Vertrauen ist eine soziale Beziehung

Von Desinformation und gesunder Skepsis: Klimaforscherin Sonia Seneviratne, alt Bundeskanzler Walter Thurnherr und Kommunikationswissenschaftler Mike S. Schäfer im Gespräch über Vertrauen in die Wissenschaft.

Portrait von Walter Thurnherr, Sonia Seneviratne und Mike S. Schäfer
Alt Bundeskanzler Walter Thurnherr, Klimaforscherin Sonia Seneviratne und Kommunikationswissenschaftler Mike S. Schäfer (v.l.n.r.)  (Bild: Montage ETH Zürich)

Herr Schäfer, Sie sind Professor für Wissenschaftskommunikation. Was fördert das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft?
Mike S. Schäfer: Psychologische Forschung zeigt, dass zunächst mal wichtig ist, wie Menschen die Forschenden wahrnehmen: Wahrgenommenes Fachwissen ist die erste Säule. Die zweite Säule ist Integrität: Werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als ehrlich gesehen? Die dritte ist die Gemeinwohlorientierung: Sind Forschende an ihrem eigenen Vorteil oder am Gemeinwohl interessiert? Viertens ist Offenheit wichtig. Hören Forschende auf die Bedürfnisse, Fragen oder Ängste der Bürgerinnen und Bürger?

Sonia Seneviratne: Aus meiner Erfahrung als Klimawissenschaftlerin sehe ich aber, dass es nicht nur an uns Forschenden liegt, ob die Gesellschaft Vertrauen in unsere Aussagen hat. Wenn unsere Ergebnisse für Teile der Politik nicht so angenehm sind, dann gab es schon bezahlte Propaganda, um aktiv Zweifel zu schüren über unsere Forschung. Da können wir Forschenden noch so ehrlich oder offen sein.

Walter Thurnherr: Ehrlich gesagt, finde ich es gar nicht so schlecht, wenn ein gewisses Misstrauen gegenüber der Wissenschaft vorhanden ist. Das Problem sehe ich in der radikalen Ablehnung. Wir alle verstehen gar nicht mehr, wie Geräte, die wir benutzen, funktionieren. Wir sind von Wissenschaft umgeben, ohne sie zu verstehen. Und das hat eine Überforderung zur Folge. Man weiss nicht mehr, sondern man glaubt oder man misstraut. Die Wissenschaft sagt einem jeden Tag, was gut ist oder was man besser lassen sollte. Und zwar in einer solchen Häufigkeit, dass immer mehr Menschen plötzlich Nein sagen. Gar nicht unbedingt, weil sie mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht einverstanden wären – sie verstehen sie gar nicht –, sondern weil sie versuchen, Handlungssouveränität zurückzugewinnen. Das ist etwas, was wir ernst nehmen müssen. Wir alle bewegen uns in einer sehr wissenschaftsbasierten Umwelt. Aber es findet gleichzeitig eine Gegenbewegung statt, die für mich durchaus nachvollziehbar ist.

Schäfer: Wir leben in komplexen Gesellschaften, und in vielen Situationen verstehen wir nicht zu hundert Prozent, was passiert. Wie funktioniert mein Smartphone? Was genau passiert im Bundeshaus? Um Handlungsfähigkeit in diesen Situationen zu erlangen, ist Vertrauen ein Mechanismus. Nicht der einzige und vielleicht auch nicht der beste, aber er ist unerlässlich. Das gilt auch für die Wissenschaft, die ja ein Expertenbetrieb ist. Es ist zwar gut, wenn Bürgerinnen und Bürger möglichst viele Bereiche der Wissenschaft durchblicken und durchaus auch kritisch darauf schauen. Dass sie aber in allen Bereichen wirklich durchblicken, ist unrealistisch. Und dann braucht es Vertrauen.

Zu den Personen

Sonia Seneviratne ist Professorin für Land-Klima-Dynamik am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich und seit 2023 im Vorstand des Weltklimarats.

Walter Thurnherr ist Professor of Practice an der ETH Zürich. In dieser Funktion unterstützt er den Aufbau einer School of Public Policy, die zu einem besseren Verständnis zwischen Wissenschaft und Politik beitragen soll.

externe Seite Mike S. Schäfer ist Professor für Wissenschaftskommunikation und Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Universität Zürich.

Das Vertrauen in Klimaforschende scheint generell tiefer zu sein als in Forschende anderer Bereiche.
Seneviratne: Negative Schlussfolgerungen der Wissenschaft sind weniger willkommen als positive Nachrichten oder spannende neue Technologien. Was gegen die Überforderung hilft, ist die Faktenlage und die Wissenschaft dahinter möglichst einfach zu vermitteln. Gerade im Klimabereich ist dies gar nicht so schwierig. Vielleicht müssten wir uns ein bisschen mehr darauf fokussieren.

Schäfer: Klimaforschung ist ein Thema, das seit dreissig Jahren öffentlich diskutiert wird. Seit Jahrzehnten gibt es Drittparteien, die Zweifel schüren, diese seit langem bewirtschaften und damit auch Erfolg haben. In vielen Ländern ist es auch ein weltanschauliches, ideologisches Bekenntnis, wie man zum Thema Klimawandel steht. Es ist schwierig und langwierig, dies mit dem Erklären von Fakten zu verändern.

Portrait Walter Thurnherr
«Vertrauen fällt gegenüber Menschen leichter als gegenüber Theorien oder Technologien.»
Portrait Walter Thurnherr
Walter Turnherr

Würden Sie so weit gehen und sagen, dass wir in einem postfaktischen Zeitalter leben?
Schäfer: Da sprechen Sie einen viel diskutierten Modebegriff an. Viele Zeitdiagnosen sind ja zugespitzt, auch diese, aber sie hat einen wahren Kern. Nicht nur hat das Streuen von Desinformation an Bedeutung gewonnen. Man findet auch zunehmend Akteure wie den US-Präsidenten, für die es bei ihren Aussagen keine grosse Rolle mehr spielt, ob sie faktisch stimmen – Fakten und Wahrheit haben als Leitkategorien an Bedeutung verloren. Darunter leidet auch das Vertrauen in die Wissenschaft.

Thurnherr: Vertrauen fällt gegenüber Menschen leichter als gegenüber Theorien oder Technologien. Wo es nur noch um Meinungen und nicht mehr um überprüfbare Fakten geht, entsteht bekanntlich eine gefährliche Beliebigkeit. Es ist nicht allein das Postfaktische, sondern das permanente und überall sichtbare Misstrauen gegenüber den Institutionen. Da geht viel mehr kaputt, als wir meinen. Denn das zerstört ein ganzes Gefüge und eine politische Kultur, die wir für selbstverständlich halten, aber die alles andere als selbstverständlich ist.

Was bedeutet das für die Demokratie?
Thurnherr: Eine Demokratie kann nur funktionieren, wenn Dinge, die überprüfbar sind, auch überprüft und gegebenenfalls richtiggestellt werden. Wenn es möglich ist, Politikerinnen und Politikern zu widersprechen mit dem Hinweis auf gesicherte Erkenntnisse. Den Austausch von Fakten, die in der politischen Willensbildung gewichtet werden, müssen wir deshalb erhalten und ausbauen. Dabei geht es weniger um die Erweiterung von Kompetenzen, sondern darum, dass Fragen Platz haben und diese zu Gegenfragen führen. Zuhören und gehört werden, probieren, lernen und nicht meinen, die eigene Meinung sei der einzige Massstab, das sind wichtige Mechanismen einer Demokratie.

Seneviratne: In einer Demokratie ist es natürlich besonders wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht desinformiert sind und möglichst verstehen, welche Folgen ihre Entscheidungen haben werden. Deshalb ist es essenziell, dass die Wissenschaft genug Gelegenheit hat, die Fakten zu erklären. Aber es gibt durchaus Interesse von politischen Vertretern. Bei Veranstaltungen im Parlament bin ich manchmal erstaunt, dass Politikerinnen und Politiker von Parteien, die normalerweise nicht sehr auf Wissenschaft schwören, im persönlichen Austausch offen sind. Sie hören zu und äussern Bedenken oder Sorgen. Gerade Bauern, welche die Auswirkungen des Klimawandels schon heute spüren. Der persönliche Austausch ist wirklich wertvoll.

Schäfer: Vertrauen ist eine soziale Beziehung. Aber viele Bürgerinnen und Bürger haben gar keinen direkten Kontakt zu Forschenden. Ihr Bild von Wissenschaft ist medial vermittelt. Nun haben wir aber aufgrund der Erosion des Journalismus immer weniger Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten, die ausserdem unter immer prekäreren Bedingungen arbeiten. Auf der anderen Seite gibt es mehr Menschen, vor allem jüngere, die im Alltag kaum mehr mit News in Kontakt kommen. Diese grösser werdende Gruppe an News-Deprivierten informiert sich, wenn überhaupt, über digitale und soziale Medien. Dort finden sie aber einen höheren Anteil an weniger hochwertigen Informationen bis hin zu Desinformation. Und das ist in der Tat eine Herausforderung.

