Engagiert in fernen Ländern

Peter Schmidt ist seit über 30 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit tätig – immer auf der Suche nach Möglichkeiten, Menschen zu unterstützen. Sein erster Besuch in Indien warf ihn für drei Tage aus der Bahn und prägte dann sein ganzes Leben.

Ein Mann mit Glatze, Brille und einer grauen The North Face Jacke sitzt auf einer Bank und schaut in die Ferne.
ETH-Alumnus Peter Schmidt liegt die Entwicklungszusammenarbeit am Herzen. (Bild: Nicole Bachmann)

Peter Schmidt sieht man sein weitgereistes Leben nicht an. Mit den gestutzten weissen Haaren, im karierten Hemd und in Stoffhose sowie mit seiner ruhigen Art zu sprechen, wirkt er nicht gerade wie der geborene Abenteurer. Dass das täuscht, merkt man, wenn er über seine Zeit in Indien, Kirgistan und Myanmar erzählt. Dann leuchten seine Augen auf und es ist unübersehbar, dass ihn ein Leben aus immer neuen Eindrücken glücklich gemacht hat.

Im Klang der Armut

Seine erste Station: Indien. Noch während seines Agronomiestudiums an der ETH Zürich war er zum ersten Mal da, als Teil eines «speziellen Praktikums». Darin sollten die angehenden Agronom:innen nach Praktika auf Schweizer Bauernhöfen auch einige Wochen fremde Luft schnuppern. Schmidt tat dies in der Region Kerala im äussersten Süden Indiens. Die Ankunft in der regionalen Hauptstadt Trivandrum (heute Thiruvananthapuram) im Jahr 1986 war einschneidend: Der damals 26-jährige Schmidt flüchtet direkt in das Haus eines Schweizer Arbeitskollegen und kommt drei Tage lang nicht wieder heraus. «Ich brauchte diese Zeit, um die Fülle an neuen Eindrücken zu verarbeiten», erzählt er heute. Seit da hat Armut für ihn einen bestimmten Klang: «Tock, tock, die Hammerschläge mit denen Hunderte von indischen Frauen am Strassenrand sitzend Steine zu Schotter zerkleinern für den Strassenbau – diese Arbeit machen bei uns die Kieswerke.» Auch die Menschenmassen und die Gerüche sind überwältigend: Essensdunst, Gewürze, Fäkalien.

So unsanft die Ankunft, so prägend ist der Aufenthalt für den jungen Schmidt. Für die Entwicklungsorganisation Intercooperation arbeitet er an einem Projekt zur Viehwirtschaft. «Wir wohnten jeweils eine Zeit lang in verschiedenen Dörfern, sprachen und arbeiteten mit den Menschen», erzählt er. Unter anderem berät er Bauernfamilien zu Themen der Viehzucht und wertet einfache Feldversuche mit Futterpflanzen aus. Seine Lebensumstände sind wie die der Einheimischen denkbar einfach. Ein karges Zimmer, ein Wassereimer als Dusche, ein Loch im Hof als Toilette. Schmidt erkennt, dass den Bauern und Bäuerinnen vor allem eine berufliche Ausbildung fehlt und dass es in der Entwicklungszusammenarbeit viel zu tun gibt. Und er merkt, dass er seine Berufung gefunden hat.

Kurz heim und wieder weg

Zurück in der Schweiz schliesst er sein Studium ab und reist bald wieder für ein Intercooperation-Projekt nach Indien, genauer, nach Orissa (heute Odisha), einer der ärmsten Gegenden des Landes – diesmal für drei Jahre. Mit dabei sind nun auch seine Frau Käthi Hüssy und das knapp einjährige Töchterchen Zarah. «Wir lebten in einer Kleinstadt mit 100'000 Einwohnern. Ausser meinem Chef, seiner Frau und einer englischen Pflegefachfrau waren wir die einzigen Ausländer», erzählt Schmidt. Obschon er und seine Frau intensiv Oriya lernen, die lokale Sprache, bleiben soziale Kontakte mit Einheimischen schwierig.

«Beruflich aber war es eine enorm bereichernde Zeit», sagt Schmidt. «Wir holten in den Dörfern die Bedürfnisse der Bauern ab, bauten darauf auf und planten Projekte, um ihnen zu helfen.» Zum Beispiel in der Milchproduktion. Kühe wurden vor allem gehalten, um Dung für die Felder zu produzieren. Mit einfachen Massnahmen, dem richtigen Futter etwa, liess sich auch die Milchleistung steigern. «Dann braucht es aber sofort eine Kühlkette und einen Vertrieb. Bei solchen Dingen haben wir die Bauern unterstützt und sie dabei immer besser verstehen gelernt.»

Nach drei Jahren kehrt die Familie in die Schweiz zurück, fasst Fuss, meldet die Tochter für den Kindergarten an. Schmidt wird Ausbildner in landwirtschaftlicher Beratung, inklusive Kurzreisen nach Albanien oder Simbabwe. Dennoch zieht es Schmidt und seine Frau – sie ist Ethnologin – bald wieder weg, diesmal nach Kirgistan. «Wir wollten wieder in einer anderen Kultur leben, unseren Erfahrungsschatz erweitern», sagt Schmidt. In der Hauptstadt Bischkek lebt die Familie in einem kleinen Haus und Tochter Zarah besucht eine Privatschule, in der russisch gesprochen wird. Das ist zu Beginn, als die Sprache noch neu ist, hart, wie Papa Schmidt erzählt. Heute ist seine Tochter Diplomatin – ihre Russischkenntnisse waren dabei wegweisend. «Familiär waren diese Jahre toll, die Lebensqualität war hoch und es gab eine Expat-Community, bei der wir Anschluss fanden.» Auch beruflich läuft es: In einem Helvetas-Projekt baut Schmidt einen landwirtschaftlichen Beratungsdienst auf, ähnlich wie die kantonalen Beratungsdienste in der Schweiz – und unterstützt damit das Land und seine Menschen auch dabei, sich vom Zusammenbruch der Sowjetunion aus weiterzuentwickeln.

Nach drei Jahren folgt wiederum die Rückkehr nach Winterthur. «Wir wollten, dass die Kinder während der Pubertät in der Schweiz leben», sagt Schmidt. Zwar hatten sie in Bischkek Freunde, aber um diese zu sehen, mussten sie von den Eltern durch die Millionenstadt gefahren werden. «Dagegen waren sie in der Schweiz viel freier und unabhängiger.» Während der nächsten 14 Jahre arbeitet er bei Helvetas in verschiedenen Funktionen, unter anderem als Regionalkoordinator und damit Verbindungsmann zwischen Geldgebern und unterstützten Ländern, als Co-Direktor der Abteilung Internationale Programme und als Co-Leiter der Beratungsdienste. «Das waren spannende Aufgaben, langweilig wurde mir nie.» Zudem bereist Schmidt als Teil seiner Aufgaben rund 30 Länder auf vier Kontinenten.

Vom Aufbruch zum Putsch

Trotzdem: Zunehmend ungeduldig warten er und seine Frau darauf, erneut in ein neues Leben aufzubrechen – nach Myanmar. Im Januar 2017 kommen sie dort an, in einem Land, das nach jahrzehntelanger Militärherrschaft endlich demokratisch ist oder zumindest auf dem Weg dazu. «Das waren fantastische Jahre», bekräftigt Schmidt. Das Land war im Aufbruch, Schmidt leitete ein 50-köpfiges, junges und motiviertes Team, startete neue Projekte – auch solche, bei denen es um die Demokratisierung von Myanmar ging – und reiste viel durchs Land.

Dann kam zuerst Covid-19 mit einem strengen Lockdown und dann, am 1. Februar 2021, der Militärputsch. Erfahren hat Schmidt davon von seinem Sohn, der ihn aus der Schweiz anrief. «20 Minuten später waren Telefon und Internet tot.» Zwei Tage fiel das Land in eine Schockstarre, dann gingen die Menschen auf die Strasse, zu Hunderttausenden. «So gewaltige Protestdemonstrationen hatte ich noch nie gesehen», sagt Schmidt und schüttelt noch heute den Kopf, wenn er daran denkt. Einige Tage liess das Militär dies zu, danach wurden die Proteste brutal niedergeschlagen. «Das macht mich einfach sehr traurig, für die Menschen dort, auch für meine ehemaligen Mitarbeitenden. Die mussten dabei zuschauen, wie ihre persönliche Zukunft niedergeknüppelt wurde.» Bis heute wurden unter dem Terror der Militärjunta fast 3000 Menschen getötet, viele Tausende mehr eingesperrt und gefoltert.

Im Juli 2021 flogen Schmidt und seine Frau zurück in die Schweiz, wie zuvor geplant. Diesmal war es schwieriger, anzukommen und sozialen Anschluss zu finden. «Zuvor mit den Kindern ging das automatischer, weil man sie einschulen und sich organisieren musste», sagt Peter Schmidt. Mit der Zeit wurde es besser. Heute arbeitet er bei Helvetas in Zürich im modernen Grossraumbüro, zurzeit an einer Machbarkeitsstudie für Reisanbau in Peru mit weniger Methanemissionen. Auf Flugreisen verzichtet er mittlerweile, aus ökologischen Gründen. Geblieben ist sein Wunsch, Menschen darin zu stärken, ihre Chancen wahrzunehmen: Zurzeit unterstützt er privat zwei afghanische Migranten dabei, eine Lehrstelle zu finden.

Zur Person

Peter Schmidt studierte an der ETH Agronomie und schloss mit einem Master in Agrarsoziologie ab. Danach ging er als Berater zur damaligen Intercooperation, die 2011 mit Helvetas fusionierte. Während seiner mehr als 30 Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit lebte Schmidt mit seiner Familie länger in Indien, Kirgistan und Myanmar, wo er verschiedene Projekte aufbaute und leitete. Zudem war er Berater in rund 30 weiteren Ländern in Asien, Afrika, Europa und Lateinamerika. Heute ist er beim Helvetas-Büro in Zürich für mehrere Projekte zu sozial gerechten und ökologischen Wertschöpfungsketten in der Landwirtschaft verantwortlich.

«Globe» Emotional!

Globe 23/01 Titelblatt: Bleistift-Zeichnung eines Gesichtes mit übberaschtem Ausdruck

Dieser Text ist in der Ausgabe 23/01 des ETH-​​​​Magazins Globe erschienen.

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