Warum Konfliktparteien aufhören zu kämpfen
Der Weg zum Frieden führt meist über einen Waffenstillstand. Unter welchen Bedingungen Konfliktparteien in Bürgerkriegen bereit sind, die Waffen niederzulegen, und warum sie sich dazu entscheiden, zeigen ETH-Forschende als Teil eines internationalen Forschungsprojektes.
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Das Wichtigste in Kürze
- 2202 Waffenstillstände resultierten zwischen 1989 und 2020 aus 109 Bürgerkriegen in 66 Ländern.
- In besonders blutigen Monaten sind Konfliktparteien eher zu einem Waffenstillstand bereit.
- Waffenstillstände kommen häufig im ersten Monat eines Konfliktes zustande. Danach dauert es im Durchschnitt vier Jahre bis die Chancen dafür wieder steigen.
- Ein weiterer Faktor, der die Wahrscheinlichkeit eines Waffenstillstandes erhöht, ist die Abwahl oder der Sturz der Regierung während eines Bürgerkrieges.
- Konfliktparteien sind eher bereit, die Waffen niederzulegen, wenn sie dafür eine politische Rechtfertigung haben.
- Waffenstillstände dienen oft politischen oder militärischen Zielen, die nicht mit einer friedlichen Lösung des Konfliktes vereinbar sind.
Waffenstillstände sind Vereinbarungen, mit denen sich eine oder mehrere Konfliktparteien darauf verpflichten, die Kampfhandlungen einzustellen. Obwohl sie die Probleme, die einem Konflikt zugrunde liegen, meist nicht lösen, sind sie ein wichtiger Schritt, um Bürgerkriege zu beenden.
Doch warum entscheiden sich Konfliktparteien die Waffen niederzulegen? Und wann sind sie dazu eher bereit? Um diese Fragen zu beantworten, haben Wissenschaftler:innen der ETH Zürich, des Friedensforschungsinstitutes in Oslo (PRIO) und der Universität Uppsala den ersten umfassenden Datensatz zu Waffenstillständen in allen Bürgerkriegen zwischen 1989 und 2020 erstellt. Dabei haben sie 2202 Vereinbarungen, die während 109 innerstaatlicher Konflikte in 66 Ländern geschlossen wurden, untersucht.
Die in der Fachzeitschrift Journal of Conflict Resolution erschienen Studien zeigen, dass die Gründe für Waffenstillstände in Bürgerkriegen vielseitiger sind als bisher gedacht und dass es eine Reihe von Bedingungen gibt, die sie begünstigen. Da zwischenstaatliche Konflikte im Untersuchungszeitraum der Studie eine absolute Ausnahme darstellten, wurden sie von den Autor:innen nicht berücksichtigt.
Ein globales Phänomen
In fast allen Bürgerkriegen zwischen 1989 und 2020 entschlossen sich die Parteien früher oder später, wenn oft auch nur für begrenzte Zeit, die Kämpfe einzustellen. Die fünf Länder mit den meisten Waffenstillständen sind Sudan (169), gefolgt von Indien (167), den Philippinen (157), Syrien (140) und Israel (103).
In Lateinamerika sind die meisten Waffenstillstände zwischen 1989 und den frühen 1990er Jahren zu beobachten, was vor allem auf die Friedensprozesse in El Salvador, Guatemala und Nicaragua zurückzuführen ist. Ab Mitte der 1990er Jahre wurden die meisten Vereinbarungen dann in Europa im Zusammenhang mit den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien geschlossen. Als Folge des Konfliktes in der Ukraine nahm die Anzahl der Waffenstillstände in Europa ab 2014 erneut zu.
In Afrika und Asien traten Waffenstillstände über den gesamten Zeitraum des Datensatzes relativ konstant auf. Im Nahen Osten hingegen waren Vereinbarungen von 1990 bis in die frühen 2000er Jahren relativ selten. Ihre Zahl stieg erst 2014 in Folge des Gazakrieges zwischen der Hamas und Israel an.
Wann Waffenstillstände zustande kommen
Die Studien des internationalen Forschungsteams zeigen, dass Konfliktparteien eher dann einen Waffenstillstand abschliessen, wenn der Konflikt besonders blutig ist und überdurchschnittlich viele Zivilist:innen versehentlich durch Rebellenangriffe getötet wurden. Im Süd-Sudan unterzeichneten die Konfliktparteien zum Beispiel im Juni 2018 ein Abkommen, nachdem die Wochen davor zu den blutigsten der letzten 12 Monate gezählt hatten.
Darüber hinaus beobachten die Forschenden, dass Waffenstillstände oft im ersten Monat eines Konfliktes geschlossen werden, da die Parteien zu testen scheinen, wie ernst es ihnen mit dem Krieg ist und ob doch eine Chance für eine friedliche Beilegung des Konfliktes besteht. Gelingt dies nicht, dauert es im Durchschnitt vier Jahre bis die Chancen dafür wieder steigen.
Sie zeigen auch, dass die Abwahl oder der Sturz der Regierung während eines Bürgerkrieges die Wahrscheinlichkeit eines Waffenstillstandes erhöht. «Die Wahl eines neuen Regierungschefs oder einer Chefin zeigt, dass die Bevölkerung mit der aktuellen Politik unzufrieden ist. Eine neue Person an der Spitze ist dadurch eher in der Lage, auf die Gegner zuzugehen», sagt Govinda Clayton vom Center for Security Studies der ETH Zürich, der das Forschungsprojekt leitet.
So kündigte Gustavo Petro, der neue Präsident von Kolumbien, nach seinem Amtsantritt im August 2022 an, einen Waffenstillstand mit allen bewaffneten Gruppen aushandeln zu wollen. Dieser Effekt neuer Führungspersönlichkeiten nimmt aber nach einem Jahr ab, da dann die anfängliche Dynamik meist verpufft ist.
Politischer Kontext und internationale Unterstützung
Die Analysen der Konfliktforschenden ergeben ausserdem, dass Konfliktparteien eher bereit sind, die Waffen niederzulegen, wenn sie dafür eine politische Rechtfertigung haben. Diese kommt zum Beispiel in Form eines Mediationsangebotes einer vermittelnden Partei, die um einen Waffenstillstand bittet, oder während religiöser Feiertage, die es den Konfliktparteien erlauben die Kämpfe kurzfristig einzustellen, ohne das Gesicht zu verlieren.
In El Salvador rechtfertigte die Nationale Befreiungsfront Farabundo Martí ihre Bereitschaft die Waffen niederzulegen explizit mit dem Verweis, eine Konzession gegenüber dem Mediator, dem UN-Generalsekretär, zu machen. Und im innerafghanischen Bürgerkrieg nach 1989 kam es anlässlich des Fastenbrechens nach dem Ramadan immer wieder zu temporären Waffenstillständen.
Die Bereitschaft die Kampfhandlungen fortzusetzen, kann durch die Unterstützung von externen Akteuren beeinflusst werden. «Zusätzliche Truppen, Waffen oder ökonomische Hilfe erlauben es dem Staat, kostspielige Konflikte über längere Zeiträume aufrechtzuerhalten», erklärt ETH-Forscher Clayton. Dieser Logik entsprechend finden die Forschenden aus Zürich, Oslo und Uppsala, dass Waffenstillstände in Zeiten, in denen der Staat in seinem Kampf gegen Rebellengruppen von externen Akteuren unterstützt wird, weniger wahrscheinlich sind.
Ein Signal für den Frieden
Auch wenn es in fast allen der 2202 Waffenstillständen um die Beendigung von Gewalt geht, variieren die Gründe dafür beträchtlich. Eine der wichtigsten Funktionen ist, die friedliche Beilegung eines Konfliktes zu fördern. Fast 70 Prozent aller Vereinbarungen im Datensatz des Forschungsteams fallen in diese Kategorie.
So führte etwa in Kolumbien ein erfolgreich umgesetztes Waffenstillstandsabkommen dazu, dass die Rebellengruppe der FARC die Waffen niederlegte und der Kriegsstatus aufgehoben wurde. Und im Sudan bildete ein lokaler Waffenstillstand in den Nuba-Bergen einen wichtigen Ausgangspunkt auf dem Weg zu einem umfassenden Friedensabkommen.
Mit der Bereitschaft auf Gewalt zu verzichten signalisieren Konfliktparteien ihre friedlichen Absichten, schaffen Vertrauen und zeigen, dass sie in der Lage sind, ihre eigenen Truppen zu kontrollieren. Clayton und seine Koautorin Corinne Bara von der Universität Uppsala weisen zum Beispiel nach, dass Staaten, die Waffenstillstände mit einer Rebellengruppe schliessen und einhalten, ihre Reputation als verlässlicher Kooperationspartner stärken und damit die Wahrscheinlichkeit von Vereinbarungen mit anderen Konfliktparteien erhöhen. Gleichzeitig besteht aber das Risiko, dass ein Scheitern eines Waffenstillstands das labile Vertrauen zwischen Konfliktparteien zerstört und damit laufende Friedensverhandlungen gefährdet.
Militärische Verschnauf- und humanitäre Feuerpausen
In der bisherigen Forschung stand die friedensfördernde Funktion von Waffenstillständen im Vordergrund. Doch ETH-Forscher Clayton und seine Koautor:innen identifizieren drei weitere Gründe, warum Konfliktparteien aufhören zu kämpfen.
Waffenstillstände werden oft dafür eingesetzt, um politische oder militärische Ziele zu erreichen, die nicht mit einer friedlichen Lösung des Konfliktes vereinbar sind. «Konfliktparteien nutzen sie etwa dazu, sich neu zu bewaffnen oder die territoriale Kontrolle über ein Gebiet zu konsolidieren», so Clayton.
Bei einem Fünftel aller kodierten Abkommen im neuen Datensatz handelt es sich hingegen um kurzfristige Vereinbarungen, die humanitären Gründen wie der Lieferung von Hilfsgütern, oder der Bergung von Toten auf dem Schlachtfeld dienen. So verschafften etwa in Syrien lokale Waffenstillstände der belagerten Bevölkerung an einigen Orten eine vorübergehende Atempause, obwohl diese Vereinbarungen möglicherweise auch militärstrategischen Zielen des Regimes dienten.
Und Waffenstillstände werden auch als Mittel der Konfliktbewältigung eingesetzt. «In diesen Fällen geht es darum, die verheerenden Auswirkungen der Gewalt einzudämmen, ohne dass die Parteien einer Friedenslösung näherkommen», sagt Clayton. Zum Beispiel diente das 2015 verhandelte Minsker Abkommen zwischen Russland und der Ukraine bis zum russischen Angriff im Februar 2022 dazu, die Gewalt einzudämmen, ohne sie ganz zu beenden.
Literaturhinweise
Clayton G, Rustad S. Ceasefires in Civil Conflict: A Research Agenda, Journal of Conflict Resolution, 26. Oktober 2022, DOI: externe Seite 10.1177/00220027221128300.
Clayton G, Nygård H, Strand H, et.al. Introducing the ETH/PRIO Civil Conflict Ceasefire Dataset, Journal of Conflict Resolution, 12. Oktober 2022, DOI: externe Seite 10.1177/00220027221129183.
Clayton G, Bara C, Your Reputation Precedes You: Ceasefires and Cooperative Credibility During Civil Conflict, Journal of Conflict Resolution, 4. Oktober 2022, DOI: externe Seite 10.1177/00220027221126725.
Clayton G, Nygård H, Rustad S, Bara C, Costs and Cover: Explaining the Onset of Ceasefires in Civil Conflict, Journal of Conflict Resolution, 4 Oktober 2022. DOI: externe Seite 10.1177/00220027221129195.