«Verhandeln ist Kunst und Wissenschaft»
Als Diplomat hat Michael Ambühl bis vor kurzem einige der wichtigsten aussenpolitischen Dossiers der Schweiz betreut. Jetzt gibt er sein Wissen als ETH-Professor weiter. Ein Gespräch über seinen Wechsel und das Wesen von Verhandlungen.
ETH-News: Herr Ambühl, was hat Sie bewogen, die politische Weltbühne gegen die ETH Zürich einzutauschen?
Michael Ambühl: Die Resultate von Verhandlungen zwischen Staaten sind in der Regel wissenschaftlich gut analysiert und dokumentiert, vor allem aus juristischer Sicht. Aber über die Art und Weise, wie diese Ergebnisse zustande kommen, ist relativ wenig bekannt. Nach 31 Jahren in der Diplomatie hat es mich gereizt, meine Erfahrungen und Erkenntnisse in diesem Bereich besser zu erforschen und dies auch an Studierende weiterzugeben.
Ein Ansatz Ihrer Professur ist es, Verhandlungstechniken mittels «Engineering» zu optimieren. Was ist damit gemeint?
Als ETH-Absolvent und «Techniker» wurde ich im diplomatischen Dienst oft gefragt. Warum bist Du hier tätig? Gegenfrage: Warum nicht? Es braucht auch den naturwissenschaftlichen Denkansatz in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Das Denken in Modellen kann zur Lösung komplizierter politischer Fragen beitragen. Verhandlungs-Engineering nenne ich eine Methode, mit der komplexe Probleme in einfachere Teilprobleme zerlegt werden, die dann durch quantitative, beziehungsweise mathematische Methoden einer Lösung zugeführt werden können.
Das heisst, es gibt einen Baukasten für gute Verhandlungen?
Nein, denn jede Verhandlungssituation ist singulär. Verhandeln ist eine Wissenschaft, die auf Theorien, Konzepten und Methoden aufbaut und gleichzeitig, wenn Sie so wollen, eine Kunst, die ein Gespür für kulturelle Differenzen, Dialogführung und ein wenig psychologisches Geschick voraussetzt.
Ihre Einführungsvorlesung heisst «Introduction to Negotiation». Behandeln Sie dabei auch Fälle aus Ihrer diplomatischen Praxis?
Ja. Erfolgreiches Verhandeln braucht neben dem theoretischen Fundament Erfahrungswissen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die EU verhandelt anders als die USA. Bei der Europäischen Union ist der politische Kompromiss, der Rücksicht auf die Bedürfnisse der Mitgliedstaaten nimmt, gang und gäbe - was auch dem Verhandlungsverständnis der Schweiz entgegenkommt. Den USA ist das Kompromissdenken weniger bekannt. Bei dem Abkommen zwischen der Schweiz und den USA betreffend UBS zum Beispiel ging es um die Frage, wie viele Amtshilfe-Fälle die Schweiz den USA voraussichtlich liefern kann, ohne aber mit dieser Angabe unserer unabhängigen Justiz – im Falle von Rekursen - eine Verpflichtung aufzuerlegen. Dabei konnten wir uns von den Schweizer EWR-Verhandlungen von 1992 inspirieren lassen. Um Vertragsteile, die ein EWR- Mitgliedland allenfalls nicht übernehmen kann, zu kompensieren, wurden damals sogenannte «Ausgleichsmassnahmen» konzipiert. Dank dieses Konzepts des «Rebalancing» konnte eine Brücke geschlagen werden, die es den amerikanischen Partnern erlaubte, das Abkommen zu genehmigen.
Inwiefern haben Sie in Verhandlungen von Ihrer ETH- Ausbildung profitiert?
Eher indirekt. Aber es gab Situationen, wo angewandte Mathematik hilfreich war, zum Beispiel beim Landverkehrsabkommen mit der EU, als es um die Bestimmung der Schwerverkehrsabgabe (LSVA) ging. Oder etwa bei den Steuerabkommen mit Grossbritannien und Österreich. Für die jeweiligen Lösungen brauchte es mathematische Formeln, die ich beisteuern konnte und aufgrund derer man einen Abschluss erreichen konnte.
Mit Verhandlungen sind wir im Alltag alle konfrontiert, etwa mit Gehaltsverhandlungen. Kann man privates Verhandeln vergleichen mit jenem auf politischer Ebene?
Es gibt einige generelle Prinzipien der Verhandlungswissenschaft. Verhandlungen unter Staaten sind in aller Regel komplexer. Das beginnt mit dem Verhandlungsmandat, das es in einem politischen Prozess zu definieren und zu bewilligen gilt. Und wenn Verhandlungen zu einem Ergebnis geführt haben, ist der Prozess nicht abgeschlossen: Die Resultate müssen von der Politik genehmigt werden.
Sie waren als Verhandlungsführer sehr erfolgreich. Mussten Sie auch Misserfolge verkraften?
Das erwähnte Steuerabkommen mit Deutschland war inhaltlich wohl ein Erfolg, politisch und rechtlich - und das zählt am Schluss - aber leider nicht. Dass es aufgrund politischer Widerstände in Deutschland nicht umgesetzt werden konnte, wurmte mich im Nachhinein schon etwas. Man fragt sich dann, was man hätte besser machen können.
Sie standen lange im Rampenlicht der Politik. Wird Ihnen die Diplomatie nicht fehlen?
In der Tat: Es war spannend, im Interesse der Öffentlichkeit auf internationaler Ebene zu arbeiten. Aber auch hier an der ETH geht es ja darum, für die Schweiz tätig zu sein. Die Themen bleiben, aber der Fokus verschiebt sich auf Bildung und Forschung. Die Möglichkeit zu haben, die Forschung auf diesem Gebiet an der ETH Zürich zu vertiefen und zu vermitteln, empfinde ich als reizvoll und als Privileg. Schön wäre auch, wenn wir in diesem Bereich hier an der Eidgenössischen Hochschule die Vernetzung mit der eidgenössischen Verwaltung noch fördern könnten.
Verraten Sie uns zum Schluss doch bitte die für Sie wichtigsten Verhandlungsregeln.
Es gibt bekanntlich kein Rezeptbuch. Aber immerhin Grundüberlegungen, die für jede Verhandlung gelten. Erstens: Klären, was man wirklich erreichen will und was das Gegenüber für ein Interesse hat. Zweitens: Lösungen vorschlagen, die als fair und vernünftig wahrgenommen werden können. Drittens: Kohärent argumentieren, also widerspruchsfrei, und konsequent, das heisst in der Sache hart. Viertens: Falls «rote Linien» bestehen, diese nicht bekanntgeben, das schränkt nur unnötig ein. Und fünftens: Vertrauen aufbauen.
Zur Person
Michael Ambühl studierte an der ETH Zürich Operations Research und Betriebswissenschaften und verfasste beim ETH-Institut für Operations Research 1980 eine Dissertation im Bereich der Mathematischen Optimierung. Insgesamt arbeitete er sechs Jahre als Assistent, Oberassistent und Lehrbeauftragter an der Ökonomischen Fakultät der Universität Zürich. 1982 trat er in den diplomatischen Dienst ein und stieg dort zum Verhandlungsführer in wichtigen aussenpolitischen Dossiers der Schweiz auf. Seine wichtigsten Stationen: 1999 Chef des Integrationsbüros und Verantwortlicher für die Verhandlungen zu den Bilateralen II. 2005 Staatssekretär im EDA, u.a. Leiter der Verhandlungen Schweiz - USA in Sachen UBS, Mediator zwischen Armenien und der Türkei. 2010 Ernennung zum Staatssekretär für internationale Finanzfragen (SIF), Steuerverhandlungen Schweiz - Grossbritannien, Schweiz - USA, Fatca-Abkommen. Im September 2013 übernahm Michael Ambühl an der ETH Zürich die Professur für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement.