Erste umfassende Sammlung von Pflanzenbakterien

Forschende in Zürich und Köln sammelten eine grosse Zahl von Bakterienstämmen, die auf Pflanzen leben. Die Sammlung steht am Anfang eines vielversprechenden neuen Forschungsgebiets. Wissenschaftler können nun gezielt im Labor untersuchen, wie Bakterien Wachstum und Gesundheit von Pflanzen fördern.

Vergrösserte Ansicht: Bakterien auf Pflanzenblatt
Auf Blättern leben Bakterien. Gezeigt sind Bakterienkolonien auf einem Nährmedium, die nach Abdruck eines Blattes von Sojabohne gewachsen sind. (Bild: ETH Zürich / Julia Vorholt)

Kein Organismus lebt für sich allein. Auch Pflanzen nicht. Auf ihren Blättern und Wurzeln leben komplexe Gemeinschaften von verschiedenen Bakterienarten. Ähnlich wie die natürliche Darmflora dem Menschen bei der Verdauung von Nahrung hilft und ihn vor krankmachenden Mikroorganismen schützt, sind die Mikroorganismen vermutlich auch für das Pflanzenwachstum und die Pflanzengesundheit von enormer Bedeutung.

Wissenschaftler der ETH Zürich und des Max-Planck-Instituts für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln haben nun einen Grossteil der Bakterienarten, die natürlicherweise auf einer bestimmten Pflanzenart leben, inventarisiert und kultiviert. Die Forschenden führten ihre Untersuchung an der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) durch, einer Modellpflanze der Wissenschaft. Die Resultate der Arbeit sind soeben in der Fachzeitschrift Nature erschienen.

Erstmals haben die Forschenden eine umfassende Kollektion der Bakterienstämme dieser Pflanzenart angelegt. Sie isolierten fast 10‘000 Bakterienstämme und wählten 432 für weiterführende Studien aus. «Wir waren überrascht, dass sich mehr als die Hälfte der molekularbiologisch nachgewiesenen Arten auch im Labor kultivieren liessen», sagt Daniel Müller, Doktorand in der Gruppe von ETH-Professorin Julia Vorholt und einer der Erstautoren der Studie. Bislang ging die Wissenschaft davon aus, dass etwa ein Prozent der natürlich vorkommenden Mikroorganismen unter Laborbedingungen wachsen können. «Diese Annahme haben wir in dieser Studie widerlegt», sagt Müller.

Konstante Bakterienbesiedlung

In ihrer Studie fanden die Forschenden grosse Ähnlichkeiten zwischen den mikrobiellen Lebensgemeinschaften auf den Blättern und den Wurzeln der Ackerschmalwand: Fast die Hälfte der je gut hundert verschiedenen Bakterienarten auf den Blättern und in der Wurzel sind dieselben. Möglicherweise stammen der Grossteil der Wurzel- und der Blattbakterien ursprünglich aus der ausserordentlich vielfältigen Gemeinschaft von Bodenbakterien, und die Blätter der einjährigen Pflanze werden während des Wachstums vom Boden aus mit Mikroorganismen besiedelt.

Auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Standorten in der Schweiz und in Deutschland, an denen die Forscher Wildpflanzen sammelten, sind klein. «Den Grossteil der vorkommenden Arten haben wir an allen Standorten gefunden. Vieles spricht dafür, dass es konservierte Mechanismen gibt, die dafür sorgen, dass gewisse Bakterien auf Pflanzen wachsen können und andere nicht», sagt Julia Vorholt, Professorin für Mikrobiologie an der ETH Zürich. Sie leitete die Studie gemeinsam mit Paul Schulze-Lefert, Direktor am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung.

Voraussetzung für Laborexperimente

Die Erforschung des Pflanzenmikrobioms ist eine noch relativ junge Wissenschaft. Bisher arbeiteten Forschende vor allem beschreibend. Indem die Wissenschaftler aus Zürich und Köln eine Bakterien-Kollektion mit repräsentativen Stämmen angelegt haben, können sie nun einen Schritt weitergehen: «Dank dieser Bakterienisolate können wir die Vorgänge in der Natur nun im Labor nachbauen, um dann gezielt und unter kontrollierten Bedingungen Experimente durchzuführen», sagt Müller. Dazu kultivieren die Forschenden die Bakterien auf keimfreien Pflanzen. In ersten solchen Wiederbesiedlungssexperimenten im Labor stellte sich auf den Pflanzen ein Gleichgewicht an Bakterien ein, das dem in der Natur ähnlich war. «Die Experimente waren reproduzierbar. Das heisst, dass unsere Bakterienkulturen und unser Ansatz für diese Art von Experimenten geeignet sind», sagt Vorholt.

In Zukunft könnten die Forschenden auf diese Weise beispielsweise die Rolle der einzelnen Bakterien für das Wachstum und die Anfälligkeit auf Krankheitserreger analysieren oder untersuchen, ob sich das Mikrobiom unter Stressbedingungen wie Trockenheit oder intensiver Sonneneinstrahlung verändert. Im Freien wären solche Experimente nur schwer durchzuführen, weil sie durch schwankende Umweltbedingungen zu stark beeinflusst würden.

Mikroflora hilft Pflanzen

Wissenschaftler fanden bereits Hinweise darauf, dass Nährstoffe den Pflanzen besser zur Verfügung stehen und die Pflanzen schneller wachsen, wenn sie von bestimmten Mikroorganismen besiedelt sind. Ausserdem gibt es Hinweise, dass sich Krankheitskeime schlechter auf einer Pflanze etablieren können, wenn bestimmte Bakterien auf der Pflanze anwesend sind.

Diesen natürlichen Pflanzenschutz, der durch das Mikrobiom der Pflanzen unterhalten wird, zu verstehen, ist nicht nur eine Frage, die Forschende an Universitäten in den letzten Jahren zu interessieren begann. Auch Saatgut- und Pflanzenschutzfirmen sind in diesem Forschungsfeld aktiv mit dem Ziel, in Zukunft natürliche mikrobielle Pflanzenschutzmittel anbieten zu können.

ETH-Professorin Vorholt erhielt im Juni einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats ERC. «Mit dieser Unterstützung und mit unserer neuen Bakteriensammlung wollen wir langfristig die Wechselwirkung zwischen den Pflanzen und den darauf lebenden Bakterien untersuchen», sagt sie.

Literaturhinweis

Bai Y et al. Functional overlap of the Arabidopsis leaf and root microbiotas. Nature, 2. Dezember 2015, doi: externe Seite10.1038/nature16192

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert