Plastikrecycling ist kein Patentrezept
Recycling ist das Rezept für nachhaltige Ressourcennutzung, kann aber bei Kunststoffen zu erheblichen Nebenwirkungen führen, sagt Helene Wiesinger – und illustriert das Dilemma des Plastikrecyclings an Schweizer Kunststoffböden.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare 9 Kommentare
Angesichts von Klimakrise und globaler Plastikverschmutzung ist die Wiederverwertung von Materialien für viele das Gebot der Stunde. Recycling kann Resourcen schonen, Abfälle vermeiden und CO2-Emissionen senken und ist ein wichtiger Pfeiler für die Kreislaufwirtschaft. Doch während sich manche Materialien relativ einfach wiederverwerten lassen, herrscht beim Recycling von Kunststoffen ein komplexer Zielkonflikt.
So wäre es gerade bei den erdölbasierten Kunststoffen besonders wichtig, sie im Kreislauf zu führen, anstatt nach einmaligem Gebrauch zu verbrennen (thermisch zu verwerten) oder in der Umwelt zu entsorgen. Unseren Plastikmül – oder genauer: gemischte Haushaltskunststoffe – können wir zwar bereits in zahlreichen Schweizer Gemeinden in einem der vielen Kunststoffsammelsäcke sammeln, um sie maschinell zu trennen und zu recyclen.1
Allerdings stösst die Wiederverwertung rasch an Grenzen. Denn mechanisches Recycling ist vor allem dann ökologisch sinnvoll, wenn das recycelte Material möglichst Primärmaterial ersetzt und so die CO2-Emissionen bei der Produktion und Verbrennung vermeidet oder verhindert, dass Plastik in Böden und Gewässer gelangt.2 Dies erfordert jedoch hochwertiges Rezyklat – und genau hier liegt das Problem.
Chemikalien können das Recycling stören
Dazu muss man wissen, dass Kunststoffe enorm vielfältig sind. Sie bestehen aus Polymerketten, die sich aus wiederholenden Monomeren zusammensetzen, und enthalten je nach Verwendungszweck viele zusätzliche Chemikalien, etwa Stabilisatoren, Weichmacher oder Flammschutzmittel, die für die gewünschten Eigenschaften sorgen. Für einen Bericht des UN-Umweltprogramms identifizierten wir bis zu 13’000 verwendete Chemikalien.3 Viele dieser Stoffe sind für Mensch und Umwelt potenziell schädlich. Trotzdem sind sie teilweise nur unzureichend reguliert (siehe ETH-News).
Die enorme Anzahl an Kunststoffen und Zusätzen vermindert oft die Qualität des Rezyklats, erschwert oder verunmöglicht das Recycling in der Praxis . So hilft es wenig, wenn wir fleissig Plastikabfälle sammeln, aber viele Kunststoffprodukte nicht aus dem hergestellten Rezyklat, sondern nur mit Neumaterial hergestellt werden können.
Gravierender noch: Gerade langlebige Kunststoffprodukte enthalten oft Zusätze, von denen wir mittlerweile wissen, dass sie schädlich für Mensch und Umwelt sind. Erfolgt ihr Recycling gänzlich unkontrolliert, kann es dazu führen, dass regulierte Chemikalien länger im Umlauf bleiben und nicht ausgemustert werden.
Die Kehrseite unserer bunten Kunststoffwelt
Anders als etwa bei Lebensmitteln müssen Hersteller von Plastik ihre Rezepturen und Inhaltsstoffe kaum deklarieren. So ist bei den meisten Kunsstoffprodukten nicht bekannt, was sie enthalten und ob sie sicher recykliert werden können. Hier setzt meine Forschung an. Als Chemikerin versuche ich herauszufinden, wie sich Plastikmaterialien zusammensetzen und ob sie kreislauffähig sind.
Zum Beispiel haben wir für eine externe Seite Studie unlängst gemeinsam mit Kolleg:innen von anderen Schweizer Hochschulen Kunststoffböden aus Polyvinylchlorid (PVC) untersucht. PVC ist ein wichtiger Kunststoff in der Baubranche, der bereits häufig rezykliert wird (Rate: 16 Prozent). Wir haben in der Studie 151 neue PVC-Bodenbeläge auf Schwermetalle, Weichmacher und andere Chemikalien untersucht. Alle Produkte waren neu und wurden in der Schweiz gekauft.
«Wollen wir künftig mehr Neumaterial ersetzen, braucht es hochwertiges Rezyklat. In der Praxis heisst das eine geringere Kunststoff- und Chemikalienvielfalt, ein einheitlicheres Materialdesign, das Recycling von Anfang an mitdenkt, und transparentere Lieferketten.»Helene Wiesinger
Das Ergebnis hat uns überrascht: In 24 der neuen Bodenbeläge (16 Prozent) fanden wir bedenkliche und längst verbotene Zusatzstoffe wie Blei als Stabilisator und den Weichmacher DEHP, ein ortho‑Phthalat. Sowohl Blei als auch DEHP dürfen aufgrund ihrer Gesundheitsrisiken in der EU und der Schweiz nicht mehr in Neumaterial verwendet werden. Dass sie dennoch in neuen Belägen vorkommen, ist unserer Ansicht nach auf verschmutztes PVC-Rezyklat zurückzuführen.4
Weitere 29 Prozent der Bodenbeläge enthielten andere ortho‑Phthalate als Weichmacher, die zwar zugelassen, aber ebenfalls besorgniserregend sind: Phthalate stehen teilweise im Verdacht, hormonwirksam und krebserregend zu sein und werden mit diversen Krankheiten in Verbindung gebracht.
PVC-Böden werden schon länger als eine Hauptquelle für gefährliche Chemikalien in Innenräumen vermutet, da sie Weichmacher abgeben. Trotzdem war bislang nur wenig über ihre chemische Zusammensetzung bekannt.
Wie lässt sich das Dilemma lösen?
Das Beispiel zeigt exemplarisch, wie Vielfalt und Intransparenz in der Kunststoffchemie zirkuläres Wirtschaften verhindern und potenziell Mensch und Umwelt gefährden.
Künftig gilt es Wege zu finden, PVC-Böden nachhaltig zu recyceln, ohne dabei die Gesundheit der Menschen zu gefährden. Dies erfordert strengere Kontrollen und Verfahren, um schädliche Chemikalien aus recycelten PVC-Produkten zu entfernen. Für Kunststoffe mit Phthalat-Weichmachern gibt es bereits praktische Nachweismethoden. Diese sollten ins Recyclingsystem integriert werden.
Für viele andere Chemikalien fehlen schnelle und einfache Methoden. Hier braucht es eine bessere Analytik von Kunststoffen. Insbesondere muss sich aber auch deren Herstellung verändern.
Wollen wir künftig mehr Neumaterial ersetzen, braucht es hochwertigeres Rezyklat. In der Praxis heisst das vor allem eine geringere Kunststoff- und Chemikalienvielfalt, ein einheitlicheres Materialdesign, das Recycling von Anfang an mitdenkt, und transparentere Lieferketten.
Kommentare
Rezykliert werden können nur unproblematische Stoffe, ja. Neue, jetzt eingesetzte Kunststoffe sollten deshalb keine problematischen Additive enthalten. Irgendwann sollten Kunststoffe auch nicht mehr ölbasiert sein, allerdings vor allem kurzlebige Kunststoffe. Diese Abkehr vom Öl in der Chemie ist viel schwieriger, anspruchsvoller als vielen bewusst ist, denn ohne Öl wird es schnell einmal viel teurer. Doch es führt kein Weg daran vorbei. Eine Lösung könnte es sein eine neue einfach rezyklierbare Kunststoffklasse zu erfinden. Bei einer sehr hohen Rezyklierrate könnten das auch teure Kunststoffe sein, denn sie würden über ihre hohe und einfache Wiederverwendbarkeit wieder kostengünstig werden. Eigenartig, dass es so etwas nicht schon gibt.
Besten Dank für den interessanten Beitrag. Aus meiner Sicht ist zumindest für den Laien etwas verwirrend, dass verschiedene Themen vermischt werden. In der Einleitung ist von Haushaltskunststoffen die Rede, welche in Kunststoffsammelsäcken gesammelt werden können. Die aufgezeigte Problematik bezieht sich allerdings auf PVC, welches wohl nur einen sehr kleinen Anteil des im Sammelsack gesammelten Materials beträgt und damit kaum betroffen ist
Sehr geehrter Herr Baur Vielen Dank für den Hinweis, das ist ein guter Punkt und ich wollte mit der "Einleitung" keine Verwirrung stiften. Es ist naürlich richtig, dass PVC-Bodenbeläge über ein eigenes Sammelsystem gesammelt werden und kein "typischer Haushaltsabfall" sind. Ziel der Einleitung war es vielmehr, das Thema "greifbar" zu machen. Ähnliche Mechanismen (Verschmutzung des Rezyklat durch Zusatzstoffe) sind auch für Haushaltsplastik zu erwarten. Wahrscheinlich aber weniger lange nach dem Phase-out, durch die kürzere "Lebenszeit" typischer Produkte, die als Haushaltsabfälle anfallen.
Interessanter Artikel. Neben dem Aspekt "eine geringere Kunststoff- und Chemikalienvielfalt, ein einheitlicheres Materialdesign" muss die Produktion von Kunststoffen auch CO2 frei werden (Umbau der Chemie). Wäre interessant zu erfahren, wie sie die beiden Aktivitäten zeitlich sehen. Wird beides "gleichzeitig" erfolgen?
Sehr geehrter Herr Hofstetter Alternativen/biobasierten Rohstoffe sind nicht meine direkte Expertise. Eine Feedstock-Umstellung wäre natürlich ein guter "Moment" um generell auf einheitlicheres Material umzustellen. Aber die Marktentwicklung hängt von sehr sehr vielen Faktoren ab, diese beiden Artikel nähern sich dem Problem etwas an: - https://doi.org/10.1016/j.bioeco.2022.100028call_made - https://doi.org/10.1039/D2GC03047Kcall_made
Sehr geehrte Frau Wieslinger vielen Dank für Ihren Beitrag und Ihren grossen Effort Lösungen zu finden, um Probleme aus der Welt zu schaffen! Ist Ihr gründliche Befund nicht wieder ein Puzzleteil mehr im jahrzehnte langen Kampf der Bauindustrie Grenzen vorzugeben welche sie einfach nicht einhalten (wollen). Keine Bodenflächen mehr mit Chemikalien bei welchen die Industrie genau weiss wie gefährlich sie sind, dass wäre kein Recycling aber eines der (zu) vielen Probleme an der Wurzel gepackt. Und warum werden Sie von sogenannten verantwortungsvollen ArchitektInnen immer noch bestellt - sie sind billiger! Es ist einem zum Heulen zu Mute, da engagierte junge WissenschafterInnen, die den Industriellen Fakten präsentieren und auf der Gegenseite möglichst lange weitermachen wie bis anhin. Und die Industrie baut die Nettigkeit der Wissenschaft in ihr Kalkül ein! Wir alle sind froh, dass Sie und viele andere Schritt für Schritt zurück auf den Weg eines endlichen Resourcenhaushaltes führen. Vielen Dank
Sehr geehrter Herr Pignatelli, vielen Dank für Ihren Kommentar und die Anerkennung unserer Arbeit. Sicherlich gibt es noch viel zu tun. Aber wir haben im gesamten Prozess auch einige ermutigende Erfahrungen im direkten Austausch mit Recyclingunternehmer*innen und Händler*innen gemacht, die sehr engagiert sind, das Problem in den Griff zu bekommen, aber oft an der gleichen Intransparenz scheitern wie wir. Ich hoffe, wenn möglichst viele an einem Strang ziehen, kann sich doch noch etwas ändern.
Bodenbeläge aus Vinyl. Werden die auch aus Plastik recyceltem Material hergestellt? Können Sie mir diese Frage beantworten? Vinyl ist seit einiger Zeit voll im Trend und für mich ist unklar, ob das nicht auch einen Pferdefuss hat.
Sehr geehrter Herr Jost. "Vinylböden" sind genau die Böden die wir untersucht haben. Vinyl ist eine umgangssprachliche Bezeichnung von Polyvinyl chloride - PVC.