Mut zur eigenen Meinung
Am ETH-Tag legte Rektorin Sarah Springman dar, dass sich die Bildungsziele der Hochschule mehr denn je an den Idealen der Aufklärung orientieren müssen und erläuterte, wie sie diese mit neuen Lehrkonzepten erreichen will. Roche-CEO Severin Schwan unterstrich in seiner Festansprache die Wichtigkeit der Autonomie der Forschenden für die Innovationskraft des Landes.
Was soll die Generation, welche 2030 die ETH mit einem Masterdiplom verlässt, an Wissen und Können mitnehmen? Diese Frage beschäftigt ETH-Rektorin Sarah Springman intensiv. In der neueingeführten Lehr-Policy von 2016 heisst es klar: «Die ETH bereitet ihre Studierenden darauf vor, als eigenständig denkende und verantwortlich handelnde Mitglieder der Gesellschaft die Zukunft zu gestalten.» In ihrer Rede führte Sarah Springman Beispiele wie den Manifesta-Pavillon und die Critical Thinking Initiative an, die zeigen, dass dieser Grundsatz nicht nur ein Papiertiger bleibe.
Ideale der Aufklärung in Gefahr
Die ETH-Rektorin berief sich auf die Ideale der Aufklärung, um die es heute nicht gut bestellt sei: «Auch in reifen Demokratien entfremden sich weite Bevölkerungskreise von den gebildeten Eliten», so die Rektorin. Errungenschaften der Aufklärung, wie die offene Gesellschaft, die Rechte von Minderheiten, die Chancengleichheit von Frau und Mann seien nicht mehr garantiert und können uns wieder abhandenkommen. Dieses Auseinanderdriften verpflichte die ETH, ihren Studierenden nicht nur ein solides Fachwissen mitzugeben, sondern auch die Fähigkeit und den Mut, Ideen zu entwickeln, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese zu vertreten.
ETH-Präsident Lino Guzzella setzte sich in seiner Begrüssungsrede kritisch mit dem immer schneller werdenden Wissenschaftsbetrieb und den damit verbundenen Problemen auseinander. «Die Grenze zwischen berechtigten Transparenzforderungen und kontraproduktiver Ankündigungswissenschaft ist nicht immer einfach zu ziehen», so der Präsident. Deshalb führe die ETH Zürich einen intensiven Diskurs über gute wissenschaftliche Praxis.
Auf das Kerngeschäft fokussieren
Als diesjährigen Festredner konnte die ETH Severin Schwan, CEO von Roche, gewinnen. Schwan hob die Spitzenstellung der Schweiz als Bildungs- und Forschungsland hervor, wies aber gleichzeitig auf die zunehmende Konkurrenz zwischen den führenden Innovationsclustern der Welt hin. Schwan sprach sich dafür aus, dass Bildungsinstitutionen auf ihre Kernkompetenzen fokussierten: «Ich plädiere dafür, dass sich die Schweiz wieder auf eine klare Trennung in den Ausbildungsstufen rückbesinnt, also auf die historisch so erfolgreiche Dreiteilung: Universitäten, Fachhochschulen und Berufsbildung», sagte Schwan. Der Roche-CEO befürwortet ausserdem eine klare Trennung von Grundlagen- und Anwendungsforschung, bei der erstere mit genügend öffentlichen Mitteln gefördert werde.
Schwan ging auch auf erfolgreiche Forschungskooperationen zwischen der ETH und Roche ein und erläuterte, weshalb Innovation bottom-up und nicht über verordnete Rahmenverträge entstehe. «Ich kann Ihnen nicht sagen, wie Innovation genau entsteht, aber eines ist sicher: sie fällt nicht wie Manna vom Himmel, sondern entsteht in den Köpfen von neugierigen, kreativen Menschen, von hochtalentierten Forschern», so Schwan weiter. Dafür müssten seiner Meinung nach zwei einfache Voraussetzungen erfüllt sein: «Erstens muss man diese Menschen ins Land lassen und zweitens muss man sie dann auch in Ruhe arbeiten lassen.» Forschende bräuchten genügend Freiräume, um auch mal von einer Lehrbuchmeinung abzuweichen und in einem verrückten Experiment völlig neue Wege zu beschreiten.»
Brückenbauer als Ehrendoktoren ausgezeichnet
Eine Ehrendoktorwürde durfte die ETH-Rektorin dem bekannten Berner Klimaforscher Thomas Stocker für seine grundlegende Forschung zum Klimasystem und zum Klimawandel verleihen. Damit ehrte die ETH eine Schlüsselfigur in den Klimawissenschaften. Thomas Stocker, der von 2008 bis 2015 die Arbeitsgruppe I des UNO Weltklimarats (IPCC) leitete, verstand es nicht nur hervorragend, die Forschenden untereinander zu vernetzen, sondern sah es als seine Verantwortung an, Brücken zwischen der Klimaforschung, den Entscheidungsträgern und der Bevölkerung zu bauen.
Die zweite Ehrendoktorwürde ging an ETH-Alumnus Max Ernst Meyer, der im eigentlichen Wortsinn ein Brückenbauer mit grossem Ideenreichtum und hoher Tatkraft als Ingenieur ist. Max Ernst Meyer hat die Bauverfahren von grossen Spannbetonbrücken entscheidend weiterentwickelt. Daneben hat er auch beim Bau von grossen Behältern und Unterwassertunnels sowie im Bereich der Hebetechnik sein herausragendes Wissen und Können unter Beweis gestellt.
Mit dem Titel des Ehrenrates werden Persönlichkeiten geehrt, die entweder wesentliche wissenschaftliche Arbeiten oder Arbeitsgebiete an der ETH Zürich fördern oder die Hochschule als Ganzes unterstützen. 2016 ernannte die ETH Zürich Thomas Knecht für sein herausragendes Engagement zur Förderung des Innovationstransfers aus den Schweizer Hochschulen in die Gesellschaft und Wirtschaft.
Engagierte Studierende
Ein Teil des ETH-Tages gehört traditionellerweise den Studierenden. Dieses Jahr gaben drei junge Talente aus dem Departement Erdwissenschaften einen Einblick in ihre aktuellen Arbeiten. So erfuhren die Besucher viel über die Messungen am Aletschgletscher, seismische Gesteinseigenschaften und die elektrostatischen Abstandsmessung beim LISA Pathfinder-Projekt.
Der Verband der Studierenden an der ETH Zürich (VSETH) vertritt die Interessen der Studentinnen und Studenten gegenüber der Schulleitung und Behörden. Am ETH-Tag verlieh Verbandspräsident Lukas Möller besonders engagierten Lehrpersonen die Goldene Eule für deren exzellente Lehre. Diesen Sympathiepreis der Studierenden erhält eine Lehrperson pro Departement. Zudem erhielt John Lygeros, Professor für Control and Computation am Institut für Automatik, den Credit Suisse Award for Best Teaching.
Weitere Dokumente, Reden und Fotos finden Sie unter: ETH-Tag 2016