«Intuitiv kaum zu erfassen»

Im November 1915 präsentierte Albert Einstein die Allgemeine Relativitätstheorie. Ein Symposium an der ETH Zürich feiert vom 12. bis 14. November das 100-jährige Jubiläum dieser Theorie.

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Der emeritierte Physik-Professor Hans-Rudolf Ott. (Bild: Adrian Ritter)  

ETH-News: Hans-Rudolf Ott, Sie sind einer der Organisatoren des Symposiums zu 100 Jahren Allgemeine Relativitätstheorie. Was geschah genau im November 1915?
Ott: Innerhalb von nur einem Monat reichte Albert Einstein bei der Preussischen Akademie der Wissenschaften vier Publikationen zur Allgemeinen Relativitätstheorie ein. Zehn Jahre zuvor hatte er eine neue Auffassung von Raum und Zeit formuliert – heute als Spezielle Relativitätstheorie bezeichnet. Demnach sind sowohl Raum und Zeit abhängig vom Standpunkt und vom relativen Bewegungszustand des Beobachters. Weitere Überlegungen zur Verallgemeinerung der Relativitätstheorie führten Einstein in der Folge zu einer Theorie der Gravitation. Aufgrund hoher mathematischen Hürden gelang es Einstein erst 1915 in Berlin, diese Allgemeine Relativitätstheorie in einer für ihn befriedigenden Form vorzustellen.

Einstein war zwischen 1909 und 1914 unter anderem als Professor zuerst an der Universität und dann an der ETH Zürich tätig. Wieviel Zürich steckt in der Allgemeinen Relativitätstheorie?
Einstein hat die Theorie massgeblich in seiner Zeit als Professor an der ETH entwickelt. Zusammen mit seinem Freund Marcel Grossmann, der an der ETH Zürich als Professor für Mathematik wirkte, entstand 1913 ein «Entwurf der Allgemeinen Relativitätstheorie», der der späteren Version von 1915 schon sehr nahe kam. Grossmann unterstützte Einstein beim mathematischen Teil entscheidend.

Wie wurde die Allgemeine Relativitätstheorie aufgenommen?
Die Allgemeine Relativitätstheorie ist formal deutlich komplexer und mathematischer als die Spezielle Relativitätstheorie. Wirklich verstanden haben sie auch in Wissenschaftskreisen vorerst nur wenige. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass die Theorie intuitiv kaum zu erfassen ist.

Was meinen Sie damit?
Unser Satelliten-Navigationssystem GPS beispielsweise wäre ohne Berücksichtigung der Relativitätseffekte unbrauchbar. Relativitätseffekte beeinflussen die Zeitmessung, also den Gang der verwendeten Uhren. Sowohl die relative Bewegung der Satelliten gegenüber der Erde als auch der Unterschied der Schwerkraft bei den Satelliten und auf der Erdoberfläche beeinflussen den Gang der Uhren. Beides muss bei der Navigation berücksichtigt werden. Das ist intuitiv schwer nachvollziehbar. Umso wichtiger waren deshalb die experimentellen Beweise der Allgemeinen Relativitätstheorie. Insbesondere konnte 1919 die von Einstein postulierte Ablenkung des Lichts durch Masse, also Gravitation, nachgewiesen werden. Damit wurde Einstein zu einer Art Popstar der Physik.

Wie gross ist die Bedeutung der Theorie heute?
Ohne die Allgemeine Relativitätstheorie ist die heutige Physik undenkbar. Sie ist für unser Verständnis des Kosmos zentral. Bisher wurde die Theorie übrigens in allen Tests und Experimenten bestätigt. Allerdings bestehen weiterhin offene Fragen.

Welche?
In der nahen Zukunft steht der direkte Nachweis von Gravitationswellen an, deren Existenz Einstein aus seiner Theorie gefolgert hat. Ein wichtiger Schritt dazu ist das Projekt LISA Pathfinder (vgl. ETH News vom 04.12.2013), an dem Universität und ETH Zürich beteiligt sind. Niemand zweifelt allerdings daran, dass der Nachweis der Gravitationswellen gelingen wird. Die grössere Herausforderung wird es sein, die Allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik zu verbinden. Nur so werden sich gewisse offene Fragen beantworten lassen, etwa wie das Universum entstanden sein könnte oder was in Schwarzen Löchern vor sich geht.

Ist Albert Einstein auch heute noch ein «Popstar»?
Der Name Einstein hat sich zu einem regelrechten «Brand» entwickelt. Veranstaltungen zu seiner Person und seinen Arbeiten ziehen immer noch sehr viele Interessierte an. Es erstaunt, wie ein Mensch – zuerst ausserhalb des akademischen Betriebs – eine solche Fülle von wissenschaftlichen Meisterleistungen vollbringen konnte. Die Faszination hat sicher auch damit zu tun, dass die meisten Menschen seine Theorien zwar nicht verstehen, aber doch das Gefühl haben, sie seien relevant und stimmig. Wir wollen mit unserem Symposium etwas dazu beitragen, diese auch Laien näher zu bringen und verständlicher zu machen.

Zur Person

Hans-Rudolf Ott ist emeritierter ETH-Professor für Physik und Präsident der externe SeiteAlbert Einstein Gesellschaft Bern.

Einstein und Zürich

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Albert Einstein. (Bild: ETH Zürich/e-pics)

Albert Einstein studierte 1896 bis 1900 am Eidgenössischen Polytechnikum – der heutigen ETH Zürich – Physik. Danach arbeitete er als Angestellter des Eidgenössischen Patentamtes in Bern, betätigte sich aber daneben weiterhin wissenschaftlich. Im Juli 1905 reichte er seine Dissertation «Eine neue Bestimmung der Moleküldimension» an der Universität Zürich ein. Zu den Veröffentlichungen seines «Wunderjahres» 1905 gehörten die Spezielle Relativitätstheorie und die Lichtquanten-Hypothese, für welche er später den Nobelpreis für Physik erhielt. 1909 wurde Einstein zum Ausserordentlichen Professor an die Universität Zürich berufen. Nach einer kurzen Zeit als Ordinarius in Prag kehrte er 1912 nach Zürich zurück – diesmal als Ordentlicher Professor für Theoretische Physik am Polytechnikum. Eineinhalb Jahre später wechselte er nach Berlin. Auch ein grosszügiges Angebot für eine Doppelprofessur an Universität und ETH Zürich konnte ihn nicht mehr in die Schweiz locken.

100 Jahre Allgemeine Relativitätstheorie

Das Symposium vom 12. bis 14.  November an der ETH Zürich ist öffentlich, wobei sich die Referate am 12. November an ein Fachpublikum richten. Die Veranstaltungen am Freitag und Samstag richten sich an eine breite Öffentlichkeit.

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