50 Jahre Archiv für Zeitgeschichte

Was als studentische Initiative begann, hat sich zu einem der profiliertesten Archive der Schweiz entwickelt. Zeit für eine kurze Retrospektive und einen Blick in die digitale Zukunft.

Archivgründer Klaus Urner
Die Anfänge: Archivgründer Klaus Urner im Mansardenzimmer, in das er sich für monatlich 50 Franken einmieten konnte. (Bild: AfZ)

Geburtstage, insbesondere die runden, sind gute Anlässe für einen Blick zurück und einen nach vorne. Beim Archiv für Zeitgeschichte (AfZ) der ETH Zürich, das dieses Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert, fängt die Überraschung schon bei der ersten Stunde an: seine Gründung ist nämlich einer studentischen Initiative zu verdanken. Getrieben von eigenem Forschungsinteresse an der Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und verärgert über den versperrten Zugang zu staatlichen Akten, gründete der damals 24-jährige Student Klaus Urner gemeinsam mit seinem Kommilitonen Hans Rudolf Humm die «Arbeitsgruppe für Zeitgeschichte». Kurz darauf konnten die Studenten zwei Mansardenzimmer eines ETH-Gebäudes an der Weinbergstrasse mieten. Die Räume füllten sich rasch mit Zeitungsartikeln, Broschüren und Mikrofilmen.

Im ehemaligen ETH-Rektoren Karl Schmid und dem Geschichtsprofessor Jean-François Bergier fand das bottom-up-Projekt zwei wichtige Förderer, und als die ETH Zürich 1974 ein Institut für Geschichte gründete, wurde das Archiv für Zeitgeschichte diesem angegliedert. Gründervater Urner behielt sein Amt als Leiter bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2007. Das AfZ entwickelte sich unter ihm kontinuierlich weiter und fand zu seinem heutigen Profil mit den drei thematischen Schwerpunkten Politik, Wirtschaft und Jüdische Zeitgeschichte. Die sogenannte «Oral History», also mündliche Überlieferungen von Zeitzeugen, war von Beginn an ein zentrales Element.

Dem kritischen Denken verschrieben

Das AfZ hat sich heute als modernes und renommiertes Informationszentrum etabliert. Forschende aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland, Historiker, Medienschaffende und geschichtlich interessierte Laien nutzen die über dreissig Millionen Seiten Schriftgut, davon 10 Prozent digitalisiert, sowie 2500 Tondokumente, sei es physisch im Lesesaal oder zunehmend via digitale Fernnutzung. Darüber hinaus bringt sich das AfZ mit Lehrveranstaltungen, Kolloquien, Führungen und Buchvernissagen in die Hochschule und Öffentlichkeit ein.

Gregor Spuhler mit Gästen im Lesesaal
Der heutige Archivleiter Gregor Spuhler (Mitte) mit Gästen im Lesesaal. (Bild: AfZ)

Zeitgeschichte zählt wohl kaum zu den Gebieten, die man auf Anhieb mit der ETH Zürich assoziiert. Wie sinnvoll ist es, dass das Archiv ausgerechnet an einer technischen Hochschule angesiedelt ist? Der Archivleiter Gregor Spuhler ist um eine Antwort nicht verlegen: «Ingenieure fokussieren stärker auf die Zukunft als die Vergangenheit. Aber gerade angesichts der Verantwortung, die sie dereinst tragen, ist es wichtig, dass sie auch ein Reflexionswissen entwickeln und ihr Tun in einem historischen und gesellschaftlichen Zusammenhang verorten können.»

Mit der Sicherung von bedeutsamen Zeitdokumenten nimmt das AfZ darüber hinaus eine nationale Aufgabe wahr – eine Bundeshochschule ist daher als Anker besonders geeignet. «Und nicht zuletzt hilft die grosse Vertrauenswürdigkeit, die die ETH Zürich in der öffentlichen Wahrnehmung geniesst, dabei, dass private und institutionelle Akteure uns ihre Nachlässe und Archive anvertrauen», ergänzt Daniel Nerlich, der stellvertretende Leiter des AfZ.

Segen und Fluch der Digitalisierung

Gesellschaftswandel und Digitalisierung stellen auch das AfZ vor neue Herausforderungen. Die Archivleiter sind aufgeschlossen und sehen die Digitalisierung als Chance, um Informationen einfacher und auch über weite Distanzen zugänglich zu machen. Gleichzeitig entsteht aber auch ein neuer Erwartungsdruck seitens der Nutzer: die Archivbestände sollen schnell, vollständig und gratis verfügbar sein. Archivare müssen Strategien finden, um die Quellenflut sinnvoll zu strukturieren und aufzubereiten; digitale Kompetenz wird immer mehr zur Schlüsselkompetenz des Berufsbilds.

Grosse Fragen stellen sich aber insbesondere inhaltlich: Welche Informationen soll das AfZ heute und künftig überhaupt sammeln? Bezog sich der Begriff «Zeitgeschichte» in den Anfängen auf die Zeit des Nationalsozialismus, so bezeichnet er inzwischen eine Epoche: die Zeit, die Mitlebende gestaltet haben. Die Vielfalt an potenziellen Themen ist enorm. Und nicht nur das: Auch die Datenträger haben sich drastisch verändert. Tagebücher, Briefe, Wortprotokolle, Agenden oder Fotoalben sind selten geworden. Müsste ein zeitgeschichtliches Archiv also heute stattdessen Blogs, Facebook-Posts, oder WhatsApp-Chats  sichern, damit künftige Generationen die heutige Zeit verstehen können? Sicher ist: in unserer von schneller digitaler Kommunikation geprägten Zeit bilden gedruckte Dokumente nur noch einen Teil der Realität ab.

Jubiläumsanlass

Am Sonntag, 27. November 2016 begeht das Archiv für Zeitgeschichte sein Jubiläum mit einer mehrteiligen Veranstaltung:

Forschende geben Einblicke in ihre Arbeit mit den Archivbeständen und präsentieren aktuelle Projekte. Ein Podium diskutiert die Frage, welchen Einfluss das digitale Zeitalter auf Archive hat. Beschlossen wird der Tag mit einem Festakt, der die Aufbauarbeit des Gründers Klaus Urner und die heutige Bedeutung des Archivs würdigt.

Die Veranstaltungsteile können auch einzeln besucht werden. Die Platzzahl ist beschränkt. Interessierte melden sich bitte an unter: .

Programmflyer

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert