Sonnenschutzmittel könnten schaden
Forschende der ETH Zürich befragten Deutschschweizer Konsumenten, welche Sonnen- und Hautcremes sie wie oft verwenden. Die Daten lassen aufhorchen: Ein Teil der Bevölkerung trägt Sonnenschutz-Substanzen in möglicherweise gesundheitsschädigenden Mengen auf die Haut auf.
Viele Sonnen- und Hautcremes – vor allem solche, die der Hautalterung vorbeugen sollen – enthalten chemische UV-Filter. Diese Substanzen absorbieren die ultraviolette Strahlung der Sonne und schützen somit die Haut vor dieser Strahlung. In einer repräsentativen Befragung haben ETH-Forschende erhoben, wie oft Deutschschweizer welche Hautpflegeprodukte mit UV-Filtern anwenden. Ausserdem bestimmten sie, in welchen Konzentrationen UV-Filter darin enthalten sind. Dadurch konnten die Wissenschaftler erstmals abschätzen, wie hoch die Mengen der UV-aktiven Substanzen sind, welche die Bevölkerung auf die Haut aufträgt.
Bedeutend ist diese Untersuchung der Gruppe von Konrad Hungerbühler, Professor für Sicherheits- und Umwelttechnologie in der Chemie, deshalb, weil einige der verwendeten Substanzen nicht unumstritten sind. Einige davon stehen im Verdacht, dass sie Allergien auslösen oder das Hormonsystem beeinflussen können. Die Haupterkenntnis der Studie ist denn auch: Ein Teil der deutschschweizer Bevölkerung ist problematischen UV-Filtern in gesundheitsrelevanten Mengen ausgesetzt.
Der von deutschschweizer Konsumenten am häufigsten verwendete UV-Filter, Butylmethoxydibenzoylmethan, gilt für Gesundheit und Umwelt als verhältnismässig unbedenklich. Auf den Plätzen zwei und drei folgen jedoch die umstrittenen Stoffe Ethylhexylmethoxycinnamat (EHMC) und Octocrylen. Für diese beiden Stoffe werteten die Wissenschaftler die Daten aus den Konsumentenbefragungen im Detail aus.
Allergieauslösender Stoff über dem Grenzwert
Für Octocrylen gibt es Berichte, wonach der Stoff Allergien auslösen kann. Die Zahl der von Ärzten in der wissenschaftlichen Literatur beschriebenen Fälle nahm in den letzten Jahren zu.
Aufgrund von Daten in der wissenschaftlichen Literatur nahmen die Forschenden an, dass die Verwendung von 4,9 beziehungsweise 14,8 Mikrogramm Octocrylen pro Quadratzentimeter Haut und Tag unproblematisch ist. (Der Referenzwert ist abhängig von der Produktart und dem Geschlecht.) Die Konsumentenbefragung zeigte jedoch, dass die Hälfte der Bevölkerung an einigen Tagen 87 und mehr Mikrogramm Octocrylen pro Quadratzentimeter Haut aufträgt. Sie überschreitet den Referenzwert also um das 5- bis 17-fache. Eine von zwanzig Personen verwendet gar 190 Mikrogramm pro Quadratzentimeter, also 12- bis 38-mal mehr. Die Unterschiede zwischen Erwachsenen unterschiedlichen Alters sind gering, bei Kindern sind die Mengen jedoch leicht höher als bei Erwachsenen.
«Die Verwendung von Octocrylen in Hautpflegeprodukten nimmt derzeit zu, die Substanz ist heute in sehr vielen Sonnen- und Gesichtscremes enthalten», sagt Eva Manová, ETH-Doktorandin und Erstautorin der Studie. Die Substanz diene vor allem dazu, weitere im Produkt enthaltene UV-aktive Stoffe (vor allem solche gegen das langwellige UV-A-Licht) zu stabilisieren. Dies erhöhe die Haltbarkeit und Wirksamkeit der Produkte.
Hormonaktive Substanz vor allem bei Kindern
Von der zweiten untersuchten Substanz, EHMC, ist bekannt, dass sie im Körper hormonaktiv wirkt. Während sie bis vor Kurzem noch in vielen Sonnencremes enthalten war, ist sie dort inzwischen meist durch weniger problematische Stoffe ersetzt worden. Allerdings wird sie immer noch in vielen Kosmetika eingesetzt, etwa in Makeup und Gesichtscremes, – möglicherweise weil die Substanz relativ billig ist.
So zeigte die Konsumentenumfrage: Fünf Prozent der Bevölkerung trägt an sonnigen Tagen 0,43 Milligramm oder mehr EHMC pro Kilogramm Körpergewicht auf die Haut auf. Das ist beinahe die Hälfte eines vom dänischen Amt für Umweltschutz in einer Risikoabschätzung bestimmten Referenzwerts. Dieses Amt bestimmte anhand von veröffentlichten Studien mit Labortieren, dass ein Milligramm EHMC pro Tag und Kilogramm Körpergewicht hormonaktiv wirken kann.
Die Schweizer Umfrage zeigte ausserdem, dass Kleinkinder der Substanz am stärksten ausgesetzt sind: Ein Prozent der Kinder unter vier Jahren erreicht an sonnigen Tagen mit 0,94 Milligramm oder mehr sogar beinahe den Referenzwert. «Das hat damit zu tun, dass einige Sonnenschutzprodukte, die speziell für Kinder beworben werden, EHMC enthalten», sagt Manová.
Weitere Studien angezeigt
«Weil Octocrylen und EHMC in der Deutschschweiz von Teilen der Bevölkerung in gesundheitsrelevanten Mengen angewendet werden, empfehlen wir, die Unbedenklichkeit und die Grenzwerte in weiterer Forschungsarbeit genauer zu evaluieren», sagt Natalie von Götz, Senior Scientist in der Gruppe von Hungerbühler und Leiterin der vorliegenden Studie. Zwar zeigten Studien über beide Stoffe, dass sie über die Haut in den Körper gelangen können. Ungenügend untersucht sei jedoch, welcher Anteil der aufgetragenen Mengen tatsächlich in den Körper gelange und was im Stoffwechsel mit den Substanzen geschehe. Es brauche daher weitere Untersuchungen zur Hautaufnahme. Je nach deren Ausgang könnte es angebracht sein, die reglementierten Maximalkonzentrationen in den Produkten zu senken.
«Welchen UV-aktiven Substanzen die Bevölkerung eines Landes ausgesetzt ist, hängt stark von der Marktpräsenz der Kosmetikprodukte ab», so ETH-Doktorandin Manová. Weil sich diese Präsenz von Land zu Land stark unterscheide, seien die Resultate aus der Schweiz nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragbar. Umso wichtiger seien länderspezifische Erhebungen wie diese. Die vorliegende Forschungsarbeit wurde vom Bundesamt für Gesundheit finanziell unterstützt.
Literaturhinweise
Manová E, von Goetz N, Hungerbühler K: Aggregate consumer exposure to UV filter ethylhexyl methoxycinnamate via personal care products, Environmental International 2015, 74: 249-257, doi: externe Seite 10.1016/j.envint.2014.09.008
Manová E, von Goetz N, Hungerbühler K: Ultraviolet filter contact and photocontact allergy: consumer exposure and risk assessment for octocrylene from personal care products and sunscreens. British Journal of Dermatology 2014. 174: 1368-1374, doi: externe Seite 10.1111/bjd.13372