländern Europas fördert das kritische Denken und ein gemeinsames Verständnis.»
Zum Schluss seiner Ansprache knüpfte Mattarella an die Ausführungen von Bundespräsident Cassis an und erinnerte an die gesellschaftliche Verantwortung von Akademiker:innen, insbesondere an technischen Hochschulen. Mit einem Hinweis auf die Marmortafel vor dem Audimax, zitierte er den Ausspruch von Francesco de Sanctis, der von 1856-1860 die erste Professur für Italienische Literatur an der ETH innehatte: «Prima di essere ingegneri voi siete uomini.» - Bevor ihr Ingenieure seid, seid ihr vor allem Menschen.
Innovation und Unternehmertum
Innovation und Unternehmertum standen im Zentrum des zweiten Teils der Veranstaltung, durch den ETH-Rektor Günther Dissertori führte.
Stefano Brusoni, Professor für Technologie und Innovationsmanagement, untersucht mit seiner Gruppe unter anderem Hindernisse, die der Implementierung neuer Technologien entgegenstehen. Anhand zweier Beispiele italienischer Genossenschaften zeigte er auf, welche Bedeutung auch sozialen Faktoren zukommen.
Viola Becattini, Postdoc am Institut für Energie und Verfahrenstechnik, forscht an Technologien für CO2-Abscheidung, -Transport und -Speicherung. Anhand verschiedener Pilotprojekte im In- und Ausland zeigte sie auf, wie negative CO2-Emissionen zu einer Netto-Null-Gesellschaft beitragen können.
Verschiedene Gesundheitsprojekte
Paola Picotti, Professorin für molekulare Systembiologie, zweifache Gewinnerin eines ERC-Grants, hat eine Methode entwickelt, um strukturelle Veränderungen in Tausenden von Proteinen gleichzeitig zu messen. Eines der Ziele ist, einen Marker zu entwickeln, der die Parkinson-Krankheit detektiert, was mit heutigen diagnostischen Mitteln nicht möglich ist.
Dann kam die Reihe an Michele Gregorini, der an der ETH Zürich sein Doktorat abschloss und als Pioneer Fellow das ETH Spin-offs Diaxxo mitgründete. Die Firma entwickelt DNA-Analysesysteme, die schnell eine präzise und zuverlässige Diagnose ermöglichen und zudem kostengünstig sind. Ihre Point-of-Care PCR-Tests liefern innert 30 Minuten Resultate und erlauben es Ärzten, Krankheiten entsprechend schnell zu erkennen und zu behandeln. Da die Tests ohne aufwendige Infrastruktur auskommen und nur rund fünf Franken kosten, eignen sie sich insbesondere auch für ärmere Länder.
Im Anschluss an die Präsentationen im Audimax begaben sich die Gäste in die Kuppel des Hauptgebäudes, wo Studierende und Forschende aus der Gruppe von Professor Stanisa Raspopovic auf sie warteten. Sie führten sechs tragbare robotergestützte Assistenzsysteme für die Rehabilitation vor, an denen sie im Labor für Neuroengineering arbeiten.