Dick ist nicht gleich dick

ETH-Professor Christian Wolfrum sucht nach neuen Substanzen gegen Diabetes. Eine Gallensäure stellt sich bereits als vielversprechend heraus. Doch damit gibt er sich nicht zufrieden. Die Suche geht weiter.

«Wir suchen Wege, um die Bildung von Fettzellen anzuregen», sagt Christian Wolfrum, ETH-Professor für Translationale Ernährungsbiologie. «Weil das gut für die Gesundheit ist.» Dass zusätzliche Fettzellen gesünder machen sollen, das mag paradox klingen. Doch seit mehr als 100 Jahren weiss man: Mehr Fettzellen bedeuten nicht unbedingt mehr Gewicht. «Je mehr Fettzellen wir haben, desto kleiner sind die einzelnen, weil sich das bestehende Fett auf die vielen Zellen verteilt.» Und das ist gesünder als weniger, dafür grosse Fettzellen. «Das ist ein Aspekt, der immer unterschätzt wird», sagt Wolfrum. «Dabei ist die Zellgrösse das Element, das bei der Entstehung eines Diabetes die wichtigste Rolle spielt.»

Infografik: Bei einer Gewichtszunahme gibt es zwei Szenarien: Entweder wird das zusätzliche Fett in bestehende Fettzellen aufgenommen, die dadurch grösser werden (A), oder es bilden sich zusätzliche Zellen (B), die das Extrafett unter sich aufteilen können.
Bei einer Gewichtszunahme gibt es zwei Szenarien: Entweder wird das zusätzliche Fett in bestehende Fettzellen aufgenommen, die dadurch grösser werden (A), oder es bilden sich zusätzliche Zellen (B), die das Extrafett unter sich aufteilen können. Etwa 20 Prozent der Übergewichtigen sind gesund und haben kleinere Fettzellen. (Grafik: www.tnb.ethz.ch/research/adipofunc, Crafft)

Wenn sich die Fettzellen deutlich im Volumen vergrössern, können sie die Fettsäuren irgendwann nicht mehr speichern und geben sie in den Blutkreislauf ab. Ist der Fettsäurespiegel im Blut permanent hoch, verfetten Leber und Muskeln. Mehr noch: Insulin, das eigentlich die Abgabe der Fettsäuren ins Blut reguliert, bleibt wirkungslos. Es kommt zu einer Insulinresistenz und letztlich zur Stoffwechselerkrankung Diabetes Typ 2.

Mikroskopieaufnahmen von grossen (links) und kleinen (rechts) Fettzellen
Mikroskopieaufnahmen von grossen (links) und kleinen (rechts) Fettzellen (Bild: ETH Zürich/Labor für Translationale Ernährungsbiologie)

Bei schlanken Personen und bei Übergewichtigen mit kleinen Fettzellen ist das Risiko für einen Diabetes Typ 2 hingegen gering. Der Grund könnte darin liegen, dass ihre Fettzellen die Fettsäuren zu speichern vermögen und sie nur kontrolliert und bei Bedarf abgeben. Zum Beispiel werden, während man hungert, Fettsäuren freigesetzt, die die Leber aufnimmt und schliesslich in Energie umwandelt. Bestimmte Diabetesmedikamente regen deshalb die Neubildung von Fettzellen an. Die Patienten bleiben zwar übergewichtig, sind aber gesünder. Doch die Präparate können langfristig schwerwiegende Nebenwirkungen haben. Daher sind Diabetesforscher weltweit auf der Suche nach neuen Substanzen.

Neue Faktoren identifiziert

Christian Wolfrum sucht mit seinem Team nach Faktoren, die die Bildung von Fettzellen ankurbeln. Bis jetzt wurde immer angenommen, dass Fettzellen Substanzen absondern, die Vorläuferzellen daran hindern, sich in Fettzellen umzuwandeln. «Das macht physiologisch ja auch Sinn: Wenn Sie schon viel Fett haben, wollen Sie ja nicht noch mehr Fett haben», fasst Wolfrum zusammen. Doch es ist komplizierter, wie nun eine neue Studie seiner Gruppe zeigt. Eine Detailanalyse hat gezeigt, dass es tatsächlich abgesonderte Substanzen gibt, die hemmend wirken. Ihre Wirkung ist insgesamt dominierend. Aber die ETH-Forschenden haben auch Fraktionen gefunden, die die Bildung neuer Fettzellen anregen. Und für genau die interessiert sich Wolfrum.

