Citius-Bob in Sotschi am Start
Der Citius-Bob, der zwischen 2007 und 2012 an der ETH Zürich mitentwickelt wurde, geht am Sonntag wieder an Olympischen Spielen an den Start. Die Bob-Experten an der ETH meinen mit deutlich besseren Chancen als in Vancouver.
Wenn am Sonntag in Sotschi die beiden Schweizer Zweierbob-Herrenteams ins Rennen gehen, ist auch die ETH Zürich mit am Start. Denn bei allen sechs Rennschlitten, welche das Schweizer Bobteam in Russland einsetzt, handelt es sich um den Citius-Bob, der zwischen 2007 und 2012 an der ETH Zürich mitentwickelt wurde. Martin Elsener, Mitarbeiter in der Werkstatt des Departements Materialwissenschaft, war von Anfang an dabei und fiebert in diesen Tagen entsprechend mit: «Die Chancen für eine Medaille – vor allem im Zweier-Bob der Herren – stehen bei diesen Spielen sehr gut.» Und Elsener weiss, wovon er spricht: In der Zeit der Citius-Entwicklung hat er nicht nur am neuen Bob mitgebaut, sondern ist auch selbst unzählige Male damit gefahren. «Vom ETH-Team war ich derjenige mit der Bobfahrer-Statur, also lag es nahe, mich in den Citius zu setzen», erzählt Elsener lachend.
Glücklos in Vancouver
Gebaut wurde der Citius-Bob im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Vancouver. Da reüssierten die Schweizer Bobfahrer und Bobfahrerinnen allerdings nicht. Die Bahn von Whistler war zudem so gefährlich, dass einzelne Fahrer auf den Start verzichteten und der Citius-Bob kaum zum Einsatz kam. Was hat sich seit damals geändert? Tatsächlich wurden am Citius-Bob nach Vancouver noch einige Veränderungen vorgenommen: So wurde der hintere Anschubbügel beim Viererbob durch einen leichten Knick optimiert. Auch die Blattfedern, die das Einschwenken der Vorderteile der Bobs beeinflussen, wurden nochmals überarbeitet, und die Dämpfung hinten musste wieder entfernt werden. Die Dämpfung war eine Spezialität des Citius-Bobs, die aber im neuen Reglement nicht mehr erlaubt ist. Mit dieser Änderung soll erreicht werden, dass die Kosten beim ohnehin schon teuren Bobsport nicht explodieren, ist Elsener überzeugt: «Die Dämpfung, obwohl es sich nur um ein kleines Detail handelt, ist sehr kostenintensiv. Man möchte verhindern, dass sich einzelne Länder aus Kostengründen nicht mehr an den Wettkämpfen beteiligen können.»
Übung macht den Bobmeister
Fragt man Elsener nach den Gründen für den Misserfolg in Vancouver, sieht er diese aber nicht beim Material, also beim Citius-Bob selber, sondern vielmehr bei der Tatsache, dass die Testphase des neuen Bobs vor den Olympischen Spielen 2010 zu kurz war. Einerseits müssen sich die Bobpiloten zuerst an einen neuen Rennschlitten gewöhnen. «Der Pilot muss je nach Kurve in 1,5 Sekunden drei verschiedene Lenkbewegungen machen. Ein guter Fahrer zeichnet sich dadurch aus, dass er diese automatisch und intuitiv ausführt. Bei einem neuen Bob muss er sein Fahrverhalten anpassen», erklärt Elsener.
Andererseits haben mehr Probefahrten aber auch einen Einfluss aufs Material: «Die Kufen beim Citius-Bob sind so optimiert, dass sie besonders wenig Reibung auf Eis haben, aber jede Kufe wird besser, je häufiger man sie fährt.» Durch die Schläge werde das Material härter und damit schneller. Die Kufen sind bei jedem Bob im wahrsten Sinne eine Wissenschaft für sich. Der Querradius der Kufe muss beispielsweise anders gewählt werden, je nachdem, wie das Eis beschaffen ist und welche Temperatur es hat. Und auch wie eng die Kurven einer Bahn sind, spielt bei der Auswahl der richtigen Kufe eine Rolle. Kein Wunder haben die Schweizer Bobathleten und -athletinnen bei der schwierigen Bahn und den anspruchsvollen klimatischen Verhältnissen in Sotschi mehrere speziell angefertigte Kufen im Gepäck.
Weniger Fahrfehler dank Bobsimulation
Nebst dem optimierten Citius-Bob haben die Schweizer Bobfahrer einen weiteren Vorteil: Sie kennen die Bahn von Sotschi besser als viele andere Athleten. Dafür haben Professor Christoph Glocker vom Institut für Mechanische Systeme und sein Doktorand Georg Rempfler gesorgt. Mit aufwendigen Berechnungen haben sie die Bahn so simuliert, dass zum Beispiel Beat Hefti im Sommer auf dem Trockenen trainieren konnte. «Ich war beeindruckt, wie sauber Hefti schon bei der ersten Fahrt im Simulator gefahren ist. Es gelingt ihm offenbar sehr gut, visuelle Eindrücke direkt in Lenkungsbewegungen umzusetzen», sagt Glocker. Natürlich kann die Simulation das Training auf Eis nicht ersetzen. Da sie aber auf den unzähligen Daten des Citius-Zweierbobs beruht, können die Lenker ein Gefühl dafür entwickeln, wie sich der Schlitten in der Bahn von Sotschi verhält. «Eine Analyse von Fahrfehlern ist mit der Simulation durchaus möglich» erklärt Glocker. Er weist aber noch auf einen weiteren Vorteil der Simulation hin. Mit ihr können Bahnen sehr realitätsnah ausgetestet werden. «Zum Beispiel konnten wir nachweisen, dass die Whistlerbahn in Vancouver tatsächlich sehr gefährliche Passagen hat, bei denen die Gefahr besteht, dass ein Bob umkippt», erklärt Glocker nicht ohne Stolz.
Glocker, nach eigenen Angaben schon immer ein Fan von Achterbahnen, begann sich über das Citius-Projekt für Bobbahnen zu interessieren. Heute weiss er mehr über Bobbahnen als viele andere und sitzt folgerichtig auch in der Bahnkommission des internationalen Bobverbandes (FIBT), welche unterschiedliche Sicherheitsaspekte von Bahnen überprüft. Überhaupt scheint die Leidenschaft für den Bobsport auch Wissenschaftler nicht mehr loszulassen, wenn sie denn einmal gepackt wurden. Obwohl das Citius-Projekt komplett abgeschlossen ist, bleibt die ETH weiterhin dem Bobsport verbunden: Georg Rempfler macht soeben seine Bobfahrerlizenz, um herauszufinden, wie sich Bobfahren in Realität anfühlt und Martin Elsener führt im Auftrag des Bobverbands die Materialkontrollen an den Rennen durch.