Mitoribosom entziffert

Forscher der ETH Zürich enträtseln die Struktur eines Teils des Ribosoms aus den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, in nie zuvor erreichter Auflösung. Dabei profitierten die Wissenschaftler von der Weiterentwicklung der Elektronenmikroskopie.

Vergrösserte Ansicht: ribosom
Modell der grossen Untereinheit des mitochondriellen Ribosoms. (Graphik: Gruppe Prof. Nenad Ban / ETH Zürich)

Ribosomen sind eine Art Dechiffriergeräte der Zelle. Sie können den genetischen Code, der ihnen in Form einer Boten-Ribonukleinsäure (Boten-RNS) angeliefert wird, decodieren und in eine bestimmte Abfolge von Aminosäuren übersetzen. Schliesslich erfolgt in diesen Enzymkomplexen auch das Zusammensetzen der Aminosäuren zu langen Proteinketten. Ohne Ribosomen entstehen in einer Zelle keine Proteine. Diese Enzymkomplexe stehen deshalb aufgrund ihrer zentralen Funktion seit längerem im Zentrum des Interesses der Biologie.

Um die Funktionsweise der Ribosomen, die in allen Zellen vorkommen, besser zu verstehen, ist es nötig, Aufbau und Struktur genau zu kennen. Im Laufe der letzten 15 Jahre hat ETH-Professor Nenad Ban massgebliche Beiträge geleistet, die Struktur von Bakterien-Ribosomen, aber auch von höheren Organismen, den Eukaryoten, zu denen Pilze, Pflanzen und Tiere gehören, aufzuklären. (vgl. u.a. ETH Life vom 4.11.11.)

Strukturaufklärung mit Hindernissen

Noch weitgehend unbekannt war bis anhin die molekulare Struktur derjenigen Ribosomen, die in Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle, vorkommen. Diese unterscheiden sich von den «gewöhnlichen» Ribosomen des Zellplasmas wesentlich. Während sich diese zu 60 Prozent aus Ribonukleinsäuren (RNS) und 40 Prozent Proteinbestandteilen zusammensetzen, macht RNS bei den Mitochondrien-Ribosomen nur knapp ein Drittel des gesamten Komplexes aus. Ein Grund dafür ist, dass letztere RNS-Moleküle im Laufe der Evolutionsgeschichte stark verkürzt wurden. Mitochondrielle Ribosomen in der Zelle sind vorwiegend an der inneren Membran der Mitochondrien lokalisiert und sind in der Zelle in deutlich kleinerer Menge vorhanden als die Ribosomen des Zellplasmas. Deshalb sind sie schwieriger zu isolieren und wurden bis anhin kaum erforscht.

Einem Team von Forschenden aus den ETH-Gruppen von Nenad Ban und Ruedi Aebersold ist es nun gelungen, die molekulare Struktur der so genannten grossen Untereinheit des Mitochondrien-Ribosoms aus Säugetierzellen bis zu einer Auflösung von 4,9 Angström (weniger als 0,5 Nanometer) aufzuklären. Bei einer solchen Auflösung können beispielsweise einzelne Phosphatgruppen der RNS-Moleküle gesehen werden. Ihre Erkenntnisse publizierten die Forscher in der jüngsten Ausgabe von «Nature» als Titelgeschichte.

Eine der Schwierigkeiten war, dass sich aus mitochondriellen Ribosomen kaum brauchbare Kristalle für die Strukturbestimmung bilden lassen. Bis anhin wurde zur Aufklärung der Strukturen von grossen biologischen Molekülen die Röntgenkristallographie genutzt. Dabei wird das Molekül isoliert, kristallisiert und mit Röntgenstrahlung durchleuchtet. Die Strahlen werden an den Atomen abgelenkt, was ein spezifisches Muster erzeugt, aus dem die Atompositionen errechnet werden können. Dazu muss der Kristall allerdings genügend gross und qualitativ hochwertig sein. Die grosse Untereinheit des Mitochondrien-Ribosoms eignete sich jedoch nicht für dieses Verfahren, weil dessen Struktur zu heterogen ist und sich nicht genügend Material für die Kristallbildung gewinnen liess. «Wir hätten hunderte Kilogramm von Schweinelebern gebraucht, um daraus genügend Ribosomen-Material für die kristallographische Strukturanalyse zu isolieren. Das war auch logistisch nicht zu bewerkstelligen», sagt Basil Greber, Erstautor der Studie und Post-Doktorand in Nenad Bans Gruppe.

Mit geschickter Kombination zum Erfolg

Die ETH-Forschenden verwendeten deshalb die neuste Generation von Geräten für die hochauflösende Kryo-Elektronenmikroskopie, die erst seit kurzem am Elektronenmikroskopie-Zentrum der ETH Zürich (EMEZ) und beim Hersteller der Mikroskope verfügbar ist. Damit schossen die Forscher über eine Million Bilder der grossen Untereinheit des Ribosoms. Anhand der Aufnahmen rekonstruierten die Forschenden mit aufwendigen Berechnungen auf einem Computercluster die dreidimensionale Darstellung dieser Struktur.

Um die so berechnete Struktur möglichst präzise zu interpretieren und die genaue Lage der RNS- und Eiweissmoleküle innerhalb des Enzymkomplexes zu bestimmen, griffen die Forscher zudem auf eine Methode aus dem Labor von Ruedi Aebersold zurück. Diese wird als «Chemical Cross Linking Combined with Mass Spectrometry» bezeichnet (vgl. ETH Life vom 18.9.12). Dabei werden die einzelnen Proteinbestandteile des Ribosoms chemisch miteinander vernetzt, für die weitere Analyse in Peptide zerstückelt und im Massenspektrometer sequenziert. Aus diesen Daten lässt sich schliesslich der Aufbau eines Proteinkomplexes wie dem Ribosom respektive dessen grosser Untereinheit bestimmen. Dazu ist allerdings viel Rechenleistung nötig, weshalb das Forschungsteam dazu den ETH-eigenen Grossrechner Brutus benutzte.

Dank der Kombination dieser Methoden gelang es den Forschenden schliesslich, das hochaufgelöste Strukturmodell der grossen Untereinheit des mitochondriellen Ribosoms mit einer bisher unerreichten Genauigkeit zu erstellen.

Schlüssel zur Erforschung von Krankheiten

Dank ihrer neuen Erkenntnis können die ETH-Forscher nun auch erklären, weshalb mitochondrielle Ribosomen ständig in die Membran des Mitochondriums eingebunden sind: In der Nähe des Tunnelausgangs, durch welchen frisch synthetisierte Proteine das Ribosom verlassen, konnten die Biologen ein Protein lokalisieren, das Proteinen ähnelt, die als Membrananker dienen. Sie schliessen deshalb daraus, dass im Laufe der Evolution ein solches Ankerprotein in das Ribosom integriert wurde, um es an der Mitochondrienmembran zu befestigen, sodass die frisch hergestellten Proteine direkt zu ihrem Bestimmungsort in der Membran gelangen.

Von ihrer bahnbrechenden Erkenntnis erhoffen sich die Forschenden überdies neue Einsichten in die Funktionsweise und Störungen dieses für die Zelle äusserst wichtigen Organells. Defekte im Erbgut für die Bestandteile von Mitochondrien führen beispielsweise zu Muskelkrankheiten oder sie spielen eine Rolle bei Krebs. Denn Krebszellen brauchen nicht nur viele Nährstoffe, um schnell wachsen zu können, sondern auch viel Energie. Ihr Energie-Stoffwechsel befindet sich deshalb in einem ungewöhnlichen Zustand, zu dem die von Mitochondrien wahrscheinlich einen Beitrag leisten. Nenad Ban macht aber deutlich, dass zurzeit keine anwendungsbezogenen Fragen behandelt werden. «Wir liefern mit der Struktur dieses Ribosoms eine wichtige Grundlage, auf der andere Forscher aufbauen können», sagt er. Gefördert wurde die publizierte Arbeit durch den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NCCR) Strukturbiologie des Schweizerischen Nationalfonds.

Mitochondrien – die Energiezelle der Zelle

Mitochondrien entstanden zu Beginn der Evolution der höheren Lebewesen (Eukaryoten): Vor über einer Milliarde Jahre «schluckten» Wirtszellen wohl einfache Bakterien, die sich im Innern ihrer Wirte im Lauf der Zeit zu Mitochondrien entwickelten. Diese haben deshalb ein «Eigenleben» und besitzen eigenes Erbgut sowie die molekulare Maschinerie, welche den genetischen Code in Proteine übersetzt. In den Mitochondrien wird Energie umgewandelt und in Form energiereicher chemischer Verbindungen gespeichert, welche der Zelle für alle lebenswichtigen Prozesse zur Verfügung stehen. Mitochondrien sind jedoch nicht nur Energielieferanten, sondern sie spielen in vielzelligen Organismen auch eine wichtige Rolle beim «zellulären Selbstmord», der Apoptose, dank der defekte Zellen effizient eliminiert werden können.

Literaturhinweis

Greber B, et al. Architecture of the large subunit of the mammalian mitochondrial ribosome. Nature 505, 515–519 (23 January 2014). doi:externe Seite 10.1038/nature12890

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