Es handelt sich dabei um eine eher unscheinbare, getrocknete Grasart, die mit Klebstreifen auf einem Karton befestigt ist. Doch dieses Exponat erzählt viel über die Geschichte der Naturwissenschaften und auch über die Geschichte der ETH Zürich. Der Herbarbeleg – so nannte man diese Art von Pflanzendokumentation – wurde 1891 vom ETH-Zoologieprofessor Conrad Keller in Somaliland gesammelt. Besonders spannend sind zwei Angaben auf den aufgeklebten Etiketten. Zum einen steht da «Expedition», was darauf hinweist, dass sich Keller von Soldaten beschützen liess, um in Afrika Tiere, Pflanzen und Kulturgegenstände zu sammeln. Es ist bekannt, dass die Somalier:innen viel Widerstand leisteten, wenn Fremde in ihr Gebiet eindrangen.
Klassifikation von damals wirkt bis heute
Zum anderen wird das Gras als «Typus» bezeichnet. Das heisst, der Herbarbeleg von Keller dient bis heute als Referenz für die eindeutige Identifikation und Klassifikation dieser Pflanzenart. Die Grasart trägt Kellers Namen. «Wenn heute somalische Forschende ihre einheimischen Grasarten beschreiben möchten, könnte dies also bedeuten, dass sie an die ETH kommen müssten, um ihre Erkenntnisse mit dem Typus von Keller abzugleichen», erklärt Monique Ligtenberg, die Kuratorin der neuen extract-Ausstellung.
Die Historikerin hat an der ETH ihre Dissertation über Medizingeschichte und Kolonialismus geschrieben und 2023 in Zürich eine internationale Konferenz zum Thema Dekolonialisierung von Universitäten veranstaltet. «Viele renommierte Universitäten wie beispielsweise die Universität Oxford haben damit begonnen, ihre eigene koloniale Geschichte zu durchleuchten, um zu sehen, was dabei herauskommt», erklärt Ligtenberg. Auch an der ETH Zürich läuft derzeit ein Projekt, das die koloniale Vergangenheit der Hochschule genauer untersucht. Parallel dazu möchte die ETH Zürich nun thematisieren, welche kolonialen Spuren sich in den eigenen Sammlungen finden lassen.