Sonia Seneviratne
«Kontroversen generieren viele Klicks, das verführt zum künstlichen Aufbauschen.»
Sonia Seneviratne
Sonia Seneviratne

Hat die direkte Demokratie bei uns in der Schweiz einen Einfluss darauf, wie die Bevölkerung mit Wissen und mit der Wissenschaft umgeht?
Thurnherr: Ja, schliesslich haben wir alle drei Monate eine Abstimmung. Wir haben Untersuchungen gemacht, worauf sich die Stimmbürgerinnen und -bürger abstützen. Und da gibt es zwei Quellen, die hervorstechen: Das eine ist das Abstimmungsbüchlein und das andere sind die klassischen Medien. Deshalb ist gerade in diesen Gefässen der Umgang mit Wissen und Nichtwissen entscheidend. Ich sage bewusst auch Nichtwissen. Denn vor allem im deutschsprachigen Raum stellt man Expertisen zuweilen als abschliessende Wahrheiten dar. Die wirklich guten Expertinnen und Experten verweisen auf das Provisorische ihrer Untersuchungen und erläutern ihr Wissen so, dass jene, die zuhören, klüger werden – statt den Eindruck zu vermitteln, die einzig gescheite Person im Raum sei jene mit dem Mikrofon.

Hat hier die ETH als eine Hochschule des Bundes eine besondere Verantwortung?
Thurnherr: Eigentlich schon, aber nicht nur die ETH. Früher war die ETH das eigentliche Kompetenzzentrum des Bundes, die erste Adresse, wenn es um eine neue technologische Entwicklung oder um eine wissenschaftliche Unklarheit ging. Heute haben sich die wissenschaftliche und die politische Welt voneinander entfernt. Wer sich über längere Zeit nicht mehr spricht, versteht sich nicht mehr. Das sollte man und könnte man wieder ändern. Wir müssen die ETH wieder näher an die Politik und die Politik wieder näher an die ETH heranbringen. Hier an der ETH gibt es viel Wissen. Es wäre schade, es nicht zu nutzen. Und deshalb möchten wir ja auch die School of Public Policy an der ETH aufbauen.

Seneviratne: Die ETH wurde gegründet, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Ich sehe die ETH auch heute als ein Werkzeug für die Generierung von Informationen und für die Lösung von gesellschaftlichen Problemen. Die Gründung der School of Public Policy zielt genau in die Richtung. In diesem Kontext würde es auch Sinn machen, wenn mehr Forschende allgemein verständliche Faktenblätter entwickeln würden. Gerade hinsichtlich Abstimmungen und Meinungsbildung. Wenn man eine direkte Demokratie hat, dann ist das wie erwähnt unglaublich wichtig, dass die Bevölkerung versteht, welche Entscheidungen sie trifft.

Wie geht die Politik damit um, dass oft kein wissenschaftlicher Konsens herrscht?
Thurnherr: Das haben wir in der Coronapandemie gesehen. Gewisse Politikerinnen und Politiker forderten, die Wissenschaft müsse mit einer Stimme sprechen. Dabei ist es umgekehrt: Der Bundesrat sollte mit einer Stimme sprechen, nicht die Wissenschaft. Es ist ja gerade das Wesen der Wissenschaft, dass man vorankommt, indem man sich gegenseitig widerspricht, Fakten sucht und überprüft und wieder neue Erkenntnisse schafft. Wie gesagt: Wissenschaftliche Erkenntnisse haben einen provisorischen Charakter. Andererseits gibt es Bereiche, die wissenschaftlich nicht mehr umstritten sind und bei denen eine breite Einigkeit herrscht – zum Beispiel bei der Biodiversität oder beim Klima. Es gibt immer noch Menschen, die behaupten, die Erde sei flach. Aber nur weil man nicht alles weiss, heisst das nicht, dass man nichts weiss. Und dass die Erde einigermassen rund ist und sich das Klima wegen uns Menschen verändert, weiss man!

Portrait Mike S. Schäfer
«Fakten und Wahrheit haben als Leitkategorien an Bedeutung verloren. »
Portrait Mike S. Schäfer
Mike S. Schäfer

Solche Minderheiten können durchaus laut sein.

Seneviratne: Ich sehe hier auch die Medien in der Pflicht, vor allem digitale Plattformen. Kontroversen generieren viele Klicks, das verführt zum künstlichen Aufbauschen. Beim Thema Klima herrscht aber wissenschaftlich ein enorm breiter Konsens.

Schäfer: Das ist bei einigen Gruppen in der Tat ein starkes Argument. Aber umgekehrt: Es ist gerade die Einigkeit der Wissenschaft, die bei anderen Gruppen zum Vorwurf führt, dass «die da oben» doch alle unter einer Decke stecken. Das heisst, man muss sehr genau schauen, mit wem man eigentlich kommuniziert. Denn die gleichen Botschaften kommen bei unterschiedlichen Publikumsgruppen sehr unterschiedlich an.

«Globe» Vertraust du mir?

Globe 25/01 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/01 des ETH-​​​​Magazins Globe erschienen.

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