«Noch wissen wir nicht, wie die Faktoren auf den Stoffwechsel wirken, denn viele sind völlig unbekannt», sagt Wolfrum. Doch es gibt bei einigen Daten von menschlichen Fettzellen eindeutige Korrelationen mit Insulinsensitivität. «Das müssen wir verfolgen und die physiologische Rolle der Faktoren herausfinden», sagt Wolfrum. Dabei hat er immer seine Fragestellung vor Augen: Welche Faktoren kontrollieren die Neubildung von Fettzellen und wie kann diese, im Kampf gegen Diabetes, moduliert werden?

Ein solcher Modulator ist die Gallensäure THBA. Ihre Bindung nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an den Rezeptor RORγ führt letztlich dazu, dass eine Blockade fällt und sich die Neubildung von Fettzellen in Gang setzt. Dieser Mechanismus war schon länger bekannt. Wolfrum und seinem Team gelang es, die Gallensäure THBA als Modulator zu identifizieren. «Es war auch Glück dabei», gibt Wolfrum zu. «Wir kamen von der Grundlagenforschung, aber es hat sich definitiv gelohnt weiterzuforschen.» Und wie es sich gelohnt hat. Die Entdeckung der Gallensäure THBA als Modulator der Fettzellbildung hat sogar zur Gründung des Spin-offs externe Seite Glycemicon geführt, das es bereits nach drei Jahren auf Platz 9 des Top 100 Startup Award 2015 geschafft hat. Auch die ersten präklinischen Tests sind geschafft, die klinischen Tests sind für das nächste Jahr geplant.

Jede Verbesserung lohnt sich

Auch wenn diese Erfolgsgeschichte Grund zur Freude ist, Christian Wolfrum macht sich nichts vor: «Diabetes kann man nicht heilen, aber wir können den Krankheitsverlauf mit der Gallensäure THBA möglicherweise verzögern.» Wenn Patienten dadurch erst zehn Jahre später auf härtere Medikamente, die mehr Nebenwirkungen haben, umsteigen müssen, sei schon sehr viel erreicht. «Jede Verbesserung bei Diabetes ist fantastisch», betont Wolfrum. Es lohnt sich, bei dieser Stoffwechselerkrankung langfristig zu denken.

Derzeit analysiert der Spin-off auch, in welchen Nahrungsmitteln die Gallensäure natürlicherweise vorkommt. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass sie vor allem in Fleischprodukten wie Leber oder Niere zu finden ist. Doch Ratschläge zum Essverhalten mag Wolfrum keine geben. «Wer vielfältig isst, kann eigentlich gar nichts falsch machen», sagt er. «Nicht zuletzt wegen der Millionen von Nahrungsbestandteilen, die noch nicht identifiziert, aber wichtig sind.» Was das beste Mittel gegen Diabetes ist, dazu hat Wolfrum allerdings eine klare Meinung: Gewichtsabnahme schlägt jedes Medikament. Das beweisen wissenschaftliche Studien. «Mehr Bewegung, weniger Essen – erster Hauptsatz der Thermodynamik», bringt der Wissenschaftler die Theorie auf den Punkt. Wenn es doch in der Praxis nur so einfach wäre.

Literaturhinweis

Challa TD, Straub LG, Balaz M, Kiehlmann E, Donze O, Rudofsky G, Ukropec J, Ukropcova B, Wolfrum C. Regulation of De Novo Adipocyte Differentiation Through Cross Talk Between Adipocytes and Preadipocytes. Diabetes. 2015 Dec;64(12):4075-87. doi: externe Seite 10.2337/db14-1932.

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