Vom Rittberger zum Quantensprung

Die ETH-Alumna Bettina Heim war Schweizer Meisterin im Eiskunst­laufen, ehe sie sich für Quantencomputer zu interessieren begann. Heute entwickelt die Physikerin Software für die Rechner der Zukunft.

Portraitfoto von Bettina Heim im Wald
ETH-Alumna Bettina Heim: «Ich bin optimistisch, dass Quantencomputer ihre Vorteile irgendwann ausspielen werden, auch wenn man heute noch nicht sagen kann, wo sie liegen.» (Bild: Markus Bertschi / ETH Zürich)

Bettina Heim arbeitet an vorderster Front daran mit, dass sich Quantencomputer dereinst durchsetzen werden. Die ehemalige ETH-Forscherin entwickelt für das US-Unternehmen Nvidia Software für die Rechner der Zukunft. Und irgendwie passt das ganz gut. Genau wie ein Quantencomputer lässt sich auch die 35-Jährige nicht gut in Entweder-oder-Attributen beschreiben. Die Rechner der Zukunft basieren nämlich nicht auf den klassischen Bits, die entweder den Wert Null oder Eins annehmen. Sie bauen auf Quantenbits als kleinste Informationseinheiten auf, welche die beiden Zustände überlagern und so Null und Eins zur selben Zeit sind.

Und so ist auch Bettina Heim vieles gleichzeitig: eine brillante Quantenphysikerin, die schon als Physikstudentin eine Bachelorarbeit zu Quantencomputern schrieb, die im Fachmagazin «Science» veröffentlicht wurde. Sie ist aber auch eine begabte Künstlerin und Sportlerin: Vor ihrer wissenschaftlichen und beruflichen Karriere machte Heim zunächst mit Pirouetten, Rittbergern und Salchows auf sich aufmerksam: Als Eiskunstläuferin schaffte sie es bis zum Schweizer-Meister-Titel. Das war mit 21 Jahren und markierte gleichzeitig den Höhe- und den Schlusspunkt ihrer Sportkarriere.

«Globe» Eine Reise ins All

Globe 24/04 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 24/04 des ETH-​​​​Magazins Globe erschienen.

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Mit zwei auf den Schlittschuhen

Heim sitzt am Esstisch ihres Einfamilienhauses im Kanton Aargau. Im ganzen Haus stehen Umzugsboxen he­rum, erst eine Woche vor dem Gespräch ist sie mit ihrem Mann hier eingezogen. Ab und zu hüpft eine der beiden Sphynx-Katzen auf den Tisch und sucht Streicheleinheiten. «Ich bin ein sehr leidenschaftlicher Mensch», sagt Heim über sich selbst. «Wenn ich ein Hobby habe, dann mache ich es zum Beruf.»

Als sie zwei Jahre alt war, habe sie sich auf dem Flohmarkt ein paar Schlittschuhe gekrallt, erzählt sie und lacht. «Und ich liess sie einfach nicht mehr los.» Da die Familie in Gehdistanz zur Eishalle wohnte, liessen die Eltern ihre Tochter gewähren und unterstützten sie in ihrem neuen Hobby. Später, als Bettina Heim längst ihr Interesse für die Naturwissenschaften entdeckt hatte, verdiente sie mit Eiskunstlaufen Geld: Zu Beginn ihres Studiums coachte sie als Trainerin alle, die sich auf dem Glatteis zurechtfinden wollten – vom Zweijährigen bis zum Physikprofessor sei alles dabei gewesen. Heim arbeitete selbstständig und kam auf ein Fünfzig- bis Sechzig-Prozent-Pensum.

Vom Appenzellerland an die ETH

Dass Heim am Quantensprung der Computertechnologie mitarbeiten wird, war nicht unbedingt vorauszusehen. Als in den 1990er-Jahren in der Computerbranche Goldgräberstimmung herrschte, wuchs Heim weit weg von der technologischen Avantgarde im appenzellischen Herisau auf. Die Eltern arbeiteten im Verkauf: Traktoren und Detailhandel. Bis Mitte der Nullerjahre besass die Familie nicht einmal einen Computer.

Dass sie nicht nur naturwissenschaftlich begabt war, sondern auch ein Flair fürs Programmieren hatte, entdeckte Heim erst kurz vor ihrer Matura. Sie schrieb sich fürs Physikstudium an der ETH ein und wurde dort mit einem Excellence Scholarship gefördert. «Das erlaubte mir, den Job in der Eishalle aufzugeben und mich voll auf das Studium zu konzentrieren», sagt sie. In ihrer Bachelorarbeit befasste sie sich erstmals mit Quantencomputern: Sie untersuchte, warum der erste kommerzielle Quantencomputer namens D-Wave in vielen Vergleichen mit klassischen Computern schlecht abschnitt. Worauf viele jahrelang warten müssen, gelang ihr im ersten Anlauf: die Publikation im Fachmagazin «Science». Nach dem Studium doktorierte Heim bei Matthias Troyer, dem damalige­n Professor für Computational Physics an der ETH. Sie folgte ihrem Mentor schliesslich in die Industrie. Heim arbeitete für Microsoft und lebte dafür vier Jahre lang in Seattle in den USA. Vor rund zwei Jahren zog es sie zurück in die Schweiz. Ihr Ehemann bevorzugte die Schweiz, zudem war ihr Vater gestorben und sie wollte für ihre fortan alleinlebende Mutter da sein.

Zur Person

Bettina Heim ist Teamleiterin beim US-amerikanischen Unternehmen Nvidia, wo sie Software für Quantencomputer entwickelt. Sie hat Physik an der ETH studiert und in Computerphysik doktoriert. Sechs Jahre lang arbeitete sie für Microsoft in den USA, ehe sie zurück in die Schweiz zog. Bevor sie ihre Laufbahn in der Wissenschaft und der Industrie einschlug, machte Heim im Sport Karriere. Als Eiskunstläuferin wurde sie Schweizer Meisterin und nahm an zwei Weltmeisterschaften teil.

Software für Quantencomputer

Bei Nvidia erhielt Heim die Möglichkeit, ein eigenes Team von Grund auf aufzubauen, um Software für Quantencomputer zu entwickeln. «Lange ging es bei Quantencomputern nur um die Hardware. Die Software wurde als selbstverständlich angesehen», so Heim. «Dabei würde normale Software auf Quantencomputern gar nicht funktionieren.» In einem ersten Schritt entwickelt Heim mit ihrem Team deshalb eine Schnittstelle namens CUDA-Q, die es ermöglicht, mit gängigen Programmiersprachen wie Python und C++ überhaupt erst für Quantencomputer zu programmieren.

Ihr Büro im oberen Stockwerk hat Bettina Heim bereits fertig eingerichtet. Der breite, geschwungene Bildschirm scheint angesichts ihrer Tätigkeit überraschend kompakt – es ist ein klassischer moderner Computer. «Wenn ich Quanten-Simulationen durchführen muss, verbinde ich mich mit einem leistungsfähigen Computer im Büro an der Europaallee in Zürich», sagt sie. In der Regel arbeitet Heim aber von zu Hause aus, genauso wie ihre Mitarbeitenden. Da diese in den USA leben, beginnen Heims Arbeitstage meist am Mittag und dauern bis spätabends. Fragt man sie, was sie aus ihrer sportlichen Karriere gelernt hat, dann sagt sie: «Mit Rückschlägen umgehen zu können.» An ihrem jetzigen Job schätzt sie, dass sie nicht mehr Einzelkämpferin ist wie damals auf dem Eis, sondern andere dazu ermutigen kann, das Beste aus sich herauszuholen. So verbringt sie einen Grossteil ihrer Arbeitszeit mit Calls mit ihren Mitarbeitenden. Zum Programmieren kommt sie fast nur in der Freizeit und am Wochenende. Heim arbeitet viel, ihre Arbeit war schon immer auch ihre Leidenschaft. Sie merke aber zunehmend, dass manchmal auch etwas Abstand guttut. «Ich habe angefangen, etwas im Garten zu arbeiten», sagt sie.

Portrait Bettina Heim
«Ich möchte dazu beitragen, dass man mit Quantencomputern etwas Nützliches tun kann.»
Portrait Bettina Heim
Bettina Heim

Ihr berufliches Ziel formuliert Bettina Heim kurz und bündig: «Ich möchte dazu beitragen, dass man mit Quantencomputern etwas Nützliches tun kann.» Denn tatsächlich sind die neuen Rechner derzeit noch für nichts wirklich gut. Moderne klassische Computer sind ihnen in praktischen Anwendungen noch haushoch überlegen. Dass das Potenzial von Quantencomputern in der Theorie riesig ist, bestreitet dabei niemand: So bräuchten normale Computer, um die Primfaktoren einer 2048-Bit-Zahl zu ermitteln, Millionen von Jahren. Mithilfe von Quantenbits könnte eine solche Berechnung in wenigen Minuten ausgeführt werden. «Es ist durchaus realistisch, dass Quantencomputer in einigen Jahren gewisse Probleme besser lösen, als klassische Computer das könnten», sagt Heim.

Doch wozu sollte das gut sein? Einfache Antworten darauf gibt es noch nicht, weltweit tüfteln Forschende an nützlichen Anwendungen der neuen Technologie. Heim sagt: «Es geht ja nicht darum, in Zukunft Microsoft Word auf Quantencomputer laufen zu lassen, sondern ganz spezifische Probleme zu lösen.» Oder anders gesagt: Quantencomputer werden klassische PCs nie ersetzen, sondern sie bei extrem komplexen Aufgaben ergänzen.

Trotzdem sagen nicht wenige Beobachter in der Entwicklung von Quantencomputern eine Revolution voraus. So könnten die neuen Rechner die Entwicklung von Medikamenten revolutionieren. Heim äussert sich da vorsichtiger. Sie könne sich gut vorstellen, dass Quantencomputer das maschinelle Lernen von künstlicher Intelligenz voranbringen könnten. «Ich bin optimistisch, dass Quantencomputer ihre Vorteile irgendwann ausspielen werden, auch wenn man heute noch nicht sagen kann, wo sie liegen.» Für sie fühle sich die jetzige Zeit sehr aufregend an. «Für die Entwicklung der Computertechnologie kam ich eine Generation zu spät. Aber das Gefühl, jetzt bei den Quantencomputern von Anfang an dabei zu sein, ist ein ähnliches.»